»Bison!«
Den Blick auf die Richmond-Straße gerichtet, sagte Charles, »Hm?«
»Du hast mich schon mal gerettet. Jetzt werd’ ich immer in deiner Schuld stehen, da komme ich nicht mehr – «
»Schau zu, daß du aus der Konföderation herauskommst, das reicht.«
»Mein schlimmstes Problem ist wahrscheinlich mein Akzent. Wenn ich Fragen beantworten muß – «
»Sprich langsam. So ungefähr. Verschluck ein paar von dienen g’s, und sag, du kommst aus dem Westen. Niemand in Virginia weiß wirklich, wie ein Missourirebell redet.«
Billy lächelte. »Gute Idee. Ich war in St. Louis stationiert.« Ernster fügte er hinzu: »Du hast mir von Orrys Heirat und einer Menge anderer Sachen erzählt, aber von dir kein Wort. Wie ist es dir ergangen? Bei welchem Kommando bist du?«
»Ich bin Scout für General Wade Hamptons Kavallerie, ich komme gut zurecht«, log Charles. »Ich würde noch weit besser zurechtkommen, wenn dieser Krieg vorüber wäre. Schätze, das wird bald der Fall sein.«
Er wollte was über Gus sagen, aber wozu eine Beziehung erwähnen, die ohnehin enden mußte? »Ich würde gern die ganze Nacht reden, über du solltest jetzt los.«
»Ja, ich glaube auch.« Mit langsamen Bewegungen, von Schmerzen geplagt, bestieg er das Maultier. Charles half ihm nicht; Billy mußte es selbst schaffen.
Als Billy im Sattel saß, trat Charles vor. Sie schüttelten einander die Hände.
»Gute Reise. Richte Cousine Brett meine besten Grüße aus, wenn du sie siehst.«
»Dasselbe von mir an Orry und Madeline. Ich weiß, was er riskiert hat, um mir zu helfen. Du natürlich auch.«
Das Lachen klang gezwungen. »West Point kümmert sich um seine Leute, nicht wahr?«
»Mach keine Witze, Bison. Ich werde nie in der Lage sein, dir das zurückzuzahlen.«
»Das erwarte ich auch nicht. Weich bloß die nächsten acht oder zehn Monate unseren Kugeln aus, dann können wir einander in Pennsylvania oder South Carolina besuchen. Und jetzt los.«
»Gott segne dich, Bison.«
Mit überraschend kräftiger Stimme trieb Billy das Maultier an und war bald schon in der Dunkelheit verschwunden.
Charles fühlte sich leer und ausgebrannt. Er hätte einen Whiskey dringend nötig gehabt. »Na komm«, sagte er zu dem Grauen und schwang sich in den Sattel.
Die Uhr schlug vier. Charles wirbelte, die nackten Füße auf einem Kissen ausgestreckt, den letzten Schluck Bourbon im Glas herum und trank dann aus.
»Ich hab’s mit der Angst bekommen und ihn erschossen. Panik – das ist das einzig passende Wort dafür.«
Madeline sagte: »Ich glaube, es ist nicht leicht, jemanden zu töten, selbst wenn es ein Feind ist.«
»Oh, man gewöhnt sich dran«, sagte Charles. Sie und Orry tauschten einen schnellen Blick, aber das sah er nicht. »Der Posten war sowieso derjenige, der Billy gefoltert hatte. Was mich beunruhigt, ist die Tatsache, daß ich die Beherrschung verloren habe. Ich dachte, ich hätte genug hinter mir, um mit solchen Situationen fertig zu werden.«
»Wie viele Gefängnisausbrüche hast du denn schon durchgeführt?« fragte Orry leicht sarkastisch.
»Ja, das ist was neues«, nickte Charles gedankenverloren.
»Wie sah Billy aus?« fragte Madeline.
»Weiß und krank. Schwach wie sonstwas. Ich habe keine Ahnung, ob er auch nur den halben Weg zum Rapidan schafft.«
»Wie geht’s Brett? Hat er was von ihr gesagt?«
Charles schüttelte den Kopf. »Von Brett hat er seit Monaten nichts mehr gehört. Dieser Wachposten, Vesey, hat jeden Brief vernichtet, den Billy schrieb, also wird er wohl auch die ankommenden Briefe vernichtet haben. Orry, hast du ein bißchen Geld für den Stallmann übrig? Sein Maultier wird er nie wiedersehen.«
»Ich kümmere mich drum«, versprach Orry.
Charles gähnte. »Habt ihr was dagegen, wenn ich mich schlafen lege?« Er griff nach einer Decke. Orry drehte das Gas ab und wünschte ihm eine gute Nacht. Voll angekleidet rollte sich Charles in die Decke und schloß die Augen.
Der Schlaf wollte nicht kommen. Zu viele Geister waren aufgewacht und strichen durch die Nacht.
Er fiel in Schlaf, als ein ferner Kirchturm fünf Uhr schlug. Er schlief eine Stunde, träumte von Gus und von Billy, der in einem sonnenhellen Feld lag, von Kugeln durchsiebt und von fetten, schwarzen Fliegen umschwärmt.
Madeline schenkte ihnen Kaffee-Ersatz ein, und Charles setzte sich seinem Cousin gegenüber, nachdem er sich zuvor Wasser über Gesicht und Hände gespritzt hatte.
Orrys Gesichtsausdruck zeigte, daß ihm etwas Ernstes durch den Kopf ging. Charles wartete, bis sein Cousin damit herausrückte.
»Wir hatten gestern nacht soviel zu bereden, daß ich gar nicht zu den anderen schlechten Nachrichten gekommen bin.«
»Ärger zu Hause?«
»Nein, direkt hier in der Stadt. Ich habe eine Verschwörung aufgedeckt. Der Präsident und Mitglieder seines Kabinetts sollten ermordet werden.« Charles lächelte ungläubig. »Jemand, der uns beiden gut bekannt ist, ist in die Sache verwickelt.«
»Wer?«
»Deine Cousine. Meine Schwester.«
»Ashton?«
»Ja.«
»Gütiger Himmel«, sagte Charles. Er war selbst überrascht, wie wenig ihn diese Mitteilung verwunderte; kaum mehr als mildes Erstaunen. Sein Inneres verhärtete sich mehr und mehr, konnte kaum noch von etwas berührt werden.
Orry erzählte der Reihe nach, was sich alles ereignet hatte.
»Ein paar Tage danach glaubte ich wirklich, ich sei verrückt. Aber das hab’ ich jetzt hinter mir. Sie mögen Freunde in hohen Positionen haben, die ihnen geholfen haben, die Spur zu verwischen, aber ich weiß, was ich gesehen habe. Die Verschwörung existiert wirklich, Huntoon ist daran beteiligt, genau wie Ashton.«
»Was wirst du unternehmen?«
Orrys Blick machte Charles klar, daß er nicht der einzige war, der sich einen Panzer zugelegt hatte.
»Ich werde sie mir schnappen.«
103
Sie überraschten ihn beim ersten Tageslicht am Bachufer, schlichen sich an, während er schlief. Keiner der drei stellte sich vor. In Gedanken gab er ihnen Namen – Narbengesicht, Eindäumige, Hundegesicht. Alle trugen sie zerfetzte Konföderiertenuniformen.
Um ihr Mißtrauen zu zerstreuen, teilte er seinen letzten Zwieback und Schinken mit ihnen. Sie berichteten von ihren Erlebnissen während der letzten Tage, wohl mehr, wie Billy vermutete, um das Schweigen des Maimorgens zu füllen.
»Grant schickte hunderttausend in die Wildnis gegen unsere sechzigtausend. Es wurde so heiß gekämpft, daß die Bäume Feuer fingen. Unsere Jungs erstickten entweder am Rauch oder wurden von brennenden Ästen erschlagen.«
»Wie weit ist die Front noch entfernt?« fragte Billy.
Hundegesicht antwortete: »Zwanzig, dreißig Meilen. Was meint ihr?« Seine Gefährten nickten. »Aber wir gehen in die andere Richtung. Zurück nach Alabama.« Er warf Billy einen forschenden Blick zu, wartete auf eine Reaktion; Verachtung vielleicht.
»Die Omen sind schlecht«, sagte der Eindäumige. »Old Pete Longstreet, er wurde von einer Kugel von unserer Seite verwundet, gerade so wie vor einem Jahr Stonewall. Und ich habe gehört, der kleine Junge von Jeff Davis ist vor ein paar Tagen vom Balkon des Weißen Hauses gestürzt. Tot. Wie ich schon sagte – schlechte Omen.«
Narbengesicht, der älteste, wischte sich Fett vom Mund. »Mächtig nett von dir, Missouri, deinen Vorrat mit uns zu teilen. Wir haben fast nichts, was uns auf unserm Heimweg helfen könnte«, mit einer glatten Bewegung zog er seinen Revolver und richtete ihn auf Billy, »also sind wir dir dankbar, wenn du kein Theater machst und uns ein bißchen unterstützt.«
Fünf Minuten später verschwanden sie mit seinem Maultier und seinem Paß.
Laternenschein fiel auf die nackten, schwarzen Oberkörper. Rufe klangen durch die Dunkelheit, das Klirren und Klappern der Schienen, die von den Waggons abgeladen wurden, Gehämmer, das Gequak der Frösche aus den Sumpfgebieten nahe des Potomac. Eine Gruppe von Georges Männern packte eine Schiene, rannte damit vor und ließ sie auf die ein paar Augenblicke zuvor gelegten Eisenbahnschwellen fallen. Es war die Nacht des 9. Mai; oder genauer, der Morgen des 10. Mai. Seit der gestrigen Morgendämmerung waren die Reparaturarbeiten an der beschädigten Aquia & Fredericksburg-Linie bis hinunter nach Falmouth in Gang.
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