Er reckte seinen großen, fast kahlen Schädel vor und senkte die Stimme, wie jeder gute Washingtoner, wenn er einen kleinen Plan ausheckt.
»Lassen Sie Ihre Bitte um einen Transfer dem Generaladjutanten durch die entsprechenden Kanäle zukommen – und achten Sie darauf, daß eine Kopie an General Ripley geht. In der Zwischenzeit werde ich mich für Sie einsetzen. Inoffiziell, versteht sich. Falls wir Erfolg haben, bereiten Sie sich auf einen Kampf mit Minister Stanton vor.« Er streckte die Hand aus. »Ich wünsche Ihnen Glück.«
George hatte die von Halleck angesprochenen Papiere bereits vorbereitet. Er schickte sie augenblicklich los und wurde viel früher als erwartet zum Minister zitiert.
Im Gebäude des Kriegsministeriums, in dem George sich am Montag um halb drei meldete, herrschte eine eindeutig düstere Atmosphäre. Meade hatte getrödelt; Lee war ihm glatt entwischt; die allgemeine Wehrpflicht löste mehr Gewalt in den Straßen von New York City aus. Vom Präsidenten hieß es, daß er nach einer Periode intensiver Aktivität und Hoffnung in eine weitere Depression gestürzt sein sollte.
»Sie möchten für Haupt arbeiten? Mein lieber Major«, sagte Stanton mürrisch, »wissen Sie, daß er niemals offiziell den Rang eines Brigadiers nach seiner Ernennung im letzten September akzeptiert hat? Wer kann schon sagen, wie lange er noch das Kommando über die Militäreisenbahnen hat?«
Aus der Stimme des bärtigen, buddhaähnlichen Mannes hörte George Abneigung und eine Warnung heraus. »Nichtsdestoweniger, Sir«, sagte er, »wünsche ich diesen Transfer. Ich kam auf Minister Camerons Bitte ins Waffenamt, und ich habe mich bemüht, meinen Pflichten ordnungsgemäß nachzukommen, obwohl ich mir dabei nie sehr nützlich vorgekommen bin. Ich möchte in direkterer Weise dienen.«
»Würde es Ihre Meinung ändern, wenn ich Ihnen sage, daß General Ripley vielleicht bald aus dem Dienst ausscheidet?« Ein unaufrichtiges Lächeln. »Der General ist immerhin bereits neunundsechzig.«
»Nein, Sir, das hätte keine Auswirkungen auf meine Bitte.«
»Wollen wir offen sein, Major Hazard. Seit Ihrem Eintritt hier habe ich eine gewisse Feindseligkeit in Ihrer Stimme entdeckt – nein, bitte, ersparen Sie mir irgendwelche Einwände.« George errötete; er hatte nicht erkannt, daß seine Gefühle so durchsichtig waren. »Ich glaube, Sie mögen dieses ganze Ministerium nicht. Habe ich recht?«
»Sir – « Sag besser nichts, geh hinaus, und die Sache ist erledigt. Aber sein Charakter und sein Gewissen wollten das nicht zulassen. »Bei allem Respekt, Herr Minister – jawohl, Sie haben recht. Ich stimme mit einigen Verfahrensweisen des Kriegsministeriums nicht überein.«
»Könnten Sie etwas deutlicher werden, Sir?«
»Da ist diese Sache mit Eamon Randolph – «
Laut unterbrach ihn Stanton. »Darüber weiß ich nichts.«
»Soviel ich weiß, wurde der Mann von Angehörigen Ihres Detective Bureau zusammengeschlagen, einzig und allein deswegen, weil er die Politik dieses Ministeriums kritisiert hat – was ich für das gute Recht eines jeden Bürgers gehalten hatte.«
»Nicht in Kriegszeiten.« Stantons Lächeln wurde kalt. »Darf ich hinzufügen, Major, falls Sie sich je Hoffnungen auf eine dauerhafte militärische Karriere gemacht haben, so können Sie die begraben. Sie sind über das Ziel hinausgeschossen.«
»Bedaure«, sagte George, was keineswegs den Tatsachen entsprach. »Die Sache hat mir auf dem Gewissen gelegen, und es ist allgemein bekannt, daß Lafayette Baker für Sie arbeitet.«
Immer noch dieses Lächeln, tödlich und verschlagen. »Durchsuchen Sie das gesamte Ministerium einschließlich der Papierkörbe, Sie werden nicht den Hauch eines Beweises finden, der diese Behauptung stützt. Und jetzt verlassen Sie freundlicherweise mein Büro. Ich werde mit Freude Ihr Gesuch befürworten – Sie und dieser verrückte Haupt sind aus dem gleichen Holz geschnitzt.«
»Sir – «
Stanton hämmerte auf seinen Schreibtisch. »Hinaus.«
George hörte, wie sich hinter ihm die Tür öffnete. Jemand kam hereingestürzt. »Ihr Bruder möchte gehen«, sagte der Minister. George wandte sich um und sah Stanley vor sich, bleich vor Sorge und Angst. »Sorgen Sie bitte dafür, daß er es mit dem nötigen Tempo tut.«
Stanley packte Georges Ärmel. »Komm.«
»Stanley«, Georges Stimme senkte sich um eine halbe Oktave, »vor langer Zeit hab’ ich dich schon mal niedergeschlagen. Nimm deine Hand weg, oder ich tu’s wieder.«
Zwinkernd gehorchte Stanley, das Gesicht schweißüberströmt. Was bin ich doch für ein Idiot, dachte George, ein halsstarriger, großmäuliger Idiot. Und doch hatte ihm sein kleines Sprüchlein ein Gefühl des Stolzes und der Erleichterung vermittelt – und er war noch nicht fertig.
»Wenn diese Regierung den Krieg nur dann gewinnen kann, wenn sie jeden, der die leiseste Kritik äußert, zusammenschlagen läßt oder einsperrt, dann möge Gott uns gnädig sein. Dann haben wir es verdient, zu verlieren.«
Sanft, ganz sanft strich sich Stanton durch den Bart. Aber er war fahl vor Wut. »Major Hazard«, sagte er, »ich würde vorschlagen, Sie verschwinden, falls Sie nicht wegen Aufruhrs vors Kriegsgericht gestellt werden möchten.«
Als sich die Bürotür geschlossen hatte, flüsterte Stanley: »Ist dir eigentlich klar, wen du beleidigt hast?«
»Jemanden, der es verdient hat.«
»Weißt du, wie sehr das deiner Karriere schaden kann?«
»Meine sogenannte Karriere ist eine Farce. Von mir aus können sie mich morgen aus der Armee schmeißen. Ich würde mit Freuden zurück nach Lehigh Station gehen und Kanonen bauen.«
»Du könntest wenigstens an mich denken, George.«
»Das tue ich«, erwiderte er, immer noch wütend. »Ich hoffe, Stanton grillt dich bei lebendigem Leib, weil du so einen aufrührerischen Verwandten besitzt. Dann kannst du nach Massachusetts gehen und Militärstiefel verkaufen – an beide Seiten, wie ich gehört habe.«
»Du verdammter, lügnerischer – «, fing Stanley an und versuchte gleichzeitig, George mit einem wilden Schwinger zu treffen. Aber Stanley war schwächlich und seine Bewegung matt. George brauchte nur die linke Hand zu heben, um die Faust seines Bruders beiseite zu wischen. Er stülpte sich den Hut auf den Kopf und marschierte aus dem Gebäude.
Er eilte in Haupts Büro, fand niemanden vor und hinterließ eine Nachricht:
Habe mit Minister S. gesprochen und meine Armeekarriere ruiniert. Plane, mich zur Feier des Tages zu besaufen. Transfer scheint gewiß.
86
Der Arbeitszug mit zwei Plattformwagen ratterte nach Süden auf Manassas zu. Der schwere Duft des Regens hing über dem grauen Tag.
Pinienzweige reckten sich neben den Schienen und strichen über Billys Gesicht. Mit baumelnden Beinen, den Karabiner neben sich, saß er auf der Seite eines der Wagen. Unter seinem Hemd steckte ein kleines Schreibheft für seine Tagebucheintragungen. Seine staubigen Hosen verbargen teilweise die am Rand des Wagens weiß aufgemalte Inschrift U.S.M.R. NO. 19.
Im schüttelnden Rhythmus des langsam fahrenden Zuges dachte er an eine ganze Anzahl von Dingen: Brett, nach deren Gesellschaft er sich sehnte, und wenn es nur für eine einzige Nacht gewesen wäre; Lije, dessen Tod eine so sinnlose Verschwendung schien; die beunruhigenden telegraphischen Nachrichten von New York, die sie gerade noch vor ihrer Abfahrt gehört hatten. Die Stadt war bereit für Demonstrationen, vielleicht sogar für Aufruhr, als die ersten Namen zur Einberufung gezogen wurden.
Die Pioniere hatten am Gettysburg-Feldzug teilgenommen, dabei allerdings nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Jetzt befanden sie sich wieder in Virginia, und Billy und sechs Mannschaftsdienstgrade waren zur Orange & Alexandria abkommandiert worden, um eine neue Linie nahe der Bull-Run-Bockbrücke zu überwachen. Guerillas hatten die Bockbrücke in letzter Zeit zum sechsten oder siebten Mal zerstört.
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