Ihr war in der Tat ziemlich übel. Sie konnte nichts weiter tun, als auf dem Sofa sitzen zu bleiben und Walters und Richards Witzeleien und kleinen Wortgefechten über Musik und Politik zuzuhören. Walter zeigte ihr geradezu enthusiastisch die Traumatics-Single und brachte Richard dazu, beide Seiten auf der Anlage abzuspielen. Der erste Song war «I Hate Sunshine», den sie im Herbst auf dem Konzert gehört hatte; jetzt kam er ihr vor wie das akustische Äquivalent von zu viel Nikotin im Blut. Selbst bei niedriger Lautstärke (Walter, versteht sich, war pathologisch rücksichtsvoll gegenüber den Nachbarn) verursachte er ihr Übelkeit und Beklemmung. Sie spürte Richards Augen auf sich, während sie seinem düsteren Bariton lauschte, und sie wusste, dass sie sich hinsichtlich der Art seiner Blicke bei ihren früheren Begegnungen nicht getäuscht hatte.
Um elf herum konnte Walter das Gähnen nicht mehr unterdrücken.
«Es tut mir so leid», sagte er. «Ich muss dich jetzt nach Hause bringen.»
«Ich komme auch allein klar. Zur Not kann ich mich ja mit meinen Krücken verteidigen.»
«Nein», sagte er. «Wir nehmen Richards Auto.»
«Nein, du Armer musst schlafen. Vielleicht kann Richard mich fahren. Würdest du das machen?», fragte sie ihn.
Walter schloss die Augen und seufzte kläglich, als würde das seine Kräfte übersteigen.
«Klar», sagte Richard. «Ich fahre dich.»
«Sie muss sich erst noch dein Zimmer ansehen», sagte Walter mit weiterhin geschlossenen Augen.
«Nur zu», sagte Richard. «Sein Zustand spricht für sich.»
«Nein, ich möchte eine Führung», sagte Patty und blickte ihn herausfordernd an.
Die Wände und die Decke des Raums waren schwarz gestrichen, und die punkige Unordnung, die im Wohnzimmer dank Walters Einfluss gebändigt worden war, kam hier mit aller Macht zum Ausbruch. LPs und LP-Hüllen, wo man auch hinsah, dazu mehrere Spucknäpfe, eine weitere Gitarre, überquellende Bücherregale, ein Durcheinander von Socken und Unterhosen und zerwühlte dunkle Bettwäsche, die die interessante und nicht unangenehme Vorstellung heraufbeschwor, dass Eliza darin kräftig radiert worden war.
«Schöne, fröhliche Farbgebung!», sagte Patty. Walter gähnte wieder. «Ich werd's natürlich neu streichen.»
«Es sei denn, Patty hat es gern schwarz», sagte Richard vom Türrahmen aus.
«Über Schwarz habe ich noch nie nachgedacht», sagte Patty. «Schwarz ist interessant.»
«Sehr beruhigende Farbe, finde ich», sagte Richard. «Und du ziehst also nach New York», sagte sie. «Ja.»
«Nicht schlecht. Wann?»
«In zwei Wochen.»
«Ach, genau zu der Zeit bin ich auch dort. Zur silbernen Hochzeit meiner Eltern. Da ist irgendeine grausige Veranstaltung geplant.»
«Du kommst aus New York?»
«Westchester County.»
«Wie ich. Aber wahrscheinlich aus einer anderen Gegend.»
«Na ja, aus einem Vorort.»
«Garantiert aus einer anderen Gegend als Yonkers.»
«Yonkers habe ich ganz oft vom Zug aus gesehen.»
«Genau das meine ich.»
«Fährst du mit dem Auto nach New York?», sagte Patty. «Wieso?», sagte Richard. «Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?»
«Hm, vielleicht! Hast du eine anzubieten?»
Er schüttelte den Kopf. «Muss ich erst drüber nachdenken.»
Dem armen Walter fielen die Augen zu; er war buchstäblich blind für diese Unterhandlung. Patty selbst war vor schlechtem Gewissen und Verwirrung ganz kurzatmig und hangelte sich auf ihren Krücken flink zur Wohnungstür, von wo sie ihm, aus der Ferne, einen Dank für den Abend zurief.
«Es tut mir leid, dass ich so müde geworden bin», sagte er. «Bist du sicher, dass ich dich nicht nach Hause fahren soll?»
«Ich mach das schon», sagte Richard. «Du gehst ins Bett.»
Walter sah wirklich jammervoll aus, aber das lag vielleicht auch nur an seiner Erschöpfung. Draußen auf der Straße, in der begünstigend lauen Luft, gingen Patty und Richard schweigend nebeneinanderher, bis sie an seinem rostigen Impala ankamen. Richard schien bemüht, sie nicht zu berühren, während sie sich ohne seine Hilfe in den Wagen setzte und ihm ihre Krücken herausreichte.
«Ich hatte einen Bus erwartet», sagte sie, als er dann neben ihr saß. «Ich dachte, alle Bands hätten Busse.»
«Den Bus hat Herrera. Das hier ist mein privates Transportmittel.»
«Und hiermit würde ich nach New York fahren.»
«Ja, pass auf.» Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss. «Du musst jetzt mal Nägel mit Köpfen machen. Weißt du, was ich meine? Das ist sonst Walter gegenüber nicht fair.»
Sie blickte starr geradeaus durch die Windschutzscheibe. «Was ist nicht fair?»
«Ihm Hoffnung zu machen. Ihn hinzuhalten.»
«Und du meinst, das tue ich?»
«Er ist ein außergewöhnlicher Mensch. Sehr, sehr ernsthaft. Du musst schon ein bisschen behutsam mit ihm umgehen.»
«Ich weiß», sagte sie. «Das brauchst du mir nicht zu sagen.»
«Und warum bist du dann zu uns gekommen? Ich hatte den Eindruck — »
«Ja? Was hattest du für einen Eindruck?»
«Ich hatte den Eindruck, dass ich gestört habe. Aber als ich dann einen Abgang machen wollte — »
«Mann, du bist ja wirklich ein Arsch.»
Richard nickte, als wäre es ihm herzlich egal, was sie von ihm hielt, oder als hätte er bescheuerte Frauen, die bescheuerte Sachen zu ihm sagten, satt. «Als ich einen Abgang machen wollte», sagte er, «hast du den Wink einfach ignoriert. Kein Problem, das ist deine Sache, aber dir sollte schon klar sein, dass du Walter irgendwie das Herz brichst.»
«Darüber möchte ich nun wirklich nicht mit dir reden.»
«Schön. Dann lassen wir's. Aber du verbringst doch viel Zeit mit ihm, stimmt's? Praktisch jeden Tag, stimmt's? Seit Wochen und Wochen.»
«Wir sind Freunde. Klar machen wir viel zusammen.»
«Nett. Und du kennst die Lage in Hibbing.»
«Ja. Seine Mutter braucht Hilfe im Motel.» Richard lächelte auf eine unangenehme Art. «Das ist alles, was du weißt?»
«Na ja, und dass es seinem Vater nicht gutgeht und dass seine Brüder rein gar nichts tun.»
«Das hat er dir also erzählt. Mehr weißt du nicht.»
«Sein Vater hat Emphyseme. Und seine Mutter irgendwelche Gebrechen.»
«Und er arbeitet fünfundzwanzig Stunden die Woche auf dem Bau und fährt ständig Bestnoten an der juristischen Fakultät ein. Und trotzdem ist er jeden Tag zur Stelle und hat alle Zeit der Welt, um was mit dir zu unternehmen. Wie schön für dich, dass er so viel Zeit hat. Aber du bist ja auch eine gutaussehende Tusse, du hast es verdient, stimmt's? Und dann hast du auch noch diese schreckliche Verletzung. Das und das gute Aussehen: das gibt dir das Recht, ihm nicht mal Fragen zu stellen.»
Patty kochte, so unfair fühlte sie sich behandelt. «Weißt du», sagte sie mit stockender Stimme, «er redet davon, was für ein Arsch du Frauen gegenüber bist. Davon redet er.»
Das schien Richard nicht im Geringsten zu interessieren. «Ich versuche das alles nur damit zusammenzubringen, dass du mit Klein-Eliza so dicke warst», sagte er. «Was mir jetzt schon eher einleuchtet. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, war das anders. Da kamst du mir wie ein nettes Mädchen aus der Vorstadt vor.»
«Dann bin ich also auch ein Arsch. Ist es das, was du mir damit sagen willst? Ich bin ein Arsch, und du bist ein Arsch.»
«Klar. Wie du meinst. Ich bin nicht okay, du bist nicht okay. Egal. Ich bitte dich nur, Walter gegenüber kein Arsch zu sein.»
«Das bin ich doch gar nicht!»
«Ich sage dir nur, was ich sehe.»
«Tja, da siehst du wohl irgendwas falsch. Ich habe Walter wirklich gern. Er bedeutet mir viel.»
«Und trotzdem scheinst du keine Ahnung zu haben, dass sein Vater bald an Leberzirrhose sterben wird und sein älterer Bruder wegen grob rücksichtslosen Fahrens im Gefängnis sitzt und der andere Bruder seinen ganzen Sold dafür ausgibt, die Raten für seine alte Corvette abzuzahlen. Und dass Walter im Durchschnitt ungefähr vier Stunden pro Nacht schläft, während du einfach so mit ihm befreundet bist und Sachen mit ihm unternimmst, nur damit du zu uns kommen und mit mir flirten kannst.»
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