Mürrisch sagte Huntoon: »Ist es wichtig?«
Ein charmantes Lächeln. »Sonst hätte ich nicht gefragt.«
»Ich bin entsetzlich müde.«
»Nur fünf Minuten. Dann kannst du lange schlafen.«
»Also gut.«
Das Feuer knackte unter dem schwarzen Himmel, als sie auf die Felsen zugingen. Aus ziemlicher Nähe ertönte ein Tierschrei, halb Japsen, halb Knurren. Banquo Collins richtete sich auf und schob seine Hutkrempe hoch. Einer der Fahrer warf dem Scout einen Blick zu.
»Berglöwe?«
»Nein, mein Junge. Dieses Tier hat zwei Beine.«
133
Am gleichen Tag, um einiges früher, ritt Charles weiter nach Norden in den Frühling von Carolina hinein; ein grünes, wogendes, blühendes Land. Er bemerkte kaum etwas davon, sah nur Gus vor sich.
Er ritt in dem heißen Sonnenschein dahin, als er einen Reiter auf sich zukommen sah. Sofort war er auf der Hut, bis ihm klar wurde, daß er sich immer noch in North Carolina befand. Der Reiter trug eine graue Uniform.
»Colonel Courtney Talcott, First Light Artillery Regiment von North Carolina, zu Ihren Diensten, Sir. An Ihrem Hemd und Revolver sehe ich, daß Sie vermutlich Soldat sind?« Ein gewisser Verdacht schwang in der Frage des Colonels mit.
Charles murmelte: »Jawohl, Sir. Major Main, Hamptons Kavallerie-Scouts. Wo ist die Armee?«
»Die Armee von Northern Virginia?« Charles nickte. »Dann haben Sie es noch gar nicht gehört?«
»Was gehört? Ich war unten am Ashley, auf der Suche nach einem Ersatzpferd.«
»Vor mehr als drei Wochen hat General Lee von General Grant die Übergabebedingungen verlangt. In Appomattox, in Virginia.«
Charles schüttelte den Kopf. »Das wußte ich nicht. Ich habe mir beim Zurückreiten Zeit gelassen.«
»Das kann man wohl sagen.« Talcotts Stimme klang mißbilligend. »Sie müssen nicht weiter. Die Armee hat sich aufgelöst. General Johnston und seine Männer befanden sich noch im Feld, aber möglicherweise haben auch sie mittlerweile kapituliert. Der Krieg ist vorbei.«
Schweigen. Der Artillerieoffizier warf Charles einen schrägen Blick zu und wiederholte mit mehr Betonung: »Vorbei.«
Charles zwinkerte und nickte: »Ich wußte, daß es so kommen würde. Ich wußte nur nicht wann.« Der Offizier machte ein finsteres Gesicht. »Danke für die Information.«
Frostig: »Nichts zu danken. Ich an Ihrer Stelle würde umkehren und heimreiten, Major. In Virginia gibt es nichts mehr zu tun.«
Oh doch, es gab.
Der Artillerist ritt weiter. Charles blieb in sich zusammengesunken mitten auf der Straße auf seinem Maultier sitzen. Jetzt war es offiziell. Sie hatten verloren. Für einen Augenblick haßte er jeden verdammten Yankee, aber das ging schnell vorüber. Eine Mischung aus Erleichterung und Verzweiflung überwältigte ihn.
Er wußte, daß es für ihn nur einen Weg gab, wenn er nicht den Verstand verlieren wollte: nach Virginia zu reiten und zu versuchen, den Schaden wieder gutzumachen, den er in seiner Dummheit angerichtet hatte. Zuerst aber kam die Pflicht. Immer kam die Pflicht zuerst. Er mußte sich um Mont Royal kümmern, mußte es vor Gefahren schützen, die er jetzt noch gar nicht erahnen konnte. In dem Moment, wo er zu Hause alles erledigt hatte – Virginia.
Er hob die Zügel, drehte den Kopf des Mulis und ritt schnell den Weg zurück, den er gekommen war.
134
Ein strahlender Vollmond stand am Himmel; Huntoon und Powell erreichten den Rand der Schlucht. Huntoon war froh, stehenbleiben zu können. Seine Füße schmerzten. Powells rechte Hand glitt in seine Jackentasche.
Huntoon nahm seine Brille ab, polierte die Gläser und sagte schließlich: »Was möchtest du mit mir besprechen?«
Mit einem rätselhaften: »Schau da runter!« nickte Powell in Richtung Schlucht. Huntoon beugte sich vor, spähte in den Abgrund. Powell zog die vierläufige Sharps und schoß ihm in den Rücken.
Der Anwalt stieß einen kleinen, japsenden Schrei aus. Er drehte sich um und griff nach Powells Jackenaufschlag. Powell schlug mit der freien Hand nach ihm. Huntoons Brille verschwand in der Finsternis unter ihm.
Huntoon blinzelte wie ein neugeborenes Tier, versuchte, den Blick auf den Mann zu richten, der auf ihn geschossen hatte. Während der Schmerz durch seinen Körper fuhr, verstand er den ganzen Verrat. Von Anfang an war alles so geplant gewesen.
Wie naiv er doch gewesen war! Natürlich hatte er vermutet, daß Ashton und Powell ein Liebespaar waren. Deshalb hatte er ja auch den Brief an seinen Anwaltskollegen in Charleston geschrieben. Später dann, in der neuerwachten Hoffnung, Ashtons Zuneigung durch eine Mutprobe seinerseits zurückzugewinnen, hatte er die Instruktionen in diesem Brief bedauert, war aber nie dazugekommen, sie zurückzunehmen. Und was er in St. Louis gesehen hatte, war der Anlaß für den zweiten Brief gewesen; den Brief, den er ihr gegeben hatte.
»Laß mich los«, sagte Powell angeekelt und jagte Huntoon eine zweite Kugel direkt in den Bauch. Huntoon taumelte zurück und machte einen Schritt in den leeren Raum. Dann war nur noch das dumpfe Aufschlagen von Huntoons Körper zu hören.
Lächelnd betrachtete Powell den vollen Mond. Er stellte sich Ashtons Brüste mit den dunklen Warzen vor, die nun ihm allein gehörten. Er fühlte sich jugendlich. Zufrieden. Erfrischt.
Hinter einem Felsblock tauchte für einen kurzen Augenblick ein kleiner, dünner Mann im Mondlicht auf. Powell sah den Mann nicht, auch nicht den zweiten, der auftauchte, als der erste sprang. Er hörte den Aufprall und wirbelte erschrocken herum. Er packte die Sharps, aber irgendwie verfing sie sich im Jackenfutter. Der Tomahawk knallte auf seinen Kopf, ein mächtiger, genau gezielter Schlag, der seine linke Schläfe zerschmetterte. Er war bereits tot, als er auf die Knie stürzte und vornüber sank.
Der kleine Apache grinste und hielt die bluttriefende Keule triumphierend in die Höhe. Sein Gefährte sprang und landete neben ihm. Ein halbes Dutzend weitere Indianer glitten hinter den Felsen hervor, barfuß und leicht wie Tänzer. Sie schlichen auf das Stimmengewirr und den Schein des Feuers zu.
Als die beiden Schüsse aufbellten und die Fahrer losbrüllten, begann Banquo Collins seine Ausrüstung zusammenzuraffen. Einer der Fahrer fragte: »Wer hat geschossen? Apachen?«
»Bezweifle ich. Die nehmen lieber eine Keule oder schlitzen dir mit einem Messer die Kehle auf. Außerdem riskieren sie’s nicht, bei einem Kampf nachts zu sterben. Sie glauben, im Jenseits hätten sie dann die gleichen Bedingungen wie in der Todesstunde, und sie möchten lieber im ewigen Sonnenschein leben. Also nichts zu befürchten, klar?«
Jetzt hatte Collins seine Ausrüstung beieinander. Er zog den Hut in die Stirn und marschierte los, weg vom Feuer. Jetzt wurde der Fahrer munter. »Wohin zum Teufel gehst du?«
Mit gesenktem Kopf marschierte der Scout weiter. Noch ein paar Schritte, und er konnte zwischen den großen –
»Collins, du feiger Hund, komm zurück!«
Er warf sich zur Seite und griff zum Revolver. Der Schuß, den der Fahrer abgefeuert hatte, ging zwei Meter daneben und prallte vom Felsen ab. Collins verschwendete keine Kugel. Nach einigen weiteren Schritten drehte er sich um. Er sah die Jicarillas aus der Dunkelheit jenseits des Feuers hervorstürmen und die drei Männer umzingeln. In wilder Angst stürzte Collins davon, hörte hinter sich das scharfe Bellen, mit dem sie Kojoten imitierten. Das Bellen war nicht laut genug, um die Schreie zu übertönen.
Stolpernd und taumelnd durchquerte Collins den Fluß. Die Männer waren ihm egal; was zählte, war seine eigene Haut und dann, in zweiter Linie, die Wagen mit ihrer wertvollen Fracht. Im Flachwasser auf der anderen Seite eilte er flußaufwärts, bis er einen guten Beobachtungspunkt erreichte. Er befand sich fast gegenüber der Schluchtmündung, über der das Camp lag. Die Apachen hatten Holz auf das Feuer gelegt. Gelegentlich sah er Flammen über die hohen Felsen schlagen.
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