»Ihr wißt alles über mich.«
»Selbst das, was du dich weigerst, mir anzuvertrauen?«
»Mit Euch ist leeres Geplauder unnötig. Glaubt Ihr, sie wird mir das Jawort geben?«
»Neferet treibt nie ein falsches Spiel. Sie wird nach der Wahrhaftigkeit handeln.« In manchen Augenblicken schnürten Anflüge von Bangigkeit Paser die Kehle zu. »Vielleicht bin ich irre geworden.«
»Es gibt nur einen Irrsinn: Das zu begehren, was einem anderen gehört.«
»Ich vergesse, was Ihr mich gelehrt habt, nämlich die eigene Klugheit auf Rechtschaffenheit zu bauen und dabei gemessen und genau zu bleiben, sich nicht um das eigene Glück zu sorgen, darauf hinzuarbeiten, daß die Menschen in Frieden dahinwandeln, die Tempel errichtet werden und die Obstgärten erblühen für die Götter [60] Text auf den Stelen der Weisen, die im Innern der Tempel aufgestellt wurden
. Meine Leidenschaft verbrennt mich; und ich nähre ihr Feuer noch.«
»Das ist gut so. Gehe bis zur äußersten Grenze deiner selbst, bis zu jenem Punkt, an dem du nicht mehr umkehren wirst. Gebe der Himmel, daß du nicht vom rechten Weg abrückst.«
»Meine Pflichten vernachlässige ich nicht.«
»Und die Angelegenheit um den Sphinx?«
»Ohne neue Aussichten.«
»Keine Hoffnung?«
»Nun, entweder Hand an den fünften Altgedienten zu legen, oder dank Sethi Enthüllungen über diesen Heerführer Ascher zu erhalten.«
»Das ist recht dünn.«
»Ich werde nicht aufgeben, auch wenn ich mich einige Jahre gedulden müßte, bevor ich einen neuerlichen Hinweis erhielte. Vergeßt nicht, ich verfüge über den Beweis, daß das Heer gelogen hat: Amtlicherseits sollen fünf Altgediente tot sein, während einer von ihnen doch Bäcker in Theben geworden war.«
»Der fünfte ist am Leben«, verkündete Branir, als sähe er ihn unmittelbar vor sich. »Gib nicht auf, denn das Unheil geht um.«
Langes Schweigen entstand. Die ernste Feierlichkeit des Tons hatte den Richter überwältigt. Sein Lehrmeister verfügte über seherische Gaben; manchmal drängte sich ihm eine noch unsichtbare Wahrheit auf. »Ich werde dieses Haus bald verlassen«, tat er endlich kund. »Die Stunde ist gekommen, im Tempel zu wohnen, um meine Tage dort zu beenden. Die Stille der Götter von Karnak wird meine Ohren erfüllen, und ich werde Zwiesprache mit den Steinen der Ewigkeit halten. Jeder Tag wird heiterer als der vorangegangene sein, und ich werde dem hohen Alter entgegengehen, das einen auf das Erscheinen vor Osiris’ Gericht vorbereitet.« Paser begehrte auf.
»Aber ich brauche doch weiter Eure Lehren.«
»Welche Ratschläge könnte ich dir geben? Morgen werde ich meinen Greisenstab ergreifen und zum Schönen Westen hingehen [61] »Zum Schönen Westen gehen«: dem Totenreich entgegengehen; Euphemismus für »sterben«. (Anm. d. Ü.)
, von wo niemand mehr zurückkehrt.«
»Wenn ich aber ein für Ägypten gefährliches Leiden entdeckt habe und falls es mir möglich ist, es zu bekämpfen, wird Eure sittliche Stärke mir unerläßlich sein. Euer Einschreiten könnte sich als entscheidend erweisen. Harrt noch aus, ich bitte Euch.«
»Wie dem auch sei, dieses Haus wird dir gehören, sobald ich mich in den Tempel zurückgezogen haben werde.«
Scheschi zündete das Feuer mit Dattelkernen und Holzkohle an, stellte über die Flamme einen hornförmigen Tiegel und ließ die Glut mittels eines Blasebalgs auflodern. Ein weiteres Mal versuchte er, ein neuartiges Schmelzverfahren für Metalle zu erproben und hierbei die Schmelze in besondere Formen zu gießen. Mit einem außergewöhnlichen Gedächtnis beschenkt, machte er sich keinerlei Aufzeichnungen, um nicht hintergangen zu werden. Seine beiden Gehilfen, stämmige und unermüdliche Kerle, vermochten, in lange Hohlstäbe blasend, das Feuer über Stunden zu schüren.
Die unzerbrechliche Waffe würde bald bereit stehen; mit Schwertern und Lanzen, deren Festigkeit allem widerstand, würden PHARAOS Krieger die Helme zerschmettern und die Rüstungen der Asiaten durchbohren.
Schreie und Kampflärm unterbrachen seine Überlegungen. Scheschi öffnete die Tür der Forschungsstätte und stieß auf zwei Wachen, die einen Mann reifen Alters mit weißem Haar und roten Händen bei den Armen festhielten; er schnaubte wie ein erschöpftes Pferd, seine Augen tränten, sein Schurz war zerrissen. »Er hat sich ins Metallager geschlichen«, erklärte einer der Soldaten. »Wir haben ihn aufgehalten, und er hat versucht zu fliehen.«
Scheschi erkannte sogleich den Zahnheilkundigen Qadasch, bekundete jedoch nicht das leiseste Erstaunen.
»Laßt mich los, Ihr Rohlinge!« verlangte der Heilkundige.
»Ihr seid ein Dieb«, erwiderte der Anführer der Wachen. Welcher Irrsinn war Qadasch durch den Kopf geschossen? Lange Zeit schon träumte er nur noch vom himmlischen Eisen, um daraus seine Behandlungsgerätschaften zu fertigen und durch diese zu einem Zahnheilkundigen ohnegleichen zu werden. Seines eigenen Vorteils wegen hatte er den Kopf verloren und dabei das Vorhaben der Verschwörer ganz vergessen. »Ich schicke einen meiner Männer zum Amtssitz des Ältesten der Vorhalle«, verkündete der Offizier. »Wir benötigen auf der Stelle einen Richter.« Wenn er sich nicht verdächtig machen wollte, konnte Scheschi sich diesem Schritt nicht widersetzen.
Da es mitten in der Nacht war, befand es der Gerichtsschreiber des Ältesten der Vorhalle nicht für nötig, seinen Herrn zu wecken, der äußerst empfindlich auf die Achtung seiner Schlafzeiten bedacht war. Folglich zog er die Aufstellung der Gerichtsbeamten zu Rate und wählte den zuletzt berufenen, einen gewissen Paser. Da er am niedrigsten im Range stand, konnte er getrost noch einiges lernen. Paser schlief nicht. Er träumte von Neferet, stellte sie sich zärtlich und beruhigend neben sich vor. Er hätte mit ihr über seine Untersuchungen gesprochen, sie mit ihm über ihre Kranken. Zu zweit würden sie die Last ihrer jeweiligen Mühsal tragen, würden die Würze eines einfachen, mit jeder Sonne neu erstehenden Glücks genießen.
Wind des Nordens begann zu schreien, Brav bellte los. Der Richter erhob sich, öffnete das Fenster. Ein bewaffneter Wachsoldat zeigte ihm die vom Gerichtsschreiber des Ältesten der Vorhalle ausgestellte Zwangsverpflichtung vor. Mit einem kurzen Überwurf über den Schultern folgte Paser der Wache sogleich bis zur Kaserne.
Vor der ins Untergeschoß führenden Treppe kreuzten zwei Krieger ihre Lanzen. Sie traten zur Seite, um den Richter durchzulassen, den Scheschi auf der Schwelle seiner Forschungsstätte empfing. »Ich erwartete den Ältesten der Vorhalle.«
»Ich bin untröstlich, Euch zu enttäuschen, ich wurde von Amts wegen mit dem Fall betraut. Was ist Euch zugestoßen?«
»Versuchter Diebstahl.«
»Ein Verdächtiger?«
»Der Schuldige wurde festgenommen.«
»Demnach wird es genügen, den Tatbestand aufzunehmen, zur Anklage zu schreiten und ohne Verzug über ihn zu richten.« Scheschi schien etwas betreten. »Ich muß ihn verhören. Wo ist er?«
»Im Gang, zu Eurer Linken.« Auf einem Amboß sitzend und von einem Soldaten bewacht, fuhr der Schuldige hoch, als er Paser erblickte.
»Qadasch! Was macht Ihr hier?«
»Ich schlenderte an dieser Kaserne vorbei und wurde plötzlich angegriffen und mit Gewalt an diesen Ort geschleppt.«
»Falsch«, setzte der Wachsoldat dagegen. »Dieser Mann ist in einen Lagerraum eingedrungen, und wir haben ihn abgefangen.«
»Lüge! Ich werde Anzeige wegen Tätlichkeit erheben.«
»Mehrere Zeugen beschuldigen Euch«, erinnerte Scheschi.
»Was enthält dieses Lager?« fragte Paser. »Metalle, insbesondere Kupfer.« Paser wandte sich an den Zahnheilkundigen. »Sollte es Euch an Rohstoffen für Eure Gerätschaften mangeln?«
»Ich bin Opfer eines Mißverständnisses.« Scheschi näherte sich dem Richter und murmelte ihm etwas ins Ohr. »Wie Ihr wünscht.«
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