Der Professor schaute mich aus dem Augenwinkel an.
»Ich sehe, Sie haben sich regelrecht als Sherlock Holmes betätigt, Daniel.«
»Verzeihen Sie die Dreistigkeit, Professor, aber mir ist Fermíns Glück das und noch viel mehr wert.«
»Und das ehrt Sie. Aber es könnte jemandem, der so etwas zu tun versucht und in flagranti ertappt wird, auch eine ordentliche Strafe eintragen.«
»Aus diesem Grund habe ich gedacht, wenn jemand, rein hypothetisch, zu einem dieser rekonstruierten Standesamtsarchive Zugang hätte, könnte er mit einem Gehilfen gehen, der sozusagen den riskantesten Teil der Operation übernähme.«
»In diesem Fall müsste der hypothetische Gehilfe in der Lage sein, dem Ermöglicher lebenslang auf den Preis jedes bei Sempere & Söhne erstandenen Buches zwanzig Prozent Rabatt zu gewähren. Und ihm eine Einladung zur Hochzeit des Neugeborenen zukommen lassen.«
»Gebongt. Und der Rabatt würde auf fünfundzwanzig Prozent erhöht. Obwohl ich im Grunde jemand kenne, der, ganz hypothetisch, allein aus Spaß, einem wurmstichigen, korrupten Regime eins auszuwischen, sogar bereit wäre, pro bono mitzuwirken, ohne etwas dafür zu bekommen.«
»Ich bin Wissenschaftler, Daniel. Sentimentale Erpressung verfängt bei mir nicht.«
»Also dann für Fermín.«
»Das ist was anderes. Gehen wir zum Technischen über.«
Ich zog den Hundert-Peseten-Schein hervor, den mir Salgado gegeben hatte, und zeigte ihn ihm.
»Das ist mein Budget für Expeditionsspesen und — formalitäten«, sagte ich.
»Ich sehe schon, Sie feuern mit königlichem Böller, indessen sollten Sie dieses Geld besser für andere Unterfangen aufheben, welche diese Großtat erfordert, denn meine Dienste bekommen Sie sonder Entgelt. Was mich am meisten mit Besorgnis erfüllt, werter Gehilfe, ist die erforderliche dokumentarische Verschwörung. Die neuen Zenturios des Regimes haben nicht nur die Stauseen und Messbücher, sondern auch eine an sich schon der schlimmsten Albträume des lieben Franz Kafka würdige Bürokratie verdoppelt. Wie gesagt, ein solcher Fall erfordert die Herstellung von Briefen, Eingaben, Gesuchen und anderen Dokumenten jeglicher Art, die nicht nur glaubhaft sind, sondern auch Beschaffenheit, Ton und Geruch eines typischen abgegriffenen, verstaubten und unanfechtbaren Dossiers aufweisen müssen.«
»Da sind wir wohl versehen.«
»Ich brauche die Liste der Komplizen in dieser Verschwörung, um sicher zu sein, dass Sie nicht allzu optimistisch sind.«
Hierauf setzte ich ihm den restlichen Plan auseinander.
»Es könnte klappen«, schloss er.
Als der Hauptgang aufgetragen wurde, war das Thema abgehakt, und das Gespräch schlug neue Wege ein. Während des ganzen Essens biss ich mir beinahe die Zunge ab, doch beim Kaffee konnte ich mich nicht mehr beherrschen und schnitt, scheinbar nur beiläufig interessiert, das Thema an:
»Übrigens, Professor, neulich hat ein Kunde im Laden über ein bestimmtes Thema gesprochen, und da ist der Name Mauricio Valls zur Sprache gekommen, der einmal Kulturminister gewesen ist und so. Was wissen Sie über ihn?«
Der Professor zog eine Braue in die Höhe.
»Über Valls? Vermutlich dasselbe wie alle Welt.«
»Sicherlich wissen Sie mehr als alle Welt, Professor. Sehr viel mehr.«
»Eigentlich habe ich diesen Namen jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr gehört, aber bis vor einiger Zeit war Mauricio Valls eine ausgesprochene Persönlichkeit. Wie Sie ja sagen, war er einige Jahre lang unser funkelnagelneuer renommierter Kulturminister, Leiter unzähliger Institutionen und Organismen, ein im Regime gut verankerter Mann mit großem Prestige auf seinem Gebiet, vieler Leute Gönner, gehätschelter Liebling in den Feuilletons der spanischen Presse… Und wie gesagt, eine angesehene Persönlichkeit.«
Ich lächelte matt, als wäre es eine angenehme Überraschung für mich.
»Und jetzt nicht mehr?«
»Offen gestanden, ist er vor einiger Zeit von der Landkarte verschwunden — oder mindestens aus der Öffentlichkeit. Ich bin nicht sicher, ob ihm eine Botschaft oder ein Amt in einer internationalen Organisation zugeteilt wurde, Sie wissen ja, wie so was geht, aber seit einiger Zeit habe ich seine Spur verloren… Ich weiß, dass er vor einigen Jahren mit ein paar Teilhabern einen Verlag gegründet hat. Der läuft glänzend und veröffentlicht am laufenden Band. Tatsächlich bekomme ich jeden Monat Einladungen zur Präsentation irgendwelcher seiner Titel…«
»Und nimmt Valls an diesen Veranstaltungen teil?«
»Vor Jahren ja. Wir witzelten immer, weil er mehr von sich selbst redete als von dem Buch oder Autor, die er vorstellte, aber das ist lange her. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Darf ich mich nach dem Grund Ihres Interesses erkundigen, Daniel? Ich wusste nicht, dass Sie sich für den kleinen Jahrmarkt der Eitelkeiten unserer Literaturszene interessieren.«
»Reine Neugier.«
»Aha.«
Während Professor Alburquerque die Rechnung beglich, schaute er mich schief an.
»Warum habe ich bloß immer den Eindruck, dass Sie mir nicht nur eine halbe, sondern eine Viertel Wahrheit auftischen?«
»Eines Tages erzähle ich Ihnen die ganze Wahrheit, Professor, ich verspreche es Ihnen.«
»Das würde ich Ihnen auch raten, denn Städte haben ein schlechtes Gedächtnis und brauchen jemanden wie mich, einen keinesfalls zerstreuten Professor, um es am Leben zu erhalten.«
»Das ist das Abkommen: Sie helfen mir, Fermíns Angelegenheit zu regeln, und ich werde Ihnen eines Tages Dinge erzählen, die Barcelona lieber vergäße. Für Ihre geheime Geschichte.«
Der Professor gab mir die Hand, und ich drückte sie.
»Ich nehme Sie beim Wort. Und um noch einmal auf das Thema Fermín und die Dokumente zurückzukommen, die wir aus dem Hut zaubern sollen…«
»Ich glaube, ich habe den geeigneten Mann für diese Mission«, sagte ich.
Oswaldo Darío de Mortenssen, Fürst der Barceloneser Schreiber und alter Bekannter von mir, genoss mit Cognackaffee und Zigarre die restliche Mittagspause nach Tisch in seinem Häuschen beim Virreina-Palast. Als ich auf ihn zuging, hob er die Hand zum Gruß.
»Der verlorene Sohn kehrt zurück. Haben Sie es sich anders überlegt? Machen wir uns an diesen Liebesbrief, der Ihnen Zugang zu Reiß- und anderen verbotenen Verschlüssen der ersehnten Jungfer ermöglicht?«
Wieder zeigte ich ihm meinen Ehering, und er nickte.
»Verzeihen Sie. Die Macht der Gewohnheit. Sie gehören eben noch zur alten Garde. Was kann ich für Sie tun?«
»Neulich habe ich mich daran erinnert, woher ich Ihren Namen kannte. Ich arbeite in einer Buchhandlung und bin auf einen Roman von Ihnen aus dem Jahr 33 gestoßen, Die Reiter der Dämmerung .«
Oswaldo ließ Erinnerungen auffliegen und lächelte sehnsüchtig.
»Was waren das noch für Zeiten. Diese beiden unverschämten Kerle, Barrido und Escobillas, meine Verleger, haben mich bis zum letzten Cent übers Ohr gehauen. Der Gottseibeiuns hab sie selig und halte sie unter Verschluss. Aber das Vergnügen beim Schreiben dieses Romans kann mir keiner mehr nehmen.«
»Wenn ich ihn mal mitbringe, schreiben Sie mir dann eine Widmung hinein?«
»Aber selbstverständlich. Das war mein Schwanengesang. Die Welt war nicht gefasst auf einen im Ebro-Delta angesiedelten Western mit Banditen im Kanu statt auf Pferden und Mücken von der Größe einer Wassermelone, die sich überall breitmachten.«
»Sie sind der Zane Grey unserer Küste.«
»Das wäre schön gewesen. Was kann ich für Sie tun, junger Mann?«
»Mir Ihre Kunst und Erfindungsgabe bei einem nicht weniger heroischen Unterfangen zur Verfügung stellen.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Sie müssen mir helfen, eine dokumentierte Vergangenheit zu erfinden, damit ein Freund von mir ohne gesetzliche Klippen die Frau heiraten kann, die er liebt.«
Читать дальше