»Ihr müsst doch verrückt gewesen sein, euch auf so etwas einzulassen!«
»Der Grund für diese Verrücktheit waren siebentausend Dollar. Siebentausend Dollar dafür, dass wir die verdammte Ladung sicher zu einer in aller Eile eingerichteten Piste drei Kilometer nördlich der brennenden Ölquelle brachten, deren Rauchsäule wir schon von weitem erkennen konnten. Und zweitausend für die Familie derjenigen, die es nicht bis zum Ziel schafften.«
»Mein Gott! Jetzt verstehe ich, warum du nie darüber reden wolltest.«
»Die Angst, die ich hatte, reichte für zwei. Ach was, für tausend Mann!« Jimmie schwieg eine Weile, während er an jenen verhängnisvollen Tag dachte, an den er sich so lebhaft erinnerte, als sei es erst gestern gewesen. »Wir vier arbeiteten die ganze Nacht an den Maschinen, obwohl nur drei fliegen würden.«
»Warum hast du nicht abgelehnt? Du wusstest doch, dass ich auf dich gewartet habe.«
»Ich brauchte das Geld, um die letzte Rate für die Tiger abzustottern. Am Morgen haben wir die Karten darüber entscheiden lassen, wer unten blieb und in welcher Reihenfolge die anderen drei fliegen sollten. Stanley hat verloren.«
»Verloren oder gewonnen?«
»Nenn es, wie du willst. Tatsache ist, dass er draußen war. Wir gaben ihm tausend Dollar, jeder steuerte ein Drittel bei. Alex sollte als Erster starten. Wenn er ans Ziel kam, würde er uns sofort Bescheid geben. Dann brauchten Gus und ich gar nicht erst zu starten und würden jeweils tausend Dollar Abfindung bekommen. Wenn Alex es nicht schaffte, war Gus dran und danach wäre ich gekommen…«
»Und Alex kam nie an.«
»Ja, so ist es. Er kam nie an. Um genau zu sein, er kam nicht mal dazu, sich in die Luft zu erheben. Sie hatten in Freeport, wo wir das Zeug abholen mussten, weil wir nicht von Houston aus fliegen durften, eine wenig befahrene Straße, die an der Küste entlang verlief, in eine Landebahn verwandelt. Mit Recht hatten sie eine Heidenangst davor, dass wir die ganze Stadt in die Luft jagen könnten.«
»Was für ein Wahnsinn, mein Gott!«
»Ja, es war reiner Wahnsinn. Aber noch schlimmer wäre es gewesen, wenn das Feuer auf die benachbarten Ölquellen übergegriffen hätte. Irgendetwas musste unternommen werden und wir waren die Einzigen, die dazu in der Lage waren. Also wurde die tödliche Fracht geladen, Alex verabschiedete sich von uns, drückte sich selbst den Daumen und forderte uns auf, die Bremsklötze zu entfernen und so weit wegzulaufen, wie wir konnten.«
Jimmie verstummte. Reglos starrte er in die Dunkelheit der Nacht, dann stand er langsam auf und ging ins Haus, um sich einen doppelten Whiskey einzuschenken, was er sonst nur noch selten tat.
Als er mit dem Glas in der Hand zurückkam, fuhr er fort.
»Ich habe mir immer gesagt, dass er überstürzt gehandelt hat. Er hatte noch viel Platz, aber er muss befürchtet haben, dass er nicht mehr ausrollen könnte, wenn ihm der Start misslang. Deshalb hat er wahrscheinlich versucht, zu früh hochzukommen. Der Motor war stark, aber vermutlich hat Alex das zusätzliche Gewicht der Ersatztanks und der Ladung im Heck falsch eingeschätzt…« Er setzte sich wieder hin. »Ich nehme an, dass einer der Ersatztanks verrutscht ist, denn plötzlich sahen wir, wie sonderbar sich der Flieger verhielt. Er kippte scharf nach rechts, dann fing er sich wieder, und plötzlich verwandelte er sich in einen Feuerball. Von einem Augenblick auf den anderen hatte er sich in Luft aufgelöst.«
»Mein Gott, der arme Alex.«
»Er hat nichts davon mitbekommen«, erklärte Jimmie. »Das ist wohl das einzig Gute an dem Zeug. Man leidet nicht, wie wenn man abstürzt, man merkt nicht einmal, dass man stirbt, dazu bleibt gar keine Zeit… Plötzlich ist alles vorbei, in einer Zehntelsekunde hörst du auf zu existieren.«
»Es tut mir weh und es macht mir Angst, wenn du so redest.«
»Deshalb rede ich auch nicht gern darüber. Ich will dir weder wehtun noch Angst machen.«
»Und weiter, was ist mit Gus passiert?«
»Er hat die Lektion gelernt. Wir warteten, bis sie die Piste gesäubert hatten, und dann ist er gestartet, perfekt, ein Bilderbuchstart. Er ließ die Maschine einfach von selbst abheben, ohne etwas zu forcieren. Er flog dicht über dem Meer und gewann ganz langsam an Höhe, Zentimeter um Zentimeter. Schließlich hatte er noch tausend Kilometer Meer vor sich.«
»Ist er angekommen?«
»Als er sich in der Ferne verloren hatte, eröffnete man mir, dass das Feuer in Tampico sehr rasch um sich griff und auch ich starten müsse, für den Fall, dass Gus es nicht schaffte. Wir durften keine Zeit mehr verlieren. Man bot mir die ganze Summe an, selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass Gus sein Ziel erreicht hatte. In diesem Fall sollte ich meine ganze Ladung Nitroglyzerin über dem Meer aus der Maschine werfen. Und so habe ich es dann auch gemacht.«
»Du hast das ganze Zeug ins Meer gekippt? Das kann ich nicht glauben!«
»So war es aber«, erklärte Jimmie. »Schon beim Start habe ich Todesängste ausgestanden, und auch während des ganzen Fluges. Die alte Douglas war von der Marine zu Recht ausgemustert worden. Sie wollte einfach nicht gehorchen. Jedes Mal, wenn man den Knüppel etwas lockerte, fing sie an zu bocken wie ein wildes Fohlen. Ich musste den Knüppel mit beiden Händen festhalten und so viel Druck ausüben, dass meine Handschuhe schweißgetränkt waren. Als ich endlich ankam und sah, wie Gus mir ein Zeichen machte umzukehren, habe ich gebetet wie noch nie in meinem ganzen Leben. Doch das Schlimmste sollte noch kommen. Meine Hände waren so verkrampft, dass ich die Riemen nicht lockern konnte, mit denen die Ladung festgezurrt war. Ich versuchte, die Fläschchen einzeln aus den Metallbehältern zu nehmen, aber sie rutschten mir weg, weil ich Handschuhe trug. Mein Gott!« Jimmie stöhnte. »Nachdem ich die letzte Flasche abgeworfen hatte, fühlte ich mich wie neugeboren. Ich schwor mir, nie wieder so einen Transport zu fliegen.«
»Ich kann nur hoffen, dass du deinen Schwur einhalten wirst.«
»Ich auch.«
In dieser Nacht schliefen sie leidenschaftlicher miteinander als je zuvor, als hätte die Erkenntnis, dass der Mann, den sie liebte, dem Tod so nahe gewesen war, in ihr ein längst vergessenes, besitzergreifendes Gefühl zu neuem Leben erweckt. Am nächsten Morgen bestand sie darauf, ihn bei seinem Erkundungsflug über den AuyanTepui und den ParanTepui zu begleiten.
Doch als sie die Lagune von Canaima erreichten und die vertraute Route am Fluss Carrao entlang in Richtung Norden flogen, sahen sie schon aus der Ferne, wie sich eine dichte Wolkenwand über die beiden Tafelberge schob. Sie mussten sich damit begnügen, über den nahe gelegenen Cerro Venado, den KúrunTepui und den KuravainaTepui zu fliegen, die noch nicht vom Dunst verhangen waren, und sei es nur, um sich einmal mehr davon zu überzeugen, dass keiner davon der Heilige Berg sein konnte, nach dem sie seit so langer Zeit suchten.
»Morgen starte ich eine Stunde vor Sonnenaufgang«, sagte Jimmie, kaum dass sie gelandet waren. »Ich fliege nach Kompass und werde über diesem verdammten Berg kreisen, sobald es hell wird. Was ist heute für ein Datum?«
»Der vierundzwanzigste März.«
»Dann ist morgen also der fünfundzwanzigste… Ein gutes Datum! Du bist an einem fünfundzwanzigsten geboren und du bist das Beste, was mir je begegnet ist.«
»Ich dachte, du bist nicht abergläubisch«, entgegnete sie, während sie ihn bei der Hand nahm und ins Haus führte.
»Bin ich auch nicht, aber vielleicht sollte ich langsam damit anfangen.«
»Ich komme mit.«
»Nein!«
»Aber…«
»Ich habe nein gesagt. Wenn die Sicht klar ist, will ich versuchen, da oben zu landen. Mit dir an Bord könnte ich das nicht.« Sie wollte etwas einwenden, aber Jimmie brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Bitte!«
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