»Unter der Bedingung, heil aus diesem Wespennest herauszukommen.«
»Wir werden diese Feste schleifen. Vor allem, nimm dich auf deiner Linken in acht. Der männliche Tod kommt von dieser Seite, der weibliche von der anderen.«
»Keine Frauen beim Feind?«
»Doch, und zwar tapfere!«
Sethi würde weder die Linke noch die Rechte vernachlässigen; er würde auch den Rücken nicht vergessen, im Gedenken an den Offizier der Streitwagentruppe.
Die ägyptischen Soldaten stürzten sich in einen wilden Tanz, ließen ihre Waffen über ihren Köpfen kreisen und reckten sie gen Himmel, um ein günstiges Geschick und den Mut zu erlangen, bis zum Tode zu kämpfen. Den von allen Ländern eingehaltenen Übereinkünften gemäß würde die Schlacht eine Stunde nach Sonnenaufgang stattfinden; lediglich die Beduinen griffen ohne Vorwarnung an. Der alte Krieger steckte eine Feder in Sethis langes, schwarzes Haar.
»Das ist so Brauch, für die Besten der Bogenschützen. Sie beschwört die Göttin Maat; dank ihrer wird dein Herz standhaft sein, und du wirst genau zielen.« Das Fußvolk trug die Leitern; der ehemalige Freibeuter übernahm die Spitze. Sethi stieg in den Sturmturm hinauf an die Seite des Alten. Ein Dutzend Männer schoben ihn auf die Feste zu. Die Schanzsoldaten hatten recht und schlecht einen Erdweg angelegt, auf dem die Holzräder ohne große Mühe vorankamen. »Nach links«, befahl der Lenker. Das Gelände wurde ebener. Von der Höhe der Feste aus schossen die feindlichen Bogenschützen. Zwei Ägypter wurden getötet, ein Pfeil streifte Sethis Kopf.
»Nun los, Jüngelchen!«
Sethi spannte den Bogen mit Hornverschalung; mit angewinkelter Flugbahn würden die Schüsse mehr als zweihundert Meter weit reichen. Die Sehne aufs äußerste gespannt, sammelte er sich und ließ sie im Ausatmen schnellen.
Mitten ins Herz getroffen, fiel ein Beduine von der Zinne. Dieser Erfolg zerstreute die Angst des Fußvolks, das nun geradewegs auf den Feind zustürmte. Sethi wechselte die Waffe ungefähr hundert Meter vor dem Ziel. Sein Akazienholzbogen, der genauer und weniger anstrengend zu handhaben war, erlaubte ihm, bei jedem Schuß ins Schwarze zu treffen und somit die Hälfte der Zinnen zu entblößen. Bald würden die Ägypter ihre Sturmleitern aufstellen können. Als der Turm dann endlich nur noch an die zwanzig Meter vom Ziel entfernt war, sackte der Lenker, mit einem Pfeil im Bauch, zusammen. Die Fahrt wurde schneller, der Turm stieß gegen die Wehrmauer. Während seine Gefährten auf die Zinnen sprangen und in die Feste einfielen, kümmerte sich Sethi zuerst um den alten Krieger. Die Verletzung war tödlich.
»Ein schöner Ruhestand, Jüngelchen, du wirst sehen … ich, ich hab’ Pech gehabt.« Sein Kopf fiel ihm auf die Brust. Mit einem Rammbock brachen die Ägypter das Tor auf; der ehemalige Freibeuter führte das Zerstörungswerk mit der Axt zu Ende. In hellem Entsetzen ergriffen ihre Widersacher die Flucht. Der örtliche Zwergkönig sprang auf den Rücken seines Pferdes und trampelte den Offizier nieder, der ihn aufforderte, sich zu ergeben. Von blindem Zorn gepackt, gerieten die Ägypter außer Rand und Band und verschonten niemanden. Während das Feuer die Feste verheerte, entging ein in Lumpen gehüllter Flüchtiger der Wachsamkeit der Sieger und stürzte zum Wald. Sethi holte ihn ein, packte ihn am zusammengeflickten Gewand und zerriß dieses dabei. Eine junge und kräftige Frau! Die Wilde, die ihn beraubt hatte. Nackt lief sie weiter. Unter dem Gelächter und den Ermutigungen seiner Waffenbrüder warf er sich auf sie und drückte sie auf die Erde. Schier irre vor Angst, wehrte sie sich lange. Sethi hob sie schließlich auf, fesselte ihr die Hände und bedeckte sie mit ihrem ärmlichen Kleid. »Sie gehört dir«, sagte ein Fußsoldat. Die wenigen Überlebenden hatten ihre Bogen, Schilde, Sandalen und Kürbisflaschen fortgeworfen und die Hände auf die Köpfe gelegt. Den ägyptischen Redewendungen zufolge verloren sie ihre Seele, verließen sie ihre Namen und entleerten sich ihres Samens. Die Sieger bemächtigten sich des Bronzegeschirrs, der Ochsen, Esel und Ziegen, setzten die Unterkünfte, den Hausrat und die Stoffe in Brand. Von der Feste würde nichts als ein Haufen loser und verbrannter Steine übrigbleiben.
Der ehemalige Freibeuter trat auf Sethi zu. »Der Anführer ist tot, der Lenker des Sturmturms auch. Du bist der wackerste unter uns und ein Bogenschütze ersten Ranges. Die Befehlsgewalt steht dir zu.«
»Ich habe keinerlei Erfahrung.«
»Du bist ein Held. Wir alle werden das bezeugen; ohne dich wären wir gescheitert. Führe uns nach Norden.«
Der junge Mann unterwarf sich dem Willen seiner Kampfgenossen. Er forderte sie auf, die Gefangenen untadelig zu behandeln. Im Verlauf rasch angesetzter Verhöre behaupteten diese, daß der Anstifter des Aufstandes, Adafi, sich nicht in der Feste aufhielt. Sethi ging an der Spitze des Zuges, den Bogen in der Hand, voran. Zu seiner Rechten seine Gefangene. »Wie ist dein Name?«
»Panther.«
Ihre Schönheit bezauberte ihn. Ungezähmt, mit goldenem Haar und feurigen Augen, hatte sie einen prachtvollen Körper, verlockende Lippen. Ihre Stimme klang warm, betörend. »Woher kommst du?«
»Aus Libyen. Mein Vater war ein Lebend zu Erschlagender [55] Ägyptischer Ausdruck für einen unterjochten Feind. (Anm. d. Ü.)
.«
»Was meinst du damit?«
»Während eines Beutezugs hat ein ägyptisches Schwert ihm den Schädel geöffnet. Er hätte eigentlich sterben müssen. Als Kriegsgefangener hat er dann als Landmann im Delta gearbeitet. Er hat seinen Namen, sein Volk vergessen, ist ein Ägypter geworden! Ich habe ihn gehaßt und bin nicht zu seiner Bestattung gegangen. Und ich habe den Kampf wieder aufgenommen!«
»Was lastest du uns an?« Die Frage verwunderte Panther. »Wir sind Feinde seit zweitausend Jahren!« rief sie aus.
»Sollte es dann nicht angebracht sein, einen Waffenstillstand zu schließen?«
»Niemals!«
»Ich werde versuchen, dich zu überzeugen.« Sethis gewinnende Art blieb nicht wirkungslos. Panther willigte schließlich ein, zu ihm aufzublicken. »Werde ich deine Sklavin?«
»Es gibt keine Sklaven in Ägypten.« Ein Krieger stieß einen Schrei aus. Alle warfen sich zu Boden. Auf dem Kamm eines Hügels bewegte sich das Dickicht. Heraus kam ein Rudel Wölfe, das die Fahrenden kurz beäugte und dann seines Weges ging. Erleichtert dankten die Ägypter den Göttern. »Man wird mich befreien«, behauptete Panther.
»Baue nur auf dich selbst.«
»Bei der ersten Gelegenheit werde ich dich verraten.«
»Die Aufrichtigkeit ist eine seltene Tugend. Ich beginne, dich zu schätzen.« Erbittert verschloß sie sich in ihrem Zorn. Sie rückten über zwei Stunden auf steinigem Gelände vor, folgten dann dem Bett eines ausgetrockneten Sturzbachs. Die Augen auf die schroffen Abhänge geheftet, spähte Sethi nach dem kleinsten Anzeichen einer besorgniserregenden Anwesenheit. Als ein Dutzend ägyptischer Bogenschützen ihnen den Weg versperrte, wußten sie, daß sie gerettet waren.
Paser traf gegen elf Uhr am Morgen vor seinem Amtszimmer ein und fand die Tür verschlossen. »Holt mir Iarrot«, befahl er Kem. »Mit dem Pavian?«
»Mit dem Pavian.«
»Und wenn er leidend ist?«
»Schafft ihn mir auf der Stelle her, in welchem Zustand auch immer.« Kem beeilte sich.
Mit hochrotem Kopf und geschwollenen Lidern rechtfertigte Iarrot sich jammernd. »Ich habe mich nach einer Magenverstimmung ausgeruht. Ich habe Kümmelsamen in Milch eingenommen, doch der Brechreiz dauerte an. Der Heilkundige hat mir einen Absud von Wacholderbeeren und zwei Tage Arbeitsruhe verordnet.«
»Weswegen habt Ihr die thebanischen Ordnungskräfte mit Botschaften überschwemmt?«
»Zwei dringende Angelegenheiten!« Des Richters Wut verebbte. »Erklärt Euch.«
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