»Mittlerweile glaube ich, dass der Grund dafür ein ganz gewöhnliches atmosphärisches Phänomen ist. Während der Regenzeit, wenn sich im Lauf des Tages die Erde erwärmt, das Wasser zu verdunsten beginnt und später in tausend Metern Höhe kondensiert, verschwindet alles unter diesem geheimnisvollen Schleier. Dann packt einen die nackte Angst, weil man das Gefühl hat, blind zu fliegen.«
»Und in der Trockenzeit?«
»Dann wird die Hitze so drückend, dass die Luft zu flimmern beginnt und man wie in der Wüste eigenartigen Fata Morganas auf den Leim geht. Man weiß nie, ob man es mit einer optischen Täuschung zu tun hat oder nicht.«
»Dann werden wir wohl den Rest unseres Lebens hier verbringen müssen. Schließlich gibt es hier nur diese beiden Jahreszeiten. Regenzeit und Dürre.«
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, gestand Jimmie, »und bin zu dem Schluss gelangt, dass wir so nah vor Ort wie möglich ein Lager aufschlagen müssten, wenn wir nicht bald Ergebnisse erzielen. Wir müssten im Landesinneren eine Landepiste roden und dafür sorgen, dass sie nicht beim ersten Regen unter Wasser steht. Ich könnte dann jeden Morgen starten, ein paar Stunden in der Luft verbringen und zurück sein, ehe es richtig heiß wird.«
»Aber ein Lager im Dschungel aufzubauen und Leute anzuheuern, die eine Landepiste roden, kostet eine Menge Geld.«
»Ja, ich weiß.«
»Woher willst du das nehmen?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Du bist ein Träumer, Jimmie. Wir brauchen Lösungen, die unseren Möglichkeiten entsprechen. Keine Utopien.«
»Wir könnten Aktien verkaufen.«
»Aktien?«, wiederholte seine Frau erstaunt. »Was für Aktien?«
»Anteile an der Minengesellschaft Jimmie Angel zum Beispiel oder der Aktiengesellschaft John McCracken. Ich bin sicher, dass der Name McCracken die beste Reklame wäre. Hier in der Gegend weiß jeder, dass man ihm damals für seine Diamanten vierhunderttausend Dollar gezahlt hat.«
Mary Angel hatte begonnen, in der winzigen Küche, die nur durch eine breite Durchreiche von Wohnzimmer und Terrasse getrennt war, das Abendessen zuzubereiten. Plötzlich hielt sie inne, warf ihrem in Gedanken versunkenen Mann einen scharfen Blick zu und schüttelte heftig den Kopf.
»Minengesellschaft Jimmie Angel!«, rief sie schließlich in einem Ton, dessen Ironie nicht zu überhören war. »Und wer meinst du, würde Aktien an einem Unternehmen erwerben, das sein Geheimnis nicht lüften will? Denn ich nehme wohl an, dass du kein einziges Wort darüber verlieren würdest, wo diese sagenhafte Goldader liegt, nicht wahr? Vorausgesetzt, du findest den Berg, das Gold und die Diamanten überhaupt.«
»Darauf kannst du Gift nehmen!«
»Und glaubst du im Ernst, deine vermeintlichen Aktionäre würden nicht auf die Idee kommen, du könntest dich aus dem Staub machen, sobald du fündig geworden bist?«
»Ich bin ein Ehrenmann«, gab Jimmie zurück, als käme ein solcher Betrug für ihn niemals infrage.
»Ich glaube dir das gern, aber das will nichts heißen, denn schließlich liebe ich dich und bin mit dir verheiratet.« Sie stellte ihm einen dampfenden Teller hin und strich ihm sanft durchs Haar. »Und da man immer nur einen Menschen auf einmal heiraten kann, wird man nie ein Unternehmen mit mehr als einem Teilhaber gründen können, der einem blind vertraut. Die anderen haben das Recht zu zweifeln. Eins steht nämlich fest: Man ist nur so lange ehrlich, bis man die Gelegenheit erhält, es nicht zu sein.«
»Curry hat mir blind vertraut.«
Jimmie erhielt darauf keine Antwort. Doch der bedeutungsvolle Blick, den seine Frau ihm zuwarf, erinnerte ihn daran, dass gerade dieses Vertrauen seinen Freund und Partner ins Verderben und letztendlich in den Tod geführt hatte.
»Eines Tages muss sich mein Glück doch wenden«, erklärte Jimmie leise. »Dieser Berg liegt irgendwo vor unserer Nase und steckt voller Gold und Diamanten. Das weiß ich nicht aus irgendwelchen Märchen, sondern weil ich selbst da oben war. Oder glaubst du, ich würde es riskieren, unser Leben zu ruinieren, wenn ich nicht absolut sicher wäre?«
»Nein, natürlich nicht, Liebster«, antwortete sie zärtlich. »Ich habe auch nicht gesagt, dass du unser Leben ruinierst. Ich habe mich nie beklagt. Wir haben es beide so gewollt und genau so leben wir im Augenblick. Lieber will ich hier mit dir ausharren und wissen, dass du das tust, was dir gefällt, als in einer Villa in Texas sitzen und auf dich warten, während du mit Nitroglyzerin im Frachtraum durch die Gegend fliegst. Ich weiß sehr wohl, wie sehr dir das verhasst war.«
»Es war weniger, dass es mir verhasst war«, gab Jimmie ehrlich zu. »Ich habe eine Heidenangst davor.«
Mary setzte sich mit ihrem Teller ihm gegenüber und fragte: »Warum hast du nie mit mir darüber gesprochen? Ist es so schlimm?«
»Schlimm?«, entgegnete ihr Mann. »Schlimm, mit einer Ladung kleiner Fläschchen unterm Hintern abzuheben, die einen bei der kleinsten Erschütterung in tausend Stücke zerfetzen können? Das ist nicht schlimm, mein Liebling, das ist so, als würde man bei lebendigem Leib in die Hölle hinabsteigen. Nitroglyzerin ist wie ein schlafendes Ungeheuer, das einen verschlingt, sobald es aufwacht. Dieses Zeug ist gespenstisch, schlimmer als der schlimmste Albtraum. Vor allem, wenn man schon mal mit eigenen Augen gesehen hat, wie die Maschine vor einem explodiert ist und man später kein Teil fand, das größer gewesen wäre als dieser Teller hier.«
»Das hast du gesehen?«, fragte Mary entsetzt, und als sie keine Antwort erhielt, setzte sie zaghaft hinzu: »Ist Alex so gestorben?« Wieder erhielt sie keine Antwort. »Warum hast du nie mit mir darüber sprechen wollen, was an jenem Tag passiert ist?«
»Weil genauso gut ich derjenige hätte sein können, der da in die Luft flog.«
»Dann erzähl es mir jetzt.«
»Wir waren nach Houston gerufen worden und kamen fast gleichzeitig dort an. Stanley, Alex, Gus und ich…«
Sie hatten sich auf die Terrasse gesetzt. Mary verrührte den Zucker in ihrem Kaffee, den sie in kleinen Schlucken zu trinken pflegte, und ihr Mann stopfte seine Pfeife bis zum Rand mit Tabak voll, als wollte er sichergehen, dass sie diesmal lange brennen würde.
»Von Anfang an war uns bewusst, dass wir eine hochgefährliche Aufgabe vor uns hatten. Vielleicht die schwierigste, die man uns jemals gestellt hatte. Eine Ölquelle im mexikanischen Tampico brannte schon seit vier Tagen und niemand hatte sie löschen können. Es gab nur noch eine Hoffnung: Nitroglyzerin. Es lagerte dort in Houston, mehr als tausend Kilometer vom Einsatzort entfernt.«
Er zündete ein Streichholz an und zog kräftig an seiner Pfeife.
»Ein Flug von mehr als tausend Kilometern und kein Flughafen auf der Strecke gab uns die Genehmigung, mit der verfluchten Ladung zwischenzulanden! All unsere Anfragen und Anträge wurden abgelehnt. Wir mussten sämtliche Wohngegenden weitläufig umfliegen und durften nirgendwo landen. Um nach Tampico zu gelangen, mussten wir in schnurgerader Linie fliegen und das bedeutete, übers Meer.«
»Verstehe.«
»Ja, wir haben auch schnell verstanden, was das hieß, vor allem, weil die Gesellschaft uns nur ein paar klapprige zweimotorige Douglas T2D zur Verfügung stellen konnte. Die Maschinen hatten der Marine gehört und besaßen nicht die erforderliche Reichweite, es sei denn, man rüstete sie mit zusätzlichen Tanks aus. Aber das verlagert den Schwerpunkt und macht Landungen wie Starts zu einer Frage reiner Intuition.« Er seufzte laut. »Wir mussten die Metallbehälter wiegen, bevor wir sie im hinteren Frachtraum der Maschine verstauten, dann abschätzen, wie viel Treibstoff wir ungefähr verbraucht hatten und wie viel wir noch brauchen würden, um bis an die Ölquelle zu gelangen und landen zu können. Das, was übrig war, ließen wir ab.«
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