Don Armour wollte sie minutiös, Zentimeter für Zentimeter. Sie ergab für ihn offenbar den allerschönsten Sinn. Einen Körper einfach nur zu besitzen hatte Denise nie viel bedeutet, ihn aber als etwas zu betrachten, wonach es sie selbst verlangen könnte — sich auszumalen, sie sei Don Armour auf Knien und begehre die verschiedenen Teile ihrer selbst — , ließ diesen Besitz verzeihlicher erscheinen. Sie hatte, was der Mann zu finden erwartete. Es machte ihr keinerlei Angst, wie er sich ein Merkmal nach dem anderen vornahm und es würdigte.
Als sie ihren BH aufhakte, senkte Don den Kopf und schloss die Augen.
«Was ist?»
«Man könnte sterben, so schön biste.»
Ja, das gefiel ihr.
Was sie empfand, als sie ihn in ihre Hände nahm, war ein Vorgeschmack darauf, was sie einige Jahre später als junge Köchin empfinden sollte, die mit ihren ersten Trüffeln, ihrer ersten Gänseleber, ihrem ersten Rogen hantierte.
An ihrem achtzehnten Geburtstag hatten ihre Theaterfreunde ihr eine ausgehöhlte Bibel geschenkt, in der sie außer einem Schlückchen Seagram's drei bonbonfarbene Kondome versteckt hatten, die sie jetzt gut gebrauchen konnte.
Don Armours Kopf, irgendwo über ihr, war ein Löwenkopf, eine Kürbislaterne. Als er kam, brüllte er. Seine abklingenden Seufzer überschnitten einander, überlappten sich beinah. Oh, oh, oh, oh. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie gehört. Sie blutete proportional zu ihrem Schmerz, der ziemlich schlimm gewesen war, und umgekehrt proportional zu ihrer Lust, die sich hauptsächlich in ihrem Kopf abgespielt hatte.
Nachdem sie aus dem Wäschekorb im Flurschrank ein schmutziges Handtuch gekramt hatte, ballte sie in der Dunkelheit triumphierend die Faust, weil sie, noch bevor sie aufs College ging, den Status der Nichtjungfräulichkeit erreicht hatte.
Weniger erfreulich war die Gegenwart eines stämmigen und etwas blutigen Mannes in ihrem Bett. Es war ein Einzelbett, das einzige, in dem sie je geschlafen hatte, und sie war müde. Das erklärte vielleicht, warum sie sich jetzt lächerlich machte, indem sie, ein Handtuch um den Leib gewickelt, mitten in ihrem
Zimmer stehen blieb und unversehens weinte.
Sie liebte Don Armour dafür, dass er zu ihr kam, seine Arme um sie legte und sich nicht darum scherte, dass sie sich wie ein Kind benahm. Er brachte sie ins Bett, fand ein Pyjamaoberteil für sie, half ihr, es anzuziehen. Dann kniete er sich neben das Bett, deckte sie zu und streichelte ihr über den Kopf, genau so, vermutete sie, wie er seine Töchter streichelte. Das tat er, bis sie fast eingeschlafen war. Dann weitete sich der Schauplatz seiner Liebkosungen auf Regionen aus, die, vermutete sie, bei seinen Töchtern tabu waren. Sie versuchte, im Halbschlaf zu bleiben, doch seine Berührungen wurden immer drängender, immer kratziger. Alles, was er mit ihr anstellte, kitzelte oder tat weh, und als sie zu wimmern wagte, erlebte sie zum ersten Mal, wie Männerhände ihren Kopf nach unten drückten, sie südwärts stießen.
Gott sei Dank machte er, nachdem er fertig war, keine Anstalten, die Nacht bei ihr zu verbringen. Er ging aus dem Zimmer, und sie lag reglos da, angespannt auf seine Schritte horchend. Schließlich — sie mochte zwischendurch eingedöst sein — hörte sie das Haustürschloss klicken und den Anlasser seines großen Wagens wiehern.
Sie schlief bis Mittag, und während sie im Erdgeschossbad unter der Dusche stand und zu begreifen versuchte, was sie getan hatte, hörte sie erneut die Haustür. Hörte Stimmen.
Hektisch spülte sie ihre Haare, hektisch trocknete sie sich ab und stürzte aus dem Bad. Ihr Vater hatte sich im Arbeitszimmer hingelegt. Ihre Mutter wusch in der Küche die Kühltasche aus.
«Denise, du hast ja gar nichts von dem gegessen, was ich dir hingestellt hatte!», rief Enid. «Du hast es überhaupt nicht angerührt!»
«Ich dachte, ihr kämt erst morgen zurück.»
«Fond du Lac war nicht annähernd so, wie wir gedacht hatten», sagte Enid. «Ich weiß nicht, was Dale und Honey daran
fanden. Eine riesengroße Seifenblase, das Ganze.»
Am Fuß der Treppe standen zwei Reisetaschen. Denise eilte daran vorbei und hinauf zu ihrem Zimmer, in dem schon vom Flur aus Kondomhüllen und blutbefleckte Bettwäsche zu sehen waren. Sie zog die Tür hinter sich zu.
Der Rest des Sommers war ruiniert. Sie war absolut einsam, sowohl bei der Arbeit als auch zu Hause. Sie versteckte das blutbefleckte Laken und das blutbefleckte Handtuch in ihrem Schrank, weil sie in ihrer Verzweiflung nicht wusste, was sie sonst damit machen sollte. Enid war von Natur aus wachsam und hatte eine Myriade müßiger Synapsen, die sich Aufgaben wie der, mitzukriegen, wann Denise ihre Periode bekam, hervorragend widmen ließen. Denise hoffte, in zwei Wochen, wenn es wieder so weit war, mit dem ruinierten Handtuch und Laken herausrücken und sich entschuldigen zu können. Enid jedoch hatte genügend Geisteskräfte in Reserve, um ihre Wäschestücke zu zählen.
«Ich vermisse eines meiner guten Badehandtücher mit Monogramm.»
«Oh, Schande, das habe ich im Schwimmbad liegen lassen»
«Denise, warum du auch ein gutes Handtuch mit Monogramm nehmen musst, wo wir doch so viele andere haben… Und ausgerechnet das Handtuch verlierst! Hast du im Schwimmbad angerufen?»
«Ich bin extra nochmal hingegangen und habe es gesucht.»
«Das sind sehr teure Handtücher.»
Fehler wie der, den sie jetzt vorgab, begangen zu haben, unterliefen Denise eigentlich nie. Die Ungerechtigkeit hätte weniger an ihr genagt, wenn das Ganze einem größeren Vergnügen gedient hätte — wenn es möglich gewesen wäre, zu Don Armour zu gehen und mit ihm darüber zu lachen und sich von ihm trösten zu lassen. Aber sie liebte ihn nicht, und er liebte sie nicht.
Im Büro war ihr die Freundlichkeit der anderen Zeichner jetzt suspekt; sie schien allzu leicht aufs Vögeln hinauszulaufen. Don Armour war zu verlegen oder zu diskret, um auch nur ihre Blicke zu erwidern. Er verbrachte seine Tage in apathischer Verbitterung über die Wroth-Brüder und war unfreundlich zu allen um ihn herum. Denise blieb nichts anderes übrig, als zu arbeiten, aber auf einmal wurde ihr der Stumpfsinn dessen, was sie tat, zur Last, auf einmal hasste sie es. Am Ende eines Tages schmerzten ihr Gesicht und ihr Nacken, weil sie ständig mit den Tränen kämpfte und ein Tempo vorlegte, das so ohne weiteres nur durchhalten konnte, wem die Arbeit Spaß machte.
So war das eben, sagte sie sich, wenn man unüberlegt handelte. Sie staunte, dass sie keine zwei Stunden nachgedacht hatte, ehe sie zu der Entscheidung gekommen war. Don Armours Augen und sein Mund hatten ihr gefallen, sie hatte beschlossen, ihm das, was er haben wollte, schuldig zu sein — und mehr war ihr, wenn sie sich recht entsann, nicht durch den Kopf gegangen. Eine schmutzige und reizvolle Gelegenheit war aufgetaucht (heute Nacht könnte ich meine Unschuld verlieren), und sie hatte sich darauf gestürzt.
Sie war zu stolz, vor sich selbst, erst recht aber vor Don Armour zuzugeben, dass er nicht war, was sie wollte. Sie war zu unerfahren, um zu wissen, dass sie einfach hätte sagen können: «Tut mir Leid — großer Fehler.» Stattdessen fühlte sie sich verpflichtet, ihm mehr von dem zu geben, was er wollte. Sie dachte, dass eine Affäre, hatte man sie erst einmal angefangen, auch eine Weile hielt.
Sie büßte für ihr Zaudern. Vor allem im Lauf der ersten Woche, bevor sie sich aufraffte, Don Armour ein zweites Treffen vorzuschlagen, saß ihr immer wieder, und das stundenlang, ein Kloß in der Kehle. Aber so leicht ließ sie sich nicht unterkriegen. Sie traf sich an drei aufeinander folgenden Freitagen mit ihm und erzählte ihren Eltern jedes Mal, sie gehe mit Kenny Kraikmeyer aus. Don Armour lud sie zum Essen in ein Familienlokal ein, das zwischen ein paar Läden an einer Ausfallstraße lag, und nahm sie danach mit zu sich in sein weit draußen gelegenes Kaff mitten in einem Tornadokorridor, eine von fünfzig Ortschaften, die sich St. Jude in seiner Ausbreitungswut nach und nach einverleibte. Er schämte sich dermaßen für sein kleines schäbiges Haus, dass es an Abscheu grenzte. Kein Haus in Denise' Vorort hatte so niedrige Decken oder bestand aus so billigen Materialien oder hatte Türen, die zu leicht waren, um sich ordentlich zuknallen zu lassen, und Fensterrahmen und Fensterschienen aus reinem Plastik. Um ihren Liebhaber zu beruhigen und ihn von dem Thema, dem sie am allerwenigsten abgewinnen konnte («dein Leben vs. mein Leben»), abzubringen, aber auch, um ein paar Stunden zu füllen, die sonst für sie beide bloß peinlich gewesen wären, zog sie ihn auf das ausklappbare Bett in seinem zugemüllten Keller und richtete ihren Perfektionismus auf eine ganz neue Welt der Fertigkeiten.
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