»Unter dem Zelt?«
»Die Offiziere und ihre Gefolgsleute haben Anrecht auf die Herberge.«
»Und auf … Frauen?«
Der Offizier bedachte Sethi mit einem ungeheuren Fausthieb in den Rücken.
»Verflixter Bursche, du bist für die Streitkräfte geboren! Nach dem Wein werden wir uns eine liederliche Dirne teilen, die uns die Hodensäcke leeren wird.«
Sethi küßte seinen Bogen. Das Glück verließ ihn nicht.
Paser hatte die Handlungsfähigkeit seiner Feinde unterschätzt. Zum einen wollten sie ihn daran hindern, Memphis zu verlassen und in Theben zu ermitteln; andererseits ihn seiner Eigenschaft als Richter berauben, um seinen Nachforschungen ein für allemal ein Ende zu setzen. Demnach war es tatsächlich ein Mord, wenn nicht gar mehrere, was Paser ans Licht zu bringen trachtete. Leider war es dazu nun zu spät. Wie befürchtet, hatte Sababu, ein Werkzeug des Vorstehers der Ordnungskräfte, ihn der Verderbtheit bezichtigt. Die Gemeinschaft der Gerichtsbeamten würde Pasers ausschweifendes, mit seinem Amt unvereinbares Leben anprangern. Kem trat mit gesenktem Haupt in die Amtsstube. »Habt Ihr Sethi aufgestöbert?«
»Er wurde in das Asien-Heer eingezogen.«
»Ist er fort?«
»Als Bogenschütze auf einem Streitwagen.«
»Mein einziger Entlastungszeuge ist demnach unerreichbar.«
»Ich kann ihn ersetzen.«
»Das lehne ich ab, Kem. Man wird beweisen, daß Ihr Euch nicht bei Sababu aufhieltet, und Ihr werdet wegen falscher Zeugenaussage bestraft werden.«
»Euch verleumdet zu sehen, empört mich zutiefst!«
»Ich tat unrecht daran, den Schleier zu lüften.«
»Wenn niemand, nicht einmal ein Richter, die Wahrheit verkünden darf, lohnt es dann noch zu leben?«
Die Verzweiflung des Nubiers war ergreifend. »Ich werde nicht aufgeben, Kem, doch ich besitze nicht einen einzigen Beweis.«
»Man wird Euch den Mund verschließen.«
»Ich werde nicht schweigen.«
»Ich werde an Eurer Seite sein, mit meinem Pavian.« Die beiden Männer umarmten sich brüderlich.
Die Verhandlung fand zwei Tage nach Richter Pasers Rückkehr unter der aus Holz errichteten Vorhalle des Palastes statt. Die Schnelligkeit des Rechtsgangs ließ sich durch die Persönlichkeit des Beklagten erklären; daß ein Gerichtsbeamter verdächtig war, das Gesetz zu brechen, verdiente eine sofortige Prüfung.
Paser erhoffte sich keinerlei Nachsicht von Seiten des Ältesten der Vorhalle; er war gleichwohl verblüfft angesichts des Ausmaßes der Verschwörung, als er die einzelnen Beisitzer gewahrte: der Warenbeförderer Denes, seine Gemahlin Nenophar, der Vorsteher der Ordnungskräfte, Monthmose, ein Palastschreiber und ein Tempelpriester des Ptah. Seine Feinde hatten die Mehrheit, wenn nicht gar eine einstimmige, falls der Schreiber und der Priester zu ihren Helfershelfern gehörten.
Mit kahl geschorenem Schädel, in einen geschlitzten Prunkschurz gekleidet und verstimmt dreinblickend saß der Älteste der Vorhalle am Ende des Verhandlungssaales. Zu seinen Füßen beschwor ein Krummstab aus Sykomorenholz die Gegenwart der Maat. Die Beisitzer befanden sich zu seiner Linken; zu seiner Rechten ein Schreiber. Hinter Paser zahlreiche Gaffer. »Ihr seid Richter Paser?«
»In Memphis bestallt.«
»Unter Euren Untergebenen findet sich ein Gerichtsschreiber namens Iarrot.«
»Das stimmt.«
»Die Anklägerin möge vortreten.« Iarrot und Sababu: ein unerwarteter Bund! Er war also von seinem engsten Gefolgsmann verraten worden.
Doch es war nicht Sababu, die durch den Verhandlungssaal schritt, sondern eine Braunhaarige mit kurzen Beinen, wulstigen Formen und unansehnlichem Gesicht. »Ihr seid die Gattin des Gerichtsschreibers Iarrot?«
»Das bin ich«, bestätigte sie mit einer kreischenden Stimme, aus der keinerlei Klugheit sprach. »Ihr äußert Euch hier unter Eid. Tragt Eure Anschuldigungen vor.«
»Mein Gatte trinkt Bier, viel zuviel Bier, vor allem am Abend. Seit einer Woche beschimpft er mich und prügelt mich im Beisein unserer Tochter. Sie hat Angst, die arme Kleine. Ich habe Schläge erhalten; ein Heilkundiger hat die Male aufgenommen.«
»Kennt Ihr den Richter Paser?«
»Nur dem Namen nach.«
»Was verlangt Ihr vom Gericht?«
»Daß mein Gatte und sein Vorgesetzter, der für seine Sittlichkeit verantwortlich ist, bestraft werden. Ich will zwei neue Gewänder, zehn Sack Korn und fünf gebratene Gänse. Das Zweifache, wenn Iarrot mich von neuem prügelt.« Paser war völlig verdutzt. »Der Hauptbeklagte möge vortreten.« Beschämt gehorchte Iarrot. Mit seinem plumpen, von einer stärker als gewöhnlich sichtbaren Kupferrose gezeichneten Gesicht brachte er seine Verteidigung vor.
»Meine Frau reizt mich, sie weigert sich, die Speisen zuzubereiten. Ich habe sie geschlagen, ohne es zu wollen. Eine unglückliche Anwandlung. Ihr müßt mich verstehen: Ich arbeite sehr hart bei Richter Paser, meine Wirkzeiten sind unbarmherzig, die Menge der zu bearbeitenden Vorgänge würde die Bestallung eines zweiten Gerichtsschreibers rechtfertigen.«
»Ein Einwand, Richter Paser?«
»Diese Behauptungen sind unrichtig. Wir haben sehr viel Arbeit, das ist wahr, doch ich habe die Eigenarten des Gerichtsschreibers Iarrot geachtet, seine häuslichen Schwierigkeiten gelten lassen und ihm großzügige Wirkzeiten eingeräumt.«
»Zeugenaussagen zu Euren Gunsten?«
»Die Leute aus dem Viertel, nehme ich an.« Der Älteste der Vorhalle wandte sich an Iarrot. »Müssen wir sie hier erscheinen lassen, und weist Ihr die Ansicht des Richters Paser zurück?«
»Nein, nein … Doch ich habe trotzdem nicht ganz unrecht.«
»Richter Paser, wußtet Ihr, daß Euer Gerichtsschreiber seine Gattin schlug?«
»Nein.«
»Ihr seid für die Sittlichkeit Eurer Untergebenen verantwortlich.«
»Das bestreite ich nicht.«
»Aus Nachlässigkeit habt Ihr es verabsäumt, die sittlichen Fähigkeiten von Iarrot zu überprüfen.«
»Dazu hatte ich keine Zeit.«
»Nachlässigkeit ist der einzig zutreffende Begriff.« Der Älteste der Vorhalle hatte Paser in seinen Fängen. Er fragte die Beteiligten, ob sie noch einmal das Wort zu ergreifen wünschten; allein Iarrots Gattin wiederholte erregt ihre Beschuldigungen. Die Geschworenen setzten sich zusammen. Paser hatte beinahe Lust zu lachen. Wie hätte er sich ausmalen können, wegen eines häuslichen Zwistes verurteilt zu werden? Iarrots Schwächlichkeit und die Dummheit seiner Frau bildeten unvorhersehbare Fallen, die seine Gegner sich zunutze gemacht hatten. Die rechtspflegerischen Vorschriften würden gewahrt werden, und man würde den niederen Richter ohne Gewaltstreich beiseite drängen. Die Beratung dauerte mehr als eine Stunde. Der nach wie vor mürrische Älteste der Vorhalle gab das Ergebnis kund.
»In Einstimmigkeit wird der Gerichtsschreiber Iarrot des üblen Verhaltens gegenüber seiner Gattin für schuldig befunden. Er wird verurteilt, dem Opfer zu entrichten, was dieses verlangt, und ihm wird zusätzlich eine Leibesstrafe von dreißig Stockschlägen auferlegt. Falls er rückfällig würde, wird die Scheidung augenblicklich zu seinen Lasten ausgesprochen. Ficht der Angeklagte den Spruch an?« Nur zu glücklich, derart wohlfeil davonzukommen, bot Iarrot seinen Rücken dem Vollstrecker der Züchtigung dar. Das ägyptische Recht scherzte nicht mit Rohlingen, die eine Frau mißhandelten. Der Gerichtsschreiber ächzte und wimmerte; ein Ordnungshüter brachte ihn darauf in den Krankenpflegesaal des Viertels.
»In Einstimmigkeit«, fuhr der Älteste der Vorhalle fort, »wird Richter Paser für unschuldig befunden. Das Gericht empfiehlt ihm, seinen Gerichtsschreiber nicht zu entlassen und ihm die Möglichkeit zur Besserung einzuräumen.«
Monthmose begnügte sich damit, Paser zu grüßen; er hatte es eilig, da er noch ein weiteres Mal als Geschworener über einen Dieb zu Gericht sitzen mußte. Denes und seine Gemahlin beglückwünschten den Gerichtsbeamten.
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