Der Richter befühlte den Rand der Rolle. »Dieser Papyrus ist vollkommen.« Bel-ter-an verhehlte seinen Stolz nicht.
»Ich behalte ihn den Schreibern vor, die die alten Weisheiten [56] Sammlung von Maximen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.
abschreiben und vervollständigen. Das Schriftenhaus des Palastes hat mir ein Dutzend davon für nächsten Monat in Auftrag gegeben. Ebenso liefere ich Totenbücher, die in den Gräbern niedergelegt werden.«
»Euer Geschäft scheint zu blühen.«
»So ist es, allerdings unter der Bedingung, Tag und Nacht zu arbeiten. Ich beklage mich nicht, da mich mein Beruf mit Begeisterung erfüllt. Einen Untergrund für die Texte und Hieroglyphen zu stellen, ist doch das Wesentliche, nicht wahr?«
»Mein Guthaben ist begrenzt, ich habe nicht die Mittel, mir solch schönen Papyrus zu kaufen.«
»Ich verfüge auch über eine mindere, doch noch beachtenswerte Güte. Haltbarkeit gewährleistet!« Der Posten sagte Paser zu, doch der Preis war weiterhin zu hoch. Bel-ter-an kratzte sich im Nacken. »Ihr gefällt mir, Richter Paser, und ich hoffe, daß das auf Gegenseitigkeit beruht. Ich liebe die Gerechtigkeit, da sie der Schlüssel des Glücks ist. Gewährt Ihr mir die Freude, Euch einen Posten zu schenken?«
»Ich bin empfänglich für Eure Großzügigkeit, doch ich bin genötigt, sie zurückzuweisen.«
»Erlaubt mir, darauf zu beharren.«
»Jedes Geschenk, in welcher Form auch immer, würde als Bestechung betrachtet. Wenn Ihr mir einen Zahlungsaufschub einräumtet, müßten wir diesen schriftlich festhalten und niederlegen.«
»Nun denn, einverstanden! Ich habe sagen hören, Ihr zaudertet nicht, Euch an Großkaufleute heranzuwagen, die das Gesetz mißachten. Das ist sehr mutig.«
»Nur meine Pflicht.«
»In Memphis neigt die Sittlichkeit der Händler in letzter Zeit dazu, nachzulassen. Ich vermute, PHARAOS Erlaß wird dieser ärgerlichen Entwicklung Einhalt gebieten.«
»Meine Amtsbrüder und ich setzen uns nach Kräften dafür ein, obgleich ich einräumen muß, die Memphiter Sitten schlecht zu kennen.«
»Ihr werdet Euch schnell eingewöhnen. In den letzten Jahren war der Wettbewerb unter den Kaufleuten eher rauh; sie haben nicht gezögert, sich ernste Schläge zu versetzen.«
»Habt Ihr welche erdulden müssen?«
»Ich schlage mich wie alle anderen. Zu Anfang versah ich den Dienst eines Gehilfen der Buchhaltung auf einem großen Gut im Delta, wo der Papyrus schlecht bewirtschaftet wurde. Ich habe dem Gebieter des Anwesens Verbesserungen vorgeschlagen; er hat sie angenommen und mich in den Rang eines Buchhalters erhoben. Ich hätte in Frieden leben können, wenn das Unheil mich nicht niedergeschmettert hätte.«
Die beiden Männer traten aus dem Lagerhaus und beschritten einen von Blumen gesäumten Weg, der zu Bel-ter-ans Behausung führte. »Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten? Ich versichere Euch, das ist keine Bestechung!« Paser lächelte. Er spürte, daß es den Hersteller danach verlangte, sich auszusprechen. »Welches war dieses Unheil?«
»Ein wenig ruhmvolles Mißgeschick. Ich hatte eine Frau geheiratet, die älter war als ich und aus Elephantine stammte; wir verstanden uns gut, trotz einiger unwesentlicher Streitigkeiten. Ich kehrte häufig spät heim, was sie duldete. Eines Nachmittags wurde ich Opfer eines Unwohlseins; Überarbeitung wahrscheinlich. Man brachte mich in mein Heim. Meine Gattin fand ich mit dem Gärtner im Bett. Erst hatte ich Lust, sie zu töten, dann, sie wegen Ehebruchs verurteilen zu lassen … doch die Strafe ist hart [57] Eheliche Untreue wurde als ernstes Vergehen angesehen, handelte es sich doch um den Bruch eines Gelöbnisses, da der Bund ja auf gegenseitigem Vertrauen fußte.
. Ich habe mich letztlich mit einer sogleich ausgesprochenen Scheidung begnügt.«
»Eine beschwerliche Prüfung.«
»Ich wurde zutiefst verletzt und habe mich mit doppelter Arbeit getröstet. Der Gebieter des Anwesens hat mir ein Stück Land geschenkt, das niemand haben wollte. Die Bewässerungsanlage, die ich selbst ersonnen habe, hat seinen Wert zur Geltung kommen lassen: erste ertragreiche Ernten, angemessene Preise, zufriedene Kundschaft … und schließlich das Wohlwollen des Palastes! Als ich Lieferer des Hofes wurde, war mein Glück gemacht. Man hat mir die Sümpfe zugeteilt, die Ihr durchquert habt.«
»Meinen Glückwunsch.«
»Anstrengung wird immer belohnt. Seid Ihr vermählt?«
»Nein.«
»Ich habe das Abenteuer ein zweites Mal gewagt, und ich habe recht daran getan.« Bel-ter-an schluckte ein Kügelchen aus Olibanum, Zypergras [58] Olibanum ist ein dem Weihrauch verwandtes Harz; genanntes Zypergras gehört zu den duftenden Riedgrasarten.
und phönizischer Binse, eine Mischung, die guten Atem gewährleistete. »Ich werde Euch meine junge Gemahlin vorstellen.«
Silkis fürchtete voller Verzweiflung das Erscheinen des ersten Fältchens. Daher auch hatte sie sich ein Öl von Bockshornklee beschafft, das die Unvollkommenheiten der Haut beseitigen sollte. Der Duftölhersteller trennte hierfür Schoten und Samen, bereitete einen dicken Brei daraus und erwärmte diesen. Auf der Oberfläche perlte dann das Öl. Vorsichtig legte Silkis eine Maske zur Schönheitspflege auf, die aus Honig, rotem Natron sowie Salz des Nordens bestand, und rieb dann den Leib mit Alabasterpulver ein.
Dank Neb-Amuns chirurgischer Kunst hatten ihr Gesicht und ihre Formen sich verfeinert, entsprechend den Wünschen ihres Gemahls; gewiß, sie befand sich weiterhin als zu schwer und ein wenig rund, doch Bel-ter-an würde ihr ihre wohlgereiften Schenkel nicht vorhalten. Bevor sie ihn zu einem reichhaltigen Mittagsmahl empfing, trug sie noch rotes Ocker auf ihre Lippen auf sowie eine zarte Salbe auf ihre Wangen und grüne Schminke um die Augen. Dann rieb sie die Kopfhaut mit einer läuternden Lösung ein, deren Hauptbestandteile, nämlich Bienenwachs und Harz, das Auftauchen grauer Haare verhindern würden.
Da der Spiegel ihr ein befriedigendes Bild zurückwarf, setzte sie sich endlich eine Perücke aus echtem Haar mit in Duftstoff getränkten Strähnen aufs Haupt. Ihr Gemahl hatte ihr diesen kleinen Schatz bei der Geburt ihres zweiten Kindes, eines Knaben, geschenkt.
Unvermutet benachrichtigte sie die Dienerin vom Eintreffen Bel-ter-ans, im Beisein eines Gastes.
Erschreckt griff Silkis wieder zum Spiegel. Würde sie gefallen oder würde sie wegen eines Makels getadelt, den sie nicht bemerkt hatte? Ihr blieb keine Zeit mehr, sich anders zu schminken oder das Gewand zu wechseln. Kühn trat sie aus ihrem Gemach.
»Silkis, mein Liebling! Ich stelle dir Richter Paser aus Memphis vor.«
Die junge Frau lächelte mit geziemender Verlegenheit und Zurückhaltung.
»Meine Gemahlin und ich empfangen häufig Käufer und Aufseher«, fuhr Bel-ter-an fort, »doch Ihr seid unser erster Richter! Das ist eine große Ehre.« Das neue Herrenhaus des Papyrusverkäufers umfaßte ungefähr zehn spärlich erhellte Zimmer. Silkis fürchtete die Sonne, da sie die Haut rötete. Eine Dienerin brachte frisches Bier; ihr auf dem Fuße folgten zwei Kinder, ein rothaariges Mädchen und ein Knäblein, das seinem Vater glich. Sie begrüßten den Gerichtsbeamten und liefen lachend davon. »Ach, diese Kinder! Wir vergöttern sie, aber sie sind bisweilen doch recht ermüdend.« Silkis pflichtete mit einem Kopfnicken bei. Zum Glück waren ihre Entbindungen ohne Schwierigkeiten verlaufen und hatten dank langer Ruhezeiten ihren Körper nicht verunstaltet. Sie verbarg einige widerspenstige Rundungen unter einem weiten Leinenkleid von erster Güte, das unaufdringlich von kleinen roten Säumen eingefaßt war. Ihr Ohrschmuck, aus einem Ring und einem Anhänger von kuppelförmig geschliffenem Elfenbein [59] Cabochon-Schliff.
bestehend, stammte aus Nubien.
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