Er deutete auf sein leeres Glas. Isabel betupfte ihre Oberlippe mit einem Taschentuch. »Du hattest bereits vier, Stanley.«
»Nun, dann will ich eben noch eins. Laurette!« Das Mädchen füllte das Glas mit rotem Bordeaux. Er nahm einen kräftigen Schluck, während seine Frau die Hand an die Stirn führte. Merkwürdige Veränderungen gingen mit ihrem Mann vor. Die berufliche Verantwortung, die auf seinen Schultern lastete, und die gewaltigen Summen, die sich auf ihren Bankkonten ansammelten, schienen irgendwie zuviel für ihn zu sein.
»Was ist sonst noch schiefgelaufen?« fragte sie.
»Einer von Bakers Männern war in Port Tobacco. Er hörte, daß Mr. Dayton, der Bursche, der Randolph zusammengeschlagen hat, anscheinend zum Feind übergelaufen ist, nachdem ihn Baker aus der Stadt gejagt hat. Gott weiß, was für wichtige Informationen er mitgenommen hat.« Er kippte den restlichen Wein hinunter und ließ sich nachschenken. »Zusätzlich ist jetzt noch die allgemeine Wehrpflicht in Kraft. Die Leute hassen das Gesetz. Wir erhielten bereits Berichte von Protesten, von Gewalttätigkeit – «
»Hier?«
»Hauptsächlich in New York.«
»Nun, mein Lieber, das ist ein gutes Stück entfernt von diesem Haus; und ausnahmsweise könntest du deinem Glück mal dankbar sein. Du könntest einberufen werden – jung genug bist du noch –, wenn du nicht im Kriegsministerium wärst oder reich genug, um einen Ersatzmann bezahlen zu können.«
Immer noch mürrisch dreinschauend, schlürfte Stanley seinen Wein. Isabel schickte Laurette aus dem Zimmer und trat hinter ihren Mann. »Trotz all deiner Sorgen haben wir noch Glück, Stanley. Wir sollten dankbar sein, daß der Kongreß die Weisheit hatte, die Ersatzklausel einzubauen. Dankbar, daß es der Krieg des reichen Mannes, aber der Kampf des armen Mannes ist, wie es so schön heißt.«
»Constance?« Sie lag neben George im Bett, an diesem schwülen Mittwoch nach Gettysburg, und deutete mit einem Murmeln an, daß sie zuhörte. »Was soll ich tun?«
Seit Monaten hatte sie diese Frage erwartet; gefürchtet.
»Du meinst wegen des Ministeriums?« fragte sie, obwohl das kaum nötig war.
»Ich kann die Dummheit und die Politisiererei nicht länger ertragen. Und all das Geld, das aus Tod und Leiden gemacht wird – Gott sei Dank habe ich nichts mit Stanleys Kontrakten zu tun. Ich würde sie ihm in die Kehle stopfen, bis er daran erstickt.«
Ihre linke Brust begann zu schmerzen. In letzter Zeit hatte sie häufig diese dumpfen Schmerzen verspürt, in ihren Beinen, im ganzen Brustbereich, hinter der Stirn. Sie vermutete einen ganz einfachen Grund dahinter – Sorge. Sie sorgte sich um ihre Kinder, um ihren Vater im fernen Kalifornien, um ihr Gewicht, das sich jeden Monat um ein oder zwei Pfund vergrößerte. Am meisten Sorgen machte sie sich um George.
Vor allem Ripleys Starrsinn war nicht mehr zu ertragen; es gab unzählige Beispiele dafür. Seine wachsende Verbitterung darüber hatte George zu der Frage heute abend veranlaßt. Sie lag regungslos in der Dunkelheit ihres Bettes.
»Was würdest du gerne tun, George?«
»Welche Antwort möchtest du hören, die Idealvorstellung oder die realistische?«
»Gibt es zwei? Dann die Idealvorstellung zuerst.«
»Ich würde gern für Lincoln arbeiten.«
»Ehrlich? Bewunderst du ihn so sehr?«
»Ja. Seit dem Abend, als wir uns beim Arsenal trafen, habe ich das Gefühl, ich kenne ihn gut. Der Mann besitzt Qualitäten, die in dieser Stadt verdammt knapp sind. Ehrlichkeit. Idealismus. Stärke. Ja, ich wünschte, ich könnte in irgendeiner Form für ihn arbeiten, aber da ist kein Platz.«
»Du hast dich erkundigt?«
»Sehr diskret. Ich habe dir nichts davon erzählt, weil ich es ohnehin für unmöglich hielt.«
»Und wie lautet die realistische Antwort?«
»Ich kann zu den Militäreisenbahnen gehen, wenn Herman Haupt mich will. Es ist eine gute Alternative. Und ich bin begierig darauf.«
Seine prompte Antwort machte ihr klar, daß er diesen Gedanken schon seit einiger Zeit hegte. Betont ruhig sagte sie: »Das ist Felddienst. Dicht bei den Schlachtlinien.«
»Manchmal, ja. Aber es ist eine Arbeit, von der ich glaube, daß ich sie tun kann und daß ich stolz darauf sein kann.«
Schweigen, nur vom ewigen Gerumpel der nächtlichen Wagen unterbrochen. Er spürte ihre Spannung und rollte sich auf die Seite, streichelte ihren Busen, so wunderbar tröstend in seiner Vertrautheit.
»Möchtest du, daß ich es nicht tue?«
»George, in – «, sie räusperte sich, »– in unserer Ehe stellt keine Seite solche Fragen, das weißt du.«
»Ich möchte trotzdem gerne wissen – «
»Tu, was du tun mußt«, sagte sie und küßte ihn. Sie zwinkerte schnell, in der Hoffnung, er möge ihre Tränen nicht spüren, die ihr die Angst in die Augen getrieben hatte.
»Also Herman – brauchst du einen neuen Mann?«
Spät am nächsten Tag stellte George diese Frage, als er und der bärtige Brigadier an Willards Bar lehnten. Haupt sah erschöpft aus. Er war quer durch Pennsylvania gehetzt, um die Bahnlinien von Gettysburg zu reparieren.
»Du kennst die Antwort darauf. Die Frage ist, wird der Minister dich gehen lassen?«
»Bei Gott, das möchte ich ihm geraten haben. Ich ertrage es nicht, innerhalb einer Meile von diesem Mann zu arbeiten.« Er schlürfte eine rohe Auster von der Platte vor ihm. »Vermutlich hast du von dem Randolph-Skandal gehört?«
»Wer nicht? Ich denke, er darf nicht darüber schreiben, aber er sammelt Zuhörer und wiederholt die Geschichte bei jeder sich bietenden Gelegenheit.«
»Damit hat er verdammt recht. Es ist eine Schande.«
»Nun, solche philosophischen Überlegungen mal beiseite, ich rate dir dringend, schnell zu handeln. Ich glaube, Stanton will meinen Kopf. Ich verabscheue ihn genauso wie du, und er weiß das. Wie willst du den Wechsel bewerkstelligen?«
»Morgen habe ich eine Verabredung mit dem Kommandierenden General.«
»Mit Halleck? Dem Meister des Papierkriegs? Ich wußte nicht, daß du mit Old Brains bekannt bist.«
»Ich bin ihm zweimal auf gesellschaftlicher Ebene begegnet. Er ist ein Mann der Akademie.«
»Die Klasse von ‘39. Vier Jahre nach mir. West Pointler halten zusammen – verläßt du dich darauf?«
»Ja«, sagte George. »Ein bißchen habe ich kapiert, wie diese Stadt funktioniert, Herman.«
Henry Halleck, der George zehn Minuten in seinem Terminkalender einräumte, war mehr Gelehrter als Soldat, jedoch ein fähiger Verwalter.
Vom Fenster aus, wo er in seiner üblichen Pose stand, die Hände hinter dem Rücken auf seiner makellosen, sauber geknöpften Uniform verschränkt, sagte er: »Als ich Ihren Namen in meinem Kalender las, habe ich mir Ihre Akte kommen lassen, Major. Sie ist außerordentlich. Sie sind fest entschlossen, das Waffenamt zu verlassen?«
»Jawohl, General. Ich möchte mich nützlicher machen. Der Dienst am Schreibtisch ist schal geworden.«
»Ich vermute, Sie meinen, Ripley ist schal geworden«, sagte Halleck mit einem seltenen Anflug von Humor. »Wie Sie wissen, ist er Ihr Vorgesetzter. Wegen eines Transfers müßten Sie sich an ihn wenden.«
Wohl wissend, was er riskierte, schüttelte George den Kopf. »Bei allem Respekt, Sir, das kann ich nicht. General Ripley würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit meine Bitte abschlagen. Wenn ich allerdings mit Ihrer Genehmigung direkt zum Generaladjutanten gehen könnte – «
»Nein, das ist nicht statthaft.«
George wußte, er hatte verloren. Aber Halleck sprach weiter: »Ich verstehe allerdings Ihre Zwangslage und fühle mit Ihnen. Ich weiß, Sie kamen nur auf Camerons Betreiben nach Washington, motiviert von einem starken patriotischen Pflichtgefühl. Ich begrüße Ihren Wunsch, sich mehr dem Kern der Dinge zuzuwenden. Wenn Sie das schaffen wollen, dann muß es ordentlich gemacht werden.«
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