Stanley achtete darauf, nicht zuviel Champagner zu trinken, den die livrierten Kellner nachschenkten; schwierige Verhandlungen lagen vor ihm. Während des Essens behandelten sie harmlose Themen. Butler erkundigte sich nach seiner Reise.
»Oh, bestens. Seeluft soll ja sehr gesund sein.« Er hatte nicht viel davon mitbekommen. Er war nur aus seiner Koje aufgestanden, um sich in einen Eimer zu übergeben.
»Nun, Sir«, Stanleys Gast lehnte sich zurück, »ich danke Ihnen für das herrliche Mahl. Aber da Sie nur kurz hier sind, kommen wir vielleicht besser gleich zum Anlaß Ihres Besuches.«
»Mit Freuden, Colonel. Damit Sie sich ein allgemeines Bild machen können, möchte ich Ihnen sagen, daß ich der Eigentümer der Fabrik Lashbrooks in Lynn, Massachusetts, bin.«
»Armeeschuhwerk«, bemerkte Colonel Andrew Butler mit einem Nicken. Über Stanleys Rücken lief ein kleiner Schauder. Der Mann wußte alles über ihn.
Mit der Serviette betupfte sich Stanley nervös die Lippen. »Dies hier ist ein ziemlich öffentlicher Ort. Sollten wir nicht?«
»Nein, hier sind wir bestens aufgehoben.« Butler führte ein Streichholz an eine große Havanna. »An der Hälfte der Tische in diesem Restaurant werden, äh, ähnliche Arrangements abgeschlossen. Wenn auch nicht in der Größenordnung, die Sie vorschlagen. Bitte fahren Sie fort.«
Stanley sammelte all seinen Mut und stürzte sich ins kalte Wasser. »Soviel ich weiß, werden Schuhe verzweifelt benötigt.«
»Verzweifelt«, murmelte Butler und stieß eine Rauchwolke aus.
»Im Norden wird dringend Baumwolle benötigt.«
»Ist zu haben. Man muß nur kooperative Quellen kennen und wissen, wie man sie in die Stadt und auf die Docks bekommt.« Butler lächelte. »Ihnen ist klar, daß ich bei jeder Transaktion sowohl vom Käufer als auch vom Verkäufer eine Provision erhalte?«
»Ja, ja – das spielt keine Rolle, wenn Sie mir beim Transport von Schuhen zu den Kon…, äh, zu denen, die sie benötigen, helfen können und gleichzeitig Baumwolle in ausreichender Menge liefern, so daß der Wiederverkauf das nicht unbeträchtliche Risiko lohnt. Es gibt Gesetze gegen den Handel mit dem Feind.«
»Tatsächlich? Ich bin zu beschäftigt gewesen, um das zu bemerken.« Er lachte herzlich, und Stanley stimmte ein.
Sie begaben sich auf einen Spaziergang und arbeiteten die Einzelheiten aus. Stanley fühlte sich großartig in dem milden Sonnenschein des Frühwinters. Unglaublich, daß an irgendwelchen fernen Orten Männer ihre Leben für Slogans hingaben.
Bei seiner dritten Zigarre begann Andrew Butler über seinen Bruder zu philosophieren. »Sie haben ihm den Spitznamen ›Beast‹ gegeben, weil er gedroht hat, die Frauen der Stadt wie Huren zu behandeln, wenn Sie abfällige Bemerkungen über unsere Jungs machen sollten. Außerdem gaben sie ihm den Spitznamen ›Löffel‹, weil sie meinen, er plündere Privathäuser aus. Glauben Sie mir, Stanley, wenn Ben stehlen möchte, dann würde er sich nicht mit Löffeln abgeben. Schließlich kommt er aus der Massachusetts-Politik – und ist zusätzlich Anwalt.« Sie gingen Richtung Fluß, wo ein Raddampfer angelegt hatte. Butler fuhr fort: »Die Leute in dieser Stadt haben ja keine Ahnung. Zum Glück werden wir es bei unserem kleinen geschäftlichen Abenteuer mit Gentlemen zu tun haben, die persönlichen Profit über alberne Slogans stellen.«
»Sie meinen die Baumwollpflanzer?«
»Ja. Ihr Wunsch, sich als umgänglich zu erweisen, wurde durch die Erfahrung einiger weniger verstärkt, die mir ursprünglich ihre Kooperation verweigert hatten – und ihre Baumwolle. Die Sklaven dieser Gentlemen waren ganz plötzlich abwesend. Als sie sich schließlich bereit erklärten, ihre Ernte auf dem allgemeinen Markt anzubieten, tauchten die Sklaven selbstverständlich wieder auf, um die schwere Arbeit zu tun.«
Arbeit unter den Bajonetten der Soldaten der Vereinigten Staaten, dachte Stanley. Die skandalösen Geschichten waren bis nach Washington gedrungen. Doch das erwähnte er nicht.
»Selbst in Kriegszeiten«, schloß Butler, »ist eine praktische Einstellung häufig klüger als Patriotismus.«
»Ja, eindeutig«, stimmte Stanley zu. Champagner und Sonnenschein und Erfolg erzeugten ein Selbstwertgefühl, wie er es noch nie im Leben empfunden hatte. Isabel sollte stolz auf das sein, was er heute vollbracht hatte. Verdammt stolz sogar. Er jedenfalls war es.
Ende November wußten die meisten Offiziere der Golf-Armee, daß sie gegen Jahresende einen neuen Kommandeur haben würden. Die Proteste gegen Butlers Stil waren zu zahlreich geworden. Ein neuer Kommandeur hatte für gewöhnlich viele Versetzungen zur Folge. Elkanah Bent erkannte, daß er das Gemälde sofort an sich bringen mußte.
An drei Abenden beobachtete er Madame Contis Eingang. Das Bordell war sowohl bei Offizieren als auch bei Unteroffizieren beliebt, obwohl es gegen die Vorschriften verstieß, daß sie erstens gemeinsam und zweitens überhaupt einen solchen Ort besuchten. Die Männer gingen still und heimlich hinein und kamen stockbesoffen wieder hinaus. Innerhalb einer halben Stunde beobachtete Bent zwei Schlägereien, was ihn zusätzlich aufheiterte.
In seinem Zimmer setzte er sich hin und entwickelte einen Plan. Die Frau, die das Bordell leitete, würde ihm niemals das Porträt verkaufen. Er war nicht gewillt, einen Einbruch spät nachts zu riskieren; sehr lebhaft erinnerte er sich an Madame Contis schwarze Helfer. Er mußte das Bild stehlen, während andere mit dem beschäftigt waren, was in Militärkreisen als Ablenkungsmanöver bekannt war. Bei dem angeheiterten Zustand der Bordellbesucher sollte das nicht schwierig zu erreichen sein.
Am nächsten Samstagabend stieg Bent in voller Ausgehuniform die wunderschöne schwarze Eisentreppe hoch. Im Wohnzimmer fand er eine große, lärmende Menge Soldaten vor, von denen er keinen kannte. Glück.
Er bestellte sich einen Bourbon, nahm gelegentlich einen Schluck und hörte zu. Wenn die Männer nicht vor den Huren angaben, dann faselten sie von zu Hause oder beschimpften den Süden. Ideal.
Er bestellte einen zweiten Drink. Plötzlich begann es in seinem Nacken zu kribbeln. Beobachtete ihn jemand?
»Guten Abend, Colonel. Ich dachte, ich hätte einen alten Kunden erkannt.« Sie war gute sechzig; die Masse ihres weißen Haares war zu einer verblüffenden Frisur getürmt.
Er fing an zu schwitzen; sein Lächeln war unaufrichtig. »Sie haben ein gutes Gedächtnis, Madame Conti.«
»Ich erinnere mich lediglich an Ihr Gesicht, nicht an Ihren Namen.« Klugerweise erwähnte sie ihren Streit über den Preis für gewisse Spezialleistungen nicht, die ihm die Hure, mit der er zu Bett gegangen war, erwiesen hatte.
»Bent.« Bei seinem ersten Besuch hatte er seinen wirklichen Namen noch schützen wollen und sich Benton genannt, weil er da noch an eine Armeekarriere geglaubt hatte. Zu der Zeit war ihm noch nicht klar gewesen, daß die Generäle niemals Talent, sondern nur Einfluß anerkannten.
Und du verfügst über keinerlei Einfluß. Du weißt, wer dafür verantwortlich ist: dein Vater, der dich im Tode noch verraten hat. Die Mains und die Hazards, General Billy Sherman und Unmengen unbekannter Feinde, die sich verschworen haben –
»Colonel? Geht es Ihnen nicht gut?«
Eine pochende Ader an seiner Stirn glättete sich. Sein Atem beruhigte sich. »Nur eine kleine Benommenheit. Nichts Ernstes.«
Sie entspannte sich. »Colonel Bent. Richtig.« Vergeblich suchte er den Schatten eines Zweifels in ihren Augen.
»Ich erinnere mich an einen Neger, der für Sie gearbeitet hat – ein riesiger, wilder Bursche.« Bereit, auf Befehl zu töten. »Ich hab’ ihn heute abend noch gar nicht gesehen. Ist er immer noch bei Ihnen?«
Voller Bitterkeit: »Nein. Pomp wollte zur Armee. Er war ein freier Mann, und ich konnte ihn nicht davon abbringen. Zum Geschäft, Colonel. Was können wir Ihnen heute abend bieten? Sie kennen unsere speziellen Angebote, wenn ich mich recht entsinne.«
Читать дальше