»Jedenfalls«, sagte einer der New Yorker Freiwilligen, »ist die ganze Sache eine Beleidigung des weißen Mannes. Keiner wird ihn unterstützen. Nicht in dieser Armee.« Viel Zustimmung.
»Ich denke, es wird eine verteufelte Menge Ärger mit sich bringen – innerhalb und außerhalb der Armee«, sagte Billy.
Er hatte seine Meinung nicht geändert, als er in der Dämmerung am Potomac entlangschlenderte. Er versuchte seine innere Verwirrung über den neuesten Kriegskurs abzuschütteln und konzentrierte seine Gedanken auf Brett.
Ein melancholisches Signalhorn ertönte unten am Steilufer – ein neuer Klang, in Virginia zum erstenmal im Juni oder Juli gespielt. Er wußte nicht, wer es komponiert hatte. Ein letzter Gruß an einen Soldaten. Für wen war dieser Gruß bestimmt, wer war gestorben, fragte er sich. Und was war mit dem Schwung von Lincolns Feder gestorben? Was war neu geboren worden? All diese Fragen paßten zu der einfallenden Herbstdunkelheit.
Bewegungslos blieb er stehen, lauschte dem Murmeln des Flusses, den vertrauten Lagergeräuschen und den schwindenden letzten Tönen von ›Taps‹.
Charles zeigte Ab in Virginia das Buch An Essay on Man. Ab berührte die in der Mitte eingebettete Bleikugel, dann das Buch selbst und fragte: »Wer hat dir das gegeben?«
»Augusta Barclay.«
»Du hast mir doch gesagt, du habest kein Mädchen.«
»Ich hab’ eine Freundin, die mir ein Weihnachtsgeschenk geschickt hat.«
»Wirklich?« Ab befingerte erneut die platte Kugel. »Die Religion hat dich gerettet, Charlie. Du hast keine Bibelwunde abgekriegt«, dauernd hörte man, daß eine Taschenbibel eine Kugel aufgefangen und damit einem Soldaten das Leben gerettet hatte, »aber das hier ist fast genauso heilig.«
Schweigen.
»Du hast eine Pope-Wunde abgekriegt. Direkt vom Papst. Hier steht’s.«
Charles lächelte nicht, schüttelte bloß den Kopf. Ab schaute unglücklich drein. Charles steckte das Buch wieder hinein, zog den Riemen zu und verbarg den Beutel unter seinem Hemd.
Cooper verließ mit seiner Frau das Haus, um ihr die Geschichte zu erzählen.
Es war die Stunde der sanften, grauen Dämmerung, mit den ersten funkelnden Sternen am Himmel. Eine Herbstbrise wehte über den Abercromby Square und schickte die Schwäne zu ihren Schlafplätzen unter den Trauerweiden am Rande des Teiches. Ein paar Blätter, vertrocknet und rot, wirbelten um die Straßenlaternen.
»Sie wollen, daß wir nach Hause zurückkehren. Die Nachricht kam mit dem heutigen Postsack aus Richmond.«
Judith antwortete nicht gleich. Hand in Hand schlenderten sie über den Platz zu der Bank, auf der er so gern die Ereignisse des Tages diskutierte. Der Wind war scharf. Der Mersey roch nach Salz und einem gerade eingelaufenen Gewürzschiff. »Das ist eine Überraschung«, sagte Judith schließlich. »Wurde ein Grund angegeben?«
»Der Krieg läuft nicht gut für die Yankees, aber für unsere Seite ebensowenig. Der Blutzoll in Maryland war fürchterlich.«
Und Menschenleben waren dabei nicht der einzige Verlust. Als die Schlachtberichte Europa erreichten, wurde der Ausgang als Niederlage der Konföderierten hingestellt. Trotz falschen Jubels begriffen die Leute in Bullochs Abteilung die tiefere Wahrheit von Sharpsburg. Der Süden würde niemals die diplomatische Anerkennung erreichen.
»Man will mich im Marineministerium haben«, berichtete er ihr. »Mallory braucht Hilfe und glaubt anscheinend, daß ich sie ihm geben kann. James hat hier alles gut in der Hand, und ich weiß, daß er in seinem Bericht meinen Einsatz beim Stapellauf der Alabama hervorgehoben hat.«
Nach Beendigung der geheimen Mission war Cooper damals mit einem Passagierdampfer nach Liverpool zurückgekehrt. Judith erkundigte sich sanft: »Was hältst du von Mallorys Aufforderung?«
Er preßte seine Schulter gegen die ihre. Der Wind war kalt; die Sterne leuchteten. »Ich werde diese alte Stadt vermissen, aber ich habe keine Wahl. Ich muß gehen.«
»Wie bald?«
»Sobald ich mit einigen laufenden Projekten fertig bin. Ich schätze gegen Ende des Jahres sind wir auf dem Weg.«
Sie hob seinen Arm und legte ihn sich um die Schultern; wegen der Wärme und weil sie die Berührung liebte. »Eine Atlantiküberquerung im Winter macht mir Sorgen.«
Mehr Sorgen bereitete ihm der letzte Teil der Reise, die Fahrt von Hamilton oder Nassau durch die Blockade. Aber er sprach es nicht aus, um sie nicht aufzuregen.
»Solange wir vier zusammen sind, ist alles in bester Ordnung. Gemeinsam können wir allem trotzen.«
Sie stimmte ihm zu, überlegte dann einen Moment. »Ich frage mich, was dein Vater sagen würde, wenn er dich so ergeben dem Süden dienen sähe.«
Er hoffte, sie würden sich wegen dieses Themas nicht wieder in die Haare kriegen wie auch schon. Vorsichtig erwiderte er: »Er würde sagen, das sei nicht der Sohn, den er aufgezogen habe. Er würde sagen, ich hätte mich verändert, aber das haben wir ja alle.«
»Nur in gewissen Punkten. Ich verabscheue die Sklaverei so stark wie eh und je.«
»Du weißt, daß ich ebenso empfinde. Wenn wir unsere Unabhängigkeit gewinnen, dann wird die Sklaverei eingehen und eines natürlichen Todes sterben.«
»Unabhängigkeit? Cooper, die Sache ist verloren.«
»Sag sowas nicht.«
»Aber es stimmt. In deinem Herzen weißt du es. Du hast von den Hilfsmitteln des Nordens gesprochen und wie sehr es dem Süden daran fehlt, lange bevor dieser schreckliche Krieg begann.«
»Ich weiß, aber – ich kann die Niederlage nicht eingestehen. Wenn ich es täte, weshalb sollten wir heim? Weshalb sollte ich überhaupt ein Risiko eingehen? Und doch muß ich es – der Süden ist mein Heimatland. Deins auch.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe es verlassen, Cooper. Es ist mein Land, weil es deins ist, das ist alles. Der Krieg ist falsch, auch die Sache, um die es geht – weshalb sollten du oder Bulloch oder sonst jemand weiterkämpfen?«
»Wir müssen für einen noch auszuhandelnden Frieden kämpfen.«
»Und du glaubst, es lohnt sich, dafür heimzukehren?«
Er nickte.
»Gut, Liebster. Küß mich, und wir werden es tun.«
Sie gingen zurück. Im gaslichterhellten Flur wurde Cooper bleich und deutete auf einen Tropfen Blut auf dem gekachelten Boden. »Guter Gott, schau doch.«
Ihre Augen wurden groß. »Judah?«
Marie-Louise steckte den blonden Kopf aus dem Wohnzimmer. »Er ist verletzt, Mama.«
Cooper stürzte die Treppe hoch; sein Magen zog sich zusammen wie ein Seemannsknoten, sein Kopf dröhnte, seine Handflächen wurden feucht. War sein Sohn einem Unhold in die Hände gefallen? Er rannte auf die halb offene Zimmertür des Jungen zu. »Judah!«
Er stieß die Tür auf. Judah lag auf dem Bett; seine Jacke war zerrissen, seine Wange aufgeschlagen, seine Nase blutig.
Cooper rannte zum Bett, wollte seinen Sohn in die Arme nehmen, hielt sich dann aber zurück. Judah war elf und erachtete solche Kontakte als weibisch. »Sohn – was ist passiert?«
»Ich bin in ein paar Toxteth-Dockjungen gelaufen. Sie wollten mein Geld, und als ich sagte, ich hätte keins, fielen sie über mich her. Mir fehlt nichts.« Er gab die Erklärung mit offensichtlichem Stolz ab.
»Du hast dich verteidigt?«
»So gut ich konnte, Pa. Sie waren zu fünft.«
Er konnte sich nicht länger beherrschen, berührte Judahs Stirn, strich eine Haarsträhne zurück, kämpfte gegen das eigene Zittern an. Judiths Schatten fiel über seinen Arm. »Ihm fehlt nichts«, sagte Cooper; wie Ebbe wich die Furcht aus ihm.
59
Das Wetter war warm an diesem Morgen in der besetzten Stadt New Orleans. Colonel Elkanah Bents emotionale Temperatur war ebenfalls gestiegen und hatte sich dem Stimmungsbarometer der Einheimischen angepaßt, die mit ihm an der Ecke Chartres und Canal Street standen und den greifbaren Beweis für General Ben Butlers Radikalismus betrachteten.
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