Sie zogen sich in die Wirkstätte zurück. »Die Forschungen, denen ich hier nachgehe, erfordern die allergrößte Verschwiegenheit. Könntet Ihr ein Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit einrichten?«
»Gewiß nicht.«
»In ganz besonderen Fällen …«
»Beharrt nicht weiter.«
»Qadasch ist ein ehrenwerter und reicher Zahnheilkundiger. Ich kann mir seine Absichten nicht erklären.«
»Welcher Art sind Eure Forschungen?«
»Bewaffnung. Begreift Ihr nun?«
»Es gibt kein eigenes Gesetz für Eure Tätigkeit. Wenn Qadasch des Diebstahls angeklagt ist, wird er sich verteidigen, wie er sich darauf versteht, und Ihr werdet erscheinen müssen.«
»Demnach müßte ich auf die Fragen antworten.«
»Selbstverständlich.« Scheschi strich über seinen Schnurrbart. »In dem Fall ziehe ich es vor, keine Klage einzureichen.«
»Das ist Euer Recht.«
»Es ist vor allem zum Wohle Ägyptens. Neugierige Ohren, ob im Gericht oder anderswo, wären ein schreckliches Verhängnis. Ich überlasse Euch Qadasch; von meinem Standpunkt aus hat sich nichts zugetragen. Was Euch betrifft, Richter Paser, vergeßt nicht, daß Ihr zum Stillschweigen verpflichtet seid.« Paser verließ die Kaserne in Gesellschaft des Heilkundigen.
»Gegen Euch liegt nichts mehr vor.«
»Ich, für meinen Teil, werde jedoch Klage einreichen!«
»Abträgliche Zeugenaussagen, ungewöhnliche Anwesenheit an diesem Ort zu ungehöriger Stunde, Verdacht auf Diebstahl … Euer Fall ist fürwahr betrüblich.«
Qadasch hustete, stieß auf und spie aus. »Nun gut, ich verzichte.«
»Ich nicht.«
»Verzeihung?«
»Ich nehme es bereitwillig hin, mitten in der Nacht aufzustehen und unter welchen Bedingungen auch immer zu ermitteln, doch nicht, für einen Trottel gehalten zu werden. Erklärt Euch, oder ich klage Euch wegen Beleidigung eines Amtmannes an.« Des Heilkundigen Rede wurde wirr. »Kupfer von erster Güte und von vollkommener Reinheit! Davon träume ich seit Jahren.«
»Wie habt Ihr vom Vorhandensein dieses Lagers erfahren?«
»Der Offizier, der diese Kaserne überwacht, ist ein … geschwätziger Kunde. Er hat sich gebrüstet, ich habe mein Glück gewagt. Ehedem waren die Kasernen nicht so gut bewacht.«
»So habt Ihr den Entschluß gefaßt, das Kupfer zu stehlen.«
»Nein, ich wollte es bezahlen! Ich hätte das Metall gegen mehrere Mastochsen getauscht. Die Krieger sind ganz versessen darauf. Und meine Bestecke wären besser, leichter, genauer gewesen! Doch dieser kleine Schnurrbärtige ist derart kalt … Unmöglich, einen Handel mit ihm abzuschließen.«
»Nicht ganz Ägypten ist bestechlich.«
»Bestechung? Wo denkt Ihr hin? Wenn zwei Menschen ein Geschäft durchführen, sind sie doch nicht zwangsläufig Gesetzesbrecher. Ihr habt eine recht düstere Meinung von der menschlichen Gattung.« Qadasch entfernte sich murrend. Paser irrte durch die Nacht. Die Erklärungen des Zahnheilkundigen überzeugten ihn nicht. Ein Metallager, in einer Kaserne … wieder einmal die Streitkräfte! Dieser Zwischenfall schien zwar mit dem Verschwinden der Altgedienten nicht in Verbindung zu stehen, doch gewiß mit der Not eines dem Verderben entgegengehenden Zahnheilkundigen, der das Versagen seiner Hand nicht eingestehen wollte.
Der Mond war voll. Der Überlieferung nach bewohnte ihn ein mit einem Messer bewaffneter Hase; als kriegerischer Geist schnitt er immer wieder das Haupt der Finsternis ab. Der Richter hätte ihn liebend gern als Gerichtsboten angeworben. Die Sonne der Nacht nahm zu und nahm ab, füllte sich mit Licht und leerte sich; die Himmelsbarke würde seine Gedanken zu Neferet bringen.
Das Wasser des Nils wurde gerühmt wegen seiner verdauungsfördernden Eigenschaften. Leicht bekömmlich, wie es war, ließ es den Körper die schädlichen Säfte ausscheiden. Manch Heilkundiger vermutete, seine Genesung bringenden Kräfte rührten von den Arzneipflanzen, die an den Böschungen wuchsen und ihre segensreichen Wirkungen den Fluten übertrügen. Wenn die Nilschwelle sich einstellte, befrachtete das Wasser sich mit pflanzlichen Teilchen und mineralischen Salzen. Die Ägypter füllten Tausende von Krügen, in denen sich das kostbare Naß, ohne zu verderben, aufbewahren ließ. Gleichwohl überprüfte Neferet die Vorräte des vergangenen Jahres; wenn sie den Inhalt eines Behälters für trübe befand, warf sie eine Süßmandel hinein. Vierundzwanzig Stunden später war das Wasser wieder klar und köstlich. Manche drei Jahre alten Krüge waren nach wie vor untadelig. Ruhig beobachtete die junge Frau eine Zeitlang das Treiben des Weißwäschers. Im Palast wurde diese Stelle einem Mann von Vertrauen zugeteilt, da die Sauberkeit der Bekleidung als wesentlich erachtet wurde; in jeder Gemeinde, ob klein oder groß, verhielt es sich genauso. Nachdem er die Wäsche gewaschen und ausgewrungen hatte, mußte der Weißwäscher sie mit einem Holzbleuel plätten, sie am ausgestreckten Arm ausschütteln, bevor er sie dann an einer zwischen zwei Pfosten gespannten Leine aufhängte.
»Solltet Ihr erkrankt sein?«
»Weshalb sagt Ihr das?«
»Weil es Euch an Kraft mangelt. Die Wäsche ist seit einigen Tagen grau.«
»Ja, nun! Die Arbeit ist schwer. Und die beschmutzte Wäsche der Frauen ist mir ein Greuel.«
»Wasser allein genügt nicht. Verwendet dieses Läutermittel und diesen Duftstoff.« Mürrisch nahm der Weißwäscher die beiden Gefäße an, die ihm die junge Ärztin hinhielt. Ihr Lächeln hatte ihn entwaffnet.
Um den Angriffen von Ungeziefer zu begegnen, ließ Neferet Holzasche, ein wirksames und wohlfeiles Entseuchungsmittel, in die Kornhäuser schütten. Einige Wochen vor der Nilschwelle dort ausgeschüttet, würde diese das Getreide schützen. Während sie gerade den letzten Kornkasten begutachtete, erhielt sie eine neue Lieferung von Kani: Petersilie, Rosmarin, Salbei, Kümmel und Minze. Getrocknet und zu Pulver zerstoßen, dienten diese Heilpflanzen als Grundstoffe für die Arzneien, die Neferet verordnete. So hatten die Heiltränke etwa die Schmerzen des Greises gelindert, der dermaßen glücklich war, nahe den Seinen bleiben zu können, daß sich sein Gesundheitszustand stetig verbesserte.
Trotz aller Umsicht der Ärztin blieben ihre Erfolge nicht unbemerkt; von Mund zu Mund machte ihr Ruf schnell die Runde, und zahlreiche Bauern des Westufers suchten sie auf. Die junge Frau schickte niemanden fort und nahm sich für jeden die nötige Zeit; nach erschöpfenden Tagen verbrachte sie einen Teil der Nacht mit der Zubereitung von Kügelchen, Salben und Pflastern, wobei ihr zwei Witwen, die wegen ihrer Gewissenhaftigkeit auserwählt worden waren, zur Hand gingen. Einige Stunden Schlaf, und schon im Morgengrauen bildete sich erneut der Zug der Leidenden.
Ihre Laufbahn hatte sie sich zwar nicht in dieser Weise vorgestellt, doch zu heilen liebte sie über alles; auf einem besorgten Gesicht einen fröhlichen Ausdruck zurückkehren zu sehen, entschädigte sie für ihre Mühen. Neb-Amun hatte ihr einen Dienst erwiesen, als er sie nötigte, sich in Fühlung mit den einfachsten Menschen weiterzubilden. Hier wären die schönen Reden eines Arztes der besseren Gesellschaft fehlgeschlagen; der Landmann, der Fischer, die Mutter wünschten eine unverzügliche Genesung ohne hohe Kosten. Wenn Überdruß sie überkam, vertrieb Schelmin, das grüne Äffchen, das sie aus Memphis hatte herbringen lassen, diesen mit ihren Augen. Sie erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit Paser, diesem so eigensinnigen, so bedingungslos geradlinigen, diesem zugleich beunruhigenden und anziehenden Paser. Welche Frau könnte mit einem Richter leben, dessen Berufung Vorrang vor allem anderen hatte?
Eines Tages legten unversehens an die zehn Korbträger ihre Last vor Neferets neuer Wirkstätte nieder. Schelmin sprang von einem zum anderen. Sie enthielten Weidenrinde, Natron, Weißöl, Olibanum, Honig, Terebinthenharz und verschiedenste tierische Fette von erster Güte. »Ist das für mich?«
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