»Nicht zu fassen!«, rief der König der Lüfte. »Sie?«
»Für mich ist es noch viel unfassbarer, obwohl ich Ihr Flugzeug oft am Himmel gesehen habe. Sie sind also tatsächlich zurückgekehrt.«
»Schon vor einiger Zeit.«
»Und was ist aus Ihrem Freund geworden?«
»Er ist gestorben.«
»Das tut mir Leid! Er war ein faszinierender Mensch.«
»Da wir gerade dabei sind, Sie sind nicht zufällig einem anderen Freund von mir über den Weg gelaufen? Dick Curry? Einem Amerikaner.«
»Dem Gringo? Nein, ich habe ihn nie kennen gelernt, aber viel von ihm gehört«, sagte der Pater. »Das Letzte, was mir zu Ohren kam, war, dass er dabei war, den AuyanTepui zu besteigen. Bei diesem waghalsigen Abenteuer muss er wohl ums Leben gekommen sein. Die Einheimischen jedenfalls sind felsenfest davon überzeugt, dass der Berg des Teufels ist und jeder, der hinaufsteigt, verflucht ist.«
»Glauben Sie das auch?«
»Mein Lieber, wenn man so lange in dieser gottverlassenen Gegend lebt wie ich, glaubt man am Ende sogar das Unglaubliche.«
»Haben Sie eigentlich Ihre Missionsstation gegründet?«
»Natürlich.«
»Und wovon leben Sie?«
»Von Wundern, mein Sohn, von Wundern. Gerade jetzt bin ich auf dem Weg nach Puerto Ordaz. Vielleicht kann ich da etwas Saatgut und ein paar Schweine erbetteln.«
»Das ist aber nicht viel.«
»Nein, das stimmt, und meine Vorgesetzten fangen schon an zu zweifeln. Sie halten all diese Arbeit für vergebliche Liebesmüh, die keine Früchte tragen wird. Die pemones weigern sich hartnäckig, getauft zu werden, und die waicas und guaharibos lassen sich gar nicht erst blicken.«
»Das wundert mich nicht. Hier wollen sich ja nicht mal die Berge zeigen.« Jimmie breitete die Arme aus. »Wie soll man dieses Land je verstehen, das einerseits so schön und andererseits so unnahbar ist?«
»Schönheit ist nun mal unnahbar. Ansonsten wäre sie für den Menschen nicht so attraktiv. Es ist dasselbe wie mit dem Glauben. Er ist nur deshalb so anziehend, weil man nie sicher sein kann. Sobald man meint, ihn fest im Griff zu haben, zerrinnt er einem zwischen den Fingern.«
»Sie wollen mir doch wohl nicht erzählen, dass Sie Ihren Glauben verloren haben. Wenn dem so wäre, was machen Sie dann noch hier?«
»Ihn jeden Morgen suchen, am Mittag verlieren, am Abend wieder finden und um Mitternacht spüren, wie er sich wieder davonmacht.« Der Pater lächelte verschmitzt. »Da ich aber weiß, dass er irgendwo ist, gebe ich den Kampf nicht auf.«
»Na schön, da haben Sie diesmal ja Glück gehabt. Steigen Sie ein! Ich bringe Sie nach Puerto Ordaz. Es liegt auf meiner Route. Ich bin unterwegs nach Ciudad Bolívar.«
»Tatsächlich hält sich der Monsignore in Ciudad Bolívar auf, aber ich glaube nicht, dass ich in dieses Ding da steigen werde. Wenn der Herr mir Beine gegeben hat, dann vermutlich, um damit zu laufen.«
»Und wie sind Sie aus Spanien hergekommen? Sind Sie etwa über das Wasser gewandelt?«
»Eine verdammt scharfe Zunge hast du, mein Sohn. Ich bin mit dem Schiff gekommen, aber vor Schiffen habe ich keine Angst, im Gegensatz zu dieser fliegenden Kiste. Ich habe mal mitten in der Savanne das Wrack einer ähnlichen Maschine gefunden.«
»Einer roten mit viel zu großen Rädern?« Als der andere schweigend nickte, setzte der Pilot hinzu: »Das war meine. Eine sehr gute Maschine.«
»Das muss wohl stimmen, denn mittlerweile hat ein fetter Jaguar Quartier darin bezogen. Wenn das eine gute Maschine war, will ich gar nicht erst wissen, wie die schlechten sind. Ich bleibe lieber bei dem, was ich kenne, und gehe zu Fuß.«
Jimmie lachte. »Na kommen Sie schon, Pater! Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass jemand, der keine Angst vor Jaguaren, Anakondas und Menschenfressern hat, sich wegen eines Flugzeugs in die Hosen macht?«
»Ob Sie es glauben oder nicht — es ist die Wahrheit.«
»Und wie wollen Sie dann in den Himmel kommen? Mit einer Leiter?«
»Jetzt werd mal nicht unverschämt, mein Sohn!« Der Pater stieß einen tiefen Seufzer aus, warf einen misstrauischen Blick auf die gelbe Kiste und zuckte schließlich die Achseln.
»Um die Wahrheit zu sagen, die Hitze ist heute einfach unerträglich. Und mir steht noch ein Dreitagesmarsch bevor. Also gut. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Möge Gott sich unserer erbarmen!«
Während der ersten Minuten in der Luft hielt der Pater die Augen fest geschlossen und die Hände zu Fäusten geballt, doch als er endlich einen Blick nach unten riskierte, überwältigte ihn die Großartigkeit der Landschaft.
»Es ist wunderbar hier oben. Wie auf einem Balkon mit Aussicht. Sehen Sie mal, dort. Der Cerro Venado und daneben der Carrao.«
»Und da weiter vorn können Sie den Caroní und den Canaima sehen.«
»Und das ist der ParanTepui!«
»Nein! Das ist der AuyanTepui.«
»Entschuldigen Sie, mein Freund«, widersprach der Dominikaner freundlich, aber selbstbewusst. »Das dort ist der ParanTepui.«
»Nein! Der AuyanTepui!«, beharrte der Pilot hartnäckig.
»Der Rechte ist der AuyanTepui«, berichtigte ihn der Alte erneut. »Der Linke der ParanTepui. Aber von hier aus erscheinen sie wie ein und derselbe Berg.«
»Es ist auch nur einer!«
»Nein, es sind zwei«, berichtigte ihn Orozco. »Zwei Tepuis, die durch die Teufelsschlucht voneinander getrennt sind. Von hier kann man sie nicht sehen.«
Plötzlich horchte der König der Lüfte auf und hakte neugierig nach: »Sind Sie ganz sicher, dass es zwei Berge sind?«
»Natürlich. Warum fragen Sie?«
»Weil ich noch nie dort war. Er kam mir zu groß vor, als dass er John McCrackens Berg sein könnte. Der war viel kleiner, aber wenn Sie sagen, dass es zwei sind, sieht die Sache ganz anders aus.«
»Nun, es sind zwei, so wahr ich hier in diesem Flugzeug sitze.«
Sobald sie gelandet waren, erzählte Jimmie seiner Frau, was er gerade erfahren hatte, aufgeregt wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal erfahren hat, wo die Kinder herkommen.
»Ist dir klar, was das bedeutet?«, wiederholte er wieder und wieder. »Verstehst du? Es sind zwei Tepuis und sie liegen genau dort, wo John McCrackens Berg liegt. Dreihundert Kilometer südlich des Orinoco und fünfzig Kilometer westlich des Caroní!«
»Wieso bist du denn nicht schon vorher darauf gekommen?«
»Weil sie alle beide ständig von Wolken verhüllt sind. Ich habe sie zwar mehrmals überflogen, aber die Schlucht, von der Pater Orozco gesprochen hat, habe ich nie sehen können. Sie muss sehr schmal sein, doch wenn es sie wirklich gibt, dann ist einer dieser beiden Gipfel wahrscheinlich McCrackens Heiliger Berg. Sobald ich sie mir aus der Nähe angesehen habe, werde ich wissen, auf welchem der beiden wir damals gelandet sind.«
»Alles mit der Ruhe!«, protestierte seine Frau. »Das Einzige, worum ich dich bitte, ist, dass du sehr genau überlegst, bevor du beschließt, auf dem Gipfel des Tepui zu landen.«
»Ich verspreche es! Ich werde erst landen, wenn ich ganz sicher bin. Mit etwas Glück kann ich an einem klaren Tag den Felsen wieder erkennen, auf dem wir damals gesessen und die Landschaft bewundert haben. Und wenn ich es einmal geschafft habe, dort zu landen, werde ich es auch ein zweites Mal schaffen.«
»Vergiss nicht, dass du jetzt eine größere Maschine fliegst, die mehr Platz braucht«, wandte sie ein. »Ich bin sicher, dass du auf dem Tepui landen kannst, die Frage ist nur, ob du auch wieder wegkommst. Die Maschine ist ziemlich schwer.«
»Aber sie hat einen stärkeren Motor und sie liegt besser in der Luft.«
»Trotzdem habe ich Angst um dich. Und wenn ich ehrlich bin, wird diese Angst von Tag zu Tag größer«, gestand seine Frau. »Ich habe mit dir die Rocky Mountains, die Gletscher von Kanada und einen großen Teil der Anden überflogen, aber keine dieser Gegenden, so menschenfeindlich und grausam sie auch waren, hat mir eine solche Angst eingejagt wie der Escudo Guayanés. Warum, kann ich dir nicht sagen.«
Читать дальше