Diese Worte lösten schließlich eine Reaktion aus: Coopers Augenlider flatterten, und seine Lippen preßten sich zusammen. Mallorys Gesicht sah fast so grau aus wie das des Mannes im Bett.
»Ich konnte in dem verdammten Zug nicht schlafen, da habe ich über irgendeine höfliche Formulierung nachgedacht, mit der ich deinen sofortigen Rücktritt fordern könnte. Es gibt keine. Deshalb – «
»Sie haben meinen Sohn getötet.«
Die plötzlichen Worte ließen Mallory zusammenfahren. »Was soll das? Die Gefangenen, die du angegriffen hast? Unsinn.«
Coopers Hände zuckten über die Decke, ziellose weiße Spinnen ohne Netz. Er zwinkerte wieder schnell und sagte heiser: »Die Profitler haben meinen Sohn getötet. Der Krieg hat ihn getötet.«
»Das war tragisch, das streite ich gar nicht ab. Aber in diesen Zeiten war es auch nichts Außergewöhnliches.«
Coopers Kopf ruckte hoch. In den tiefen Höhlen seiner Augen flackerte Ärger. Mallory drückte ihn sanft zurück.
»Nichts Außergewöhnliches, außer für dich und deine Familie. Hast du keine Ahnung von den Zahlen? Wieviele Väter ihre Söhne verloren haben? Das sind Hunderttausende, über den ganzen Süden verteilt. Und übrigens auch über den ganzen Norden. Nach einer angemessenen Zeit der Trauer nehmen die meisten dieser Väter wieder ihr Leben auf. Sie legen sich nicht ins Bett und heulen.«
Der Minister sackte ein bißchen in sich zusammen. Seine Bemühungen waren anstrengend und, schlimmer noch, erfolglos. Mit einem Taschentuch fuhr er sich übers Gesicht. Ein letzter Versuch noch.
»Du hast dem Marineministerium mehr als zuverlässig gedient, Cooper. Im Fall der Hunley hast du großen Mut bewiesen. Wenn du der gleiche Mann bist, der auf dem Grunde des Hafens von Charleston zweieinhalb Stunden lang verbrauchte Luft und Todesangst ertragen hat, dann benötige ich deine Dienste immer noch. Dieser Krieg ist noch nicht beendet. Die Soldaten und Matrosen kämpfen immer noch, genau wie ich. Deshalb wäre ich bereit, auf ein Rücktrittsgesuch zu verzichten. Aber um die Arbeit wieder aufzunehmen«, streng wie ein Vater erhob er sich, »müßtest du dich aus dem Bett erheben. Bitte teile mir deine Entscheidung innerhalb von zweiundsiebzig Stunden mit.«
Er achtete sorgfältig darauf, die Türe lauter als notwendig zu schließen.
Unten bei Judith wischte er sich erneut das schwitzende Gesicht ab. »Das war das Schwerste, was ich je getan habe – mein Mitgefühl für diesen armen Mann zu verbergen. Es bricht mir das Herz, ihn so zu sehen.«
»Es hat sich schon lange angedeutet, Stephen. Eine Anhäufung von Müdigkeit, Frustration, Kummer; ich habe keine Möglichkeit, dagegen anzukämpfen. Weder freundliche noch ärgerliche Worte nützen etwas. Ich dachte, ein Schock wäre vielleicht notwendig. Deshalb bat ich Sie um dieses Vorgehen.«
»Ich habe das nicht nur gespielt. Wichtige Männer haben von mir seinen Rücktritt gefordert.«
»Oh, das glaube ich.«
Sie küßte seine Wange, und Mallory errötete. »Ich schulde Ihnen Dank.«
»Was ich sagte, war brutal – zumindest für mich. Ich hoffe nur, daß es etwas genützt hat.«
Nachdem er gegangen war, kümmerte sich Judith um ihre häuslichen Angelegenheiten, bis sie von einem Geräusch aufgeschreckt wurde. Sie blickte zur Decke. Hatte sie sich das eben nur eingebildet?
Nein. Schwach, aber unmißverständlich klingelte das kleine Glöckchen erneut.
Vor Hoffnung weinend, rannte sie die Treppe hoch, riß die Tür auf und trat in die abgestandene Luft des Zimmers. Sehen konnte sie ihn nicht in der Dunkelheit, aber hören konnte sie ihn deutlich.
»Judith, könntest du vielleicht die Vorhänge öffnen, damit etwas Licht hereinkommt?«
Der salzige Wind wehte vom Meer her in das Schlafzimmer an der Tradd Street. Am Nachmittag nahm Cooper etwas Fleischbrühe zu sich. Dann ruhte er sich aus, den Kopf den hohen Fenstern zugewandt, vor denen die große Eiche und das Dach des Nachbarhauses zu sehen waren.
Er fühlte sich schwach, als hätte er gerade einen schweren Fieberanfall überwunden. »Mein Kopf ist klar. Ich fühle – wie soll ich es ausdrücken? Ich fühle mich nicht mehr so wie vor Stephens Besuch. Nicht mehr so wütend.«
Sie zog ihn sanft an ihren kleinen Busen, legte den linken Arm um seine Schulter. »Als du diesen Gefangenen angegriffen hast, da ist etwas in dir wie ein Kessel geplatzt. Du hast die Sklaverei verachtet, aber als du vor drei Jahren deinen Platz einnahmst, da tatest du das mit all der Entschlossenheit, mit der du dich zuvor dagegen gewandt hattest. Das war lobenswert, aber ich glaube, schreckliche Kräfte gerieten dadurch in dir in Widerstreit. Judahs Tod machte alles noch schlimmer.« Sie drückte ihn an sich. »Was immer auch die Gründe gewesen waren, ich danke Gott, daß es dir besser geht. Wäre ich katholisch, ich würde sie bitten, Stephen heiligzusprechen.«
»Ich hoffe, ich bin wieder bei Vernunft. Ich schäme mich furchtbar. Wie geht es dem Sergeant, den ich angegriffen habe?«
»Eine Gehirnerschütterung. Aber er erholt sich wieder.«
Ein erleichterter Seufzer. »Du hast recht mit dem Kampf in mir. Das ist noch nicht vorüber. Ich weiß, der Krieg ist verloren, aber ich denke, ich sollte mich trotzdem wieder an die Arbeit machen, wenn das Ministerium mich will. Übrigens, wo ist Stephen?«
»Er ruht sich im Mills House aus. Was die Arbeit anbelangt – ich würde eine Weile darüber nachdenken. Meine Gefühle dem Krieg gegenüber haben sich nicht geändert. Als Sumter fiel, waren das auch deine Gefühle. Dieser Krieg ist nicht nur falsch, Cooper, weil alle Kriege falsch sind, sondern auch, weil für eine unmoralische Sache gekämpft wird – nein, bitte, laß mich ausreden. Wir haben die Freiheit anderer menschlicher Wesen gestohlen und aus diesem Diebstahl Vermögen angehäuft.«
Er nahm ihre Hand; seine Stimme klang wie die eines verwirrten Kindes. »Ich weiß, daß du recht hast. Aber ich weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll.«
»Überlebe den Krieg. Arbeite für Stephen, wenn du mußt. Was immer du entscheidest, es wird richtig sein. Dein Kopf ist jetzt klar. Aber verspreche dir – und mir –, daß du nach dem Fall des Südens genauso hart für den Frieden arbeiten wirst. Du weißt, was der Haß einem Mann antun kann.«
»Haß bringt immer mehr Haß hervor, und aus dem Schmerz darüber erwacht neuer Haß und – «
Sie ließ ihren Tränen freien Lauf, drückte ihn fester an sich. »Oh, Cooper, wie ich dich liebe. Der Mann, den ich geheiratet habe – er ging für eine Weile weg – aber ich glaube – ich habe ihn wiedergefunden.«
Er hielt sie fest, während sie Freudentränen vergoß.
Schließlich fragte sie ihn, ob er mit Mallory sprechen wollte. Cooper bejahte. Er würde ein frisches Nachthemd und einen Morgenmantel anziehen und ihnen beim Abendessen Gesellschaft leisten. Judith klatschte in die Hände und rannte los, um Marie-Louise zu suchen.
Cooper spülte sich den Mund aus und zuckte beim Anblick des ausgemergelten Mannes im Rasierspiegel zusammen. Er wechselte das Nachthemd, zog einen alten Morgenmantel an und suchte seine Hausschuhe. Dann ging er nach unten.
Marie-Louise war sprachlos, als sie ihn sah. Dann weinte sie auf und warf sich in seine Arme. Judith hielt Coopers Hand, als Mallory kam und Cooper mit ihm sprach.
»Stephen, ich werde für den Rest meines Lebens in deiner Schuld stehen. Dein Besuch heute hat mich gerettet. Du besitzt meine höchste Bewunderung und wirst sie immer haben. Aber ich kann nicht mehr für dich arbeiten. Etwas hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Ich möchte, daß der Krieg ein Ende findet. Ich möchte, daß das Sterben aufhört. Deshalb plane ich, meine Zeit mit Schreiben und Reden zu verbringen, für ehrenvolle Friedensverhandlungen in Verbindung mit der Emanzipation eines jeden Negers, der noch im Süden in Sklaverei gehalten wird.«
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