»Ich zeige dir das Kreuz, das wir errichtet haben. Das Grab selbst ist leer.«
»Sie haben seine Leiche nicht heimgeschickt?«
»Oh doch, sie haben ihn in einen Zug gesteckt. Irgendwo in North Carolina versagte wieder mal unser großartiges Transportsystem, der Zug entgleiste, und es kam zu einem furchtbaren Unfall. Vierzig Piniensärge verbrannten, George Pickett schrieb, daß nichts übriggeblieben sei.«
Selten in seinem Leben hatte George einen solchen Schmerz empfunden. »Ich möchte trotzdem … trotzdem gern das Kreuz sehen und dort ein bißchen allein bleiben.«
Cooper beschrieb ihm den Weg zum Friedhof. Bei dem Kreuz zog George den Brief aus der Tasche, den er vier Jahre lang in seinem Schreibtisch aufbewahrt hatte. Den Brief an Orry. Er kniete nieder und grub vor dem Kreuz ein Loch in den sandigen Boden. Er legte den Brief hinein und glättete den Sand wieder. Obwohl er kein sehr religiöser Mensch war, faltete er die Hände und senkte den Kopf. So verharrte er dreißig Minuten und sagte seinem Freund auf Wiedersehen.
Der Nachmittag war eine Last. Die Mains schienen Fremde geworden zu sein. Oder verzerrte lediglich ihre Notlage die Perspektive?
Nein, vieles hatte sich geändert; bedeutete das, daß sich alles geändert hatte?
Das Abendessen hob die Stimmung ein bißchen, und die Unterhaltung wurde etwas lebhafter. Cooper bildete eine Ausnahme. Er sagte kaum etwas. Georges Befürchtungen verstärkten sich. Cooper anzusehen, das war so, als versuche man eine Seite in einer orientalischen Sprache zu lesen. Nichts ließ sich entziffern.
George räusperte sich. »Lange vor dieser schrecklichen Zeit waren unsere Familien eng miteinander befreundet.« Brett drückte sich gegen Billy, der hinter ihr stand. »In einigen Fällen sogar mehr als nur befreundet«, fügte er mit mildem Lächeln hinzu.
Der liebevolle Blick von Constance ermutigte ihn, und er fuhr zuversichtlicher fort: »Das muß auch so bleiben. Vor vier Jahren glaubte ich, daß wir einer schweren Prüfung entgegengehen würden. Orry und ich, wir versprachen uns, daß wir trotz des Krieges die Bande der Freundschaft zwischen uns und unseren Familien erhalten würden.«
Dann kam das Feuer, und ich befürchtete , das sei nicht möglich.
»Wir schafften es«, er wandte sich zu Cooper, »zumindest meiner Einschätzung nach.«
Orrys Bruder schwieg weiterhin. Mühsam fuhr George fort: »Jetzt fürchte ich etwas anderes. Ich glaube, uns steht eine zweite Zeitspanne der Feindseligkeit und des Kampfes bevor, die auf ihre Weise noch schlimmer als der Krieg werden könnte. Bei all dem Kummer und den Verlusten auf beiden Seiten, wie ließe sich das vermeiden? Wir müssen bereit sein, all dem zu trotzen. Wir müssen wieder – «
Er hob einfach nur die rechte Hand; sein Gesicht schweifte langsam von Gesicht zu Gesicht. Dann, ganz ruhig: »Wir müssen die Bande stark halten.«
Niemand bewegte sich. Niemand sprach. Gott im Himmel, er hatte versagt. Er persönlich hatte versagt, aber, schlimmer noch, er hatte auch Orry im Stich gelassen. Wenn er nur die richtigen Worte finden könnte.
Brett reagierte als erste, griff nach Billys Hand. Madeline, die Augen voller Tränen, nickte einmal kräftig und zustimmend. Doch es war Cooper, der ernst für sie alle sprach.
»Ja.«
Die plötzliche Erleichterung machte George ganz benommen; er sah die Mains lächeln, sich erheben und hielt hastig beide Hände in die Höhe. »Einen Moment noch. Es gibt einen besonderen Grund für unseren Besuch auf Mont Royal. Ich wollte Euch ein Zeichen für meinen Glauben an unsere Freundschaft überbringen.«
Er ging zu dem Holzklotz zurück, der ihm als Hocker diente, und schob mit dem Fuß eine kleine Mappe vor. »Erkennt das jemand?«
Mit einem leicht verwirrten Lächeln kratzte sich Cooper am Kinn. »Hat sie nicht meinem Bruder gehört?«
»Ja. In dieser Mappe brachte Orry das Geld, um das Darlehen zurückzuzahlen, das ich zur Finanzierung der Star of Carolina gegeben hatte. Orry machte im Frühjahr 1861 die gefährliche Reise nach Lehigh Station mit über sechshunderttausend Dollar in bar – alles, was er zusammenkratzen konnte. Das werde ich ihm nie vergessen, auch nicht«, wieder räusperte er sich, »wieviel mir Orry bedeutete. Ich kam her, um ebenso wie er eine Ehrenschuld zurückzuzahlen. Ich möchte einige meiner Mittel in eure Hände legen, um euch beim Wiederaufbau zu helfen.«
Er nahm die Mappe und überreichte sie Cooper. »Ich konnte keine zuverlässigen Informationen über die Banksituation in diesem Staat bekommen. Vermutlich ist sie immer noch chaotisch.«
Cooper nickte.
»Nun, ich bin Hauptaktionär der Bank von Lehigh Station, die ich bei Kriegsbeginn gründete. In dieser Mappe befindet sich ein auf meine Bank gezogener Kreditbrief. Der ursprüngliche Betrag beläuft sich auf vierzigtausend Dollar«, Madeline schnappte nach Luft, »aber es steht mehr zur Verfügung. Soviel Ihr braucht. Jetzt – « er errötete überraschenderweise. »Ich frage mich, ob ich noch ein bißchen von dem köstlichen Beerenpunsch haben könnte, den es heute nachmittag gegeben hat? Meine Kehle ist plötzlich ganz ausgetrocknet.«
137
Santa Fe war fliegenverseucht und scheußlich. Ashton war überzeugt davon, daß die Hölle, falls sie existierte, nicht heißer sein konnte.
Nach drei Wochen Wartezeit in ihrem zwar sauberen, aber vollgestopften Zimmer kam sie sich wie ein altes Weib vor. Die staubtrockene Luft machte Falten, vor allem um die Augen herum. Würde Lamar ihre trockene, sonnengerötete Haut mißfallen?
Als sie nach dieser entsetzlich langen Kutschenfahrt Santa Fe erreicht hatte, fand sie Powells Brief vor und rechnete mit dem Eintreffen der beiden Wagen innerhalb einer Woche. Die Woche verging, dann die nächste, dann die dritte. Ihr Optimismus begann ebenso zu schwinden wie ihre Geldmittel. Jetzt waren ihr nur noch ein paar Dollar geblieben.
An einem Samstag gegen Ende der dritten Woche erregte ein kleiner Aufruhr auf der sonnenüberfluteten Plaza ihre Aufmerksamkeit. Eine Kavalleriepatrouille war mit der Leiche eines jungen Mannes aufgetaucht.
»Haben ihn bei Winslows Handelsstation aufgegabelt, westlich von hier am Rio Puerco«, erklärte der Yankee-Lieutenant. »So weit – drei, vier Meilen – ist er mit seinen drei Stichwunden gekrochen, nachdem die Jicarillas den Rest seines Trupps massakriert hatten.«
Ashton überlief es eiskalt. Über das Rauschen in ihren Ohren hinweg hörte sie schwach die Stimme des Lieutenants.
»Winslow verband seine Wunden, aber länger als zwölf Stunden lebte der Junge nicht mehr.« Nein, dachte Ashton, Powells Trupp war es bestimmt nicht.
Sie fürchtete sich, die Aufmerksamkeit dieser wüst aussehenden Soldaten zu erregen, aber schließlich konnte sie ihre Neugier nicht länger unterdrücken und näherte sich dem Sergeant, der von allen noch den saubersten Eindruck machte.
»Können Sie mir sagen, ob dieser Trupp Wagen mit sich führte?«
Der Sergeant stammte aus Indiana, war aber trotzdem höflich und hilfreich. »Ja, Ma’am, der Händler sagte, der tote Junge habe Wagen erwähnt. Zwei wurden verbrannt und in die Schlucht gestoßen, wo das Massaker passiert war.«
Sie schwankte benommen. Die Augen des Sergeants wurden schmal. Was spielte es schon für eine Rolle, wenn er mißtrauisch wurde? Sie brauchte Gewißheit.
»Hieß der Anführer des Trupps Powell?«
»Richtig. Irgendein Reb.«
»Und er ist –?«
Ein Nicken. Erst dann dachte Ashton an ihren Mann.
»Der Rest auch?«
»Alle. Kannten Sie jemanden davon?«
»Mr. Powell – nur dem Namen nach, nicht persönlich.«
Das Mißtrauen des Sergeants wuchs. Wenn sie in keiner Verbindung zu den Opfern stand, weshalb hatte sie sich nach den Wagen erkundigt? Hochmütig wandte sich Ashton von dem Sergeant ab und lauschte den Worten des Lieutenants, der mit anderen über die Wagen sprach.
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