»Noch eins – «
»Ja?« sagte Judith.
»Wir möchten heiraten.«
Glückwünsche kamen von allen Seiten, bis Andy unterbrach. »Aber nicht auf die alte Weise. Nicht, indem wir über Besen springen. Und wir werden beide unsere Namen ändern. Jane und Andy sind Sklavennamen. Sie wurden uns gegeben. Wir möchten uns unsere eigenen Namen aussuchen.«
Angespanntes Schweigen. Dann hob Cooper einfach nur die Hand.
»Gut.«
George sagte: »Ich wünsche euch beiden das Beste. Es wird nicht leicht sein für euch hier unten, zumindest nicht in der nächsten Zukunft. Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob es im Norden viel besser wäre.«
Mit einem Hauch von Traurigkeit sagte Jane: »Ich weiß. Die Leute fühlen sich von schwarzen Gesichtern irgendwie bedroht. Das macht ihnen Angst. Nun, ich kann es nicht ändern. Sie haben für unsere Freiheit gekämpft, Major Hazard, jetzt müssen wir den Kampf weiterführen. Ich rechne mit vielen weiteren Kämpfen, bevor die Weißen auch nur beginnen, uns zu akzeptieren.«
In dem folgenden unbehaglichen Schweigen runzelte Cooper die Stirn, und Billy mußte sich eingestehen, daß Jane recht hatte. Er brauchte sich nur seine eigene Einstellung, die er noch vor ein paar Jahren gehabt hatte, vor Augen zu führen. Er teilte die Auffassung seines Bruders: Ein Krieg war zwar vorbei, aber der nächste begann gerade.
139
Unkraut und wilde Gräser, die seinem Maultier bis über die Knie reichten, wehten im warmen Wind. Charles’ Umhang bauschte sich, als er in den Hof einbog; ein unheilvolles Gefühl beschlich ihn. Die Felder waren nicht bearbeitet worden. Es war ein herrlicher Tag. Die frische Luft hätte das Haus gesäubert, aber alle Fensterläden waren verschlossen. Die offene Stalltür bildete ein finsteres Rechteck.
»Washington? Boz?«
Der Wind pfiff.
»Irgend jemand hier?«
Sonnenblumen wiegten sich dort, wo der Garten gewesen war. Weshalb wartete er auf eine Antwort? Hatte er die nicht schon erhalten, als er auf der vernarbten Straße über den letzten Hügel geritten war und das Haus so still hatte liegen sehen, die Felder leer und unbestellt im Sonnenschein?
Sie hatte das Haus abgesperrt, bevor sie – wohin auch immer – weggegangen war. Mit einem Ellbogen zerbrach er das Fenster an der Küchentür, griff hindurch und sperrte auf. Möbel und Küchengeschirr befanden sich noch an Ort und Stelle.
Er rannte in ihr Schlafzimmer; seine Stiefel polterten über den Boden. Das Bett war ordentlich gemacht, und auf dem Tischchen daneben entdeckte er ein Buch von Pope, mit einem blauen Band als Lesezeichen. Bestimmt hätte sie das nicht zurückgelassen, wenn sie für längere Zeit fortbleiben wollte. In ein oder zwei Tagen würde sie zurück sein.
Zur Bestätigung riß er ihren Schrank auf, in Erwartung, ihre Kleidung vorzufinden.
Leer.
Er zersägte einige Bretter, nagelte sie innen vor das zerbrochene Fenster, nahm das Buch und zurrte die Tür mit einem Stück Seil zu.
Er wollte gerade sein Muli besteigen, als er das Buch beim Lesezeichen aufschlug. Er schluckte. Das Gedicht hieß ›Ode an die Einsamkeit‹. Mit zierlicher Feder hatte Gus vier Zeilen unterstrichen.
So laß mich leben, ungesehen, unbekannt,
So laß mich sterben unbeklagt;
Aus der Welt mich stehlen, und kein Stein
Verrät den Ort, an dem ich liege.
Er fluchte und klappte das Buch zu. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Den ganzen Weg bis Fredericksburg trieb er das Maultier mit den Stiefeln an.
In zwei Läden forschte er ohne Erfolg nach. Der Besitzer des dritten Ladens, ein stämmiger Metzger, gab ihm einige Informationen.
»Sie hat ihre beiden freien Neger gehen lassen. Der jüngere, Boz, kam hier durch und erzählte es mir. Paar Nächte später verschwand sie ohne ein Wort.«
»Wie lange ist das her?«
»Einige Monate.«
»Und seitdem haben Sie sie nicht mehr gesehen?«
»So ist es.«
»Aber wohin zum Teufel ist sie verschwunden?«
»Was glaubst du, wen du vor dir hast, Soldat? Ich bin ein Mann der Union.« Seine Hand glitt über den feuchten, roten Holzblock zum Hackmesser. »An deiner Stelle wäre ich höflicher zu Leuten, die euch geschlagen haben, sonst tun sie’s vielleicht noch mal.«
Charles lief rot an, zügelte aber seinen Ärger. »Tut mir leid. Ich bin weit geritten, um sie zu finden.«
Der Metzger grinste. »Vielleicht wollte sie gar nicht von dir gefunden werden? Je daran gedacht? Mrs. Barclay hat ihre Farm verlassen, ohne einer Seele in Fredericksburg oder Umgebung zu sagen, wohin sie geht.«
Charles ging hinaus, betroffen von der Wahrheit in den bösartigen Worten des Metzgers. Sie hatte seine Rückkehr nicht gewünscht, sonst hätte sie auf ihn gewartet. Oder zumindest ihr Reiseziel verraten. Statt dessen hatte sie ein Gedicht über den Tod zurückgelassen. Das Ende von allem.
Der Schmerz, die Ungewißheit des Verlustes trafen Charles von Sekunde zu Sekunde schwerer. Er versuchte seine Gefühle nicht zu unterdrücken. Und selbst wenn er es gewollt hätte, er hätte es gar nicht gekonnt.
140
Der Corporal, der den Zwei-Mann-Trupp befehligte, stammte aus Illinois. Seine Ausbildung hatte er an einem winzigen College im Nachbarstaat erhalten und war dann nach Danville zurückgekehrt, wo er an einer Schule, die aus einem einzigen Zimmer bestand, unterrichtete, ehe er sich freiwillig meldete. Er war vierundzwanzig Jahre alt. Sein kleiner Trupp war einer von den vielen, die im Schutt von Richmond nach unverbrannten Regierungsdokumenten suchen sollten.
»Hier ist eine kaum beschädigte Kiste, Sid«, sagte einer der Soldaten. In diesem Teil des Lagerhauses hatten sie gestern einige Pakete noch nicht zugestellter Briefe entdeckt, die meisten davon zumindest angesengt. Als sie die Kiste aufbrachen, fanden sie anscheinend unversehrte Bündel, wurden aber gleich darauf enttäuscht. Der Soldat zeigte Sid den obersten Brief eines Bündels, das er in der Hand hielt.
»Müssen einen kräftigen Regen abgekriegt haben. Schätze, die Kiste war nicht dicht. Adressen sind unleserlich.«
Der Corporal studierte den Brief.
»Sind die anderen auch so?«
Der Soldat blätterte den Stoß durch. »Alle gleich.«
Erfreut sagte Sid: »Ich denke, dann sollten wir die Briefe öffnen. Vielleicht steht drinnen noch mal die Adresse.« Das war ein Vorwand; er langweilte sich und wollte eine Weile sitzen.
Sie rissen einen Brief nach dem anderen auf. Nach zwanzig Minuten langweilte Sid sich schon wieder. Aber Befehl war nun mal Befehl.
Nach einer Stunde richtete er sich plötzlich auf. »Hör mal, der hier klingt interessant. Unterschrieben von J.B. Duncan – einem unserer eigenen Offiziere.«
Er zeigte dem Soldaten die Abkürzungen und Initialen, die auf den Namen folgten. »Brigadier General, Freiwilligenarmee der Vereinigten Staaten. Aber adressiert ist er an jemanden, den er ›Mein lieber Major Main‹ nennt. Meinst du, das ist ein Reb, Chauncey?«
»Ziemlich wahrscheinlich, sonst wäre der Brief kaum hier, oder?«
Sid nickte. »Scheint um irgendeine Frau namens Augusta zu gehen – oh Gott, hör dir das an: Sie wurde von Ihnen schwanger, und obwohl sie zur Zeit Ihres letzten Besuches um ihren Zustand wußte, sagte sie nichts, um keinen moralischen Druck auf Sie auszuüben – « Mit neu erwachter Begeisterung sagte Sid: »Das ist wenigstens mal ein gebildeter Mann. Tolle Geschichte.«
»Ziemlich heiße Sache«, bemerkte Chauncey.
Sid las weiter. »Die Schwangerschaft war genauso schwierig, um nicht zu sagen gefährlich, wie jene zur Zeit ihrer Ehe mit Mr. Barclay. Den unglücklichen Ausgang kennen Sie, glaube ich. Da sie während der schlimmsten Kämpfe närrischerweise auf ihrer einsamen Farm blieb, veranlaßte ich, daß meine Nichte über den Potomac geschmuggelt wurde und in mein gegenwärtiges Haus in Washington kam. Hier brachte sie am 23. Dezember Ihren Sohn zur Welt, einen hübschen, gesunden Jungen, dem sie den Namen Charles gab. Bedauerlicherweise muß ich sagen – «
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