Wie er vermutet hatte, verkaufte Kani Kichererbsen, Gurken und Lauch auf dem Markt. Plötzlich zog der Pavian mit unerwarteter Gewalt an seiner Leine und stürzte sich auf einen Dieb, den niemand bemerkt hatte und der gerade zwei herrliche Köpfe Salat entwendete. Der Affe hieb seine Zähne in den Oberschenkel des Missetäters. Seinen Schmerz herausschreiend, versuchte dieser den Angreifer vergebens zurückzustoßen. Kem schritt ein, bevor der Affe den Mann zerfleischen konnte. Der Dieb wurde in die Obhut zweier Ordnungshüter überstellt.
»Ihr seid mein Beschützer«, bemerkte der Gärtner. »Ich benötige Eure Hilfe, Kani.«
»In zwei Stunden werde ich alles verkauft haben. Dann gehen wir zu mir.«
Der Gemüsegarten war von Kornblumen, Mandragoren und Goldblumen eingefaßt. Kani hatte äußerst gleichmäßige Randbeete gezogen, die die einzelnen Stücke begrenzten; jedes enthielt ein Gemüse, Saubohnen, Kichererbsen, Linsen, Gurken, Zwiebeln, Lauch, Bockshornklee. Am hinteren Ende des Fleckens Land schützte ein Palmenhain die Pflanzung vor dem Wind; auf der linken Seite fanden sich ein Wein- und ein Obstgarten. Kani lieferte den Großteil seiner Ernte dem Tempel und setzte den Überschuß auf dem Markt ab.
»Seid Ihr zufrieden mit Eurem neuen Stand?«
»Die Arbeit ist noch genauso hart, doch ich ziehe Gewinn aus ihr. Der Tempelverwalter schätzt mich.«
»Baut Ihr auch Arzneipflanzen an?«
»Kommt.«
Kani zeigte Paser das Werk, das sein ganzer Stolz war: ein Beet mit einfachen und mit erlesenen Heilkräutern sowie mit Pflanzen, aus denen Arzneien gewonnen wurden. Weiderich, Senf, Bertram, Polei und Kamille waren nur einige davon. »Wißt Ihr, daß Neferet in Theben weilt?«
»Ihr irrt Euch, Richter. Sie bekleidet ein wichtiges Amt in Memphis.«
»Neb-Amun hat sie daraus verjagt.« Eine starke Gemütsbewegung trübte den Blick des Gärtners. »Er hat es gewagt … dieses Krokodil hat es gewagt!«
»Neferet gehört nicht mehr dem ersten Kreis der Heilkundigen an und hat keinen Zugang mehr zu den großen Forschungs- und Wirkstätten. Sie wird sich mit einem Dorf begnügen und die ernsthaft Erkrankten zu ihren befähigteren Berufsgenossen schicken müssen.«
Kani stampfte zornig auf den Boden. »Das ist schändlich, ungerecht!«
»Helft ihr.«
Der Gärtner hob fragend den Blick. »Auf welche Weise?«
»Wenn Ihr ihr seltene und kostspielige Pflanzen und Kräuter liefert, wird sie die nötigen Arzneimittel herzustellen und ihre Kranken zu heilen wissen. Wir werden kämpfen, um ihren guten Ruf wiederherzustellen.«
»Wo ist sie?«
»Das ist mir nicht bekannt.«
»Ich werde sie finden. War das der Auftrag, den Ihr mir anzuvertrauen wünschtet?«
»Nein.«
»Sprecht.«
»Ich suche einen Altgedienten der Ehrenwache des Sphinx. Er ist in seine Heimat am Westufer zurückgekehrt, um seinen Ruhestand dort zu verleben. Er verbirgt sich.«
»Warum?«
»Weil er um ein Geheimnis weiß. Wenn er mit mir spricht, ist er in Lebensgefahr. Ich wollte mich mit seinem Gefährten unterhalten, der sich hier als Bäcker niedergelassen hat; er wurde Opfer eines Unfalls.«
»Was wünscht Ihr?«
»Macht ihn ausfindig. Anschließend werde ich mit allergrößter Vorsicht einschreiten. Irgendjemand bespitzelt mich; falls ich selbst die Suche durchführe, wird der Altgediente ermordet werden, bevor ich mit ihm reden kann.«
»Ermordet!«
»Ich verhehle Euch weder den Ernst der Lage noch die drohende Gefahr.«
»In Eurer Eigenschaft als Richter könntet Ihr …«
»Ich besitze nicht einen Beweis, und ich beschäftige mich mit einem vom Heer abgeschlossenen Vorgang.«
»Und wenn Ihr Euch irrtet?«
»Wenn ich den Altgedienten, sofern er noch lebt, als Zeugen vernehmen kann, werden alle Zweifel zerstreut sein.«
»Ich kenne die Dörfer und Marktflecken des Westufers gut.«
»Ihr geht große Gefahren ein, Kani. Irgend jemand zögert nicht, zu töten und seine Seele zu verlieren.«
»Für dies eine Mal laßt mich darüber urteilen.«
Zum Ende jeder Woche gab Denes einen Empfang, um so die Schiffsführer seiner Frachtboote und zudem einige hochrangige Beamte zu begünstigen, welche bereitwillig die Genehmigungen für freie Fahrt, Beladen und Löschen ausstellten. Alle erfreuten sich an der Pracht des weiten Gartens, den Teichen und dem mit fremdländischen und ausgefallenen Arten bevölkerten Vogelhaus. Denes ging von einem zum anderen, sagte einige Freundlichkeiten, erkundigte sich nach dem Wohl und Wehe der Familie. Dame Nenophar stolzierte umher. An diesem Abend war die Stimmung weniger gelöst. Der Erlaß von Ramses dem Großen hatte Verunsicherung unter den führenden Männern gestiftet. Die einen beargwöhnten die anderen, vertrauliche Kenntnisse zu besitzen und sie für sich zu behalten. Denes, von zwei Berufsgenossen umrahmt, deren Geschäft er sich einzuverleiben gedachte, nachdem er ihre Schiffe aufgekauft hatte, begrüßte einen seltenen Gast, den Metallkundigen Scheschi. Dieser verbrachte den wesentlichen Teil seines Daseins in der geheimsten Forschungs- und Wirkstätte des Palastes und pflegte nur wenig Umgang mit den Vornehmen. Er war von kleinem Wuchs, seine Miene stets düster und abweisend, doch er galt als sehr fähig und bescheiden.
»Eure Anwesenheit ehrt uns, teurer Freund!« Der Wissenschaftler deutete ein halbes Lächeln an. »Wie verliefen Eure letzten Versuche? Kein Sterbenswörtchen, und die Lippen verschlossen halten, nicht wahr, doch man spricht in der ganzen Stadt darüber! Ihr sollt eine außerordentliche Legierung bewerkstelligt haben, die uns erlaube, Schwerter und Lanzen herzustellen, die kein Schlag bricht.« Scheschi schüttelte zweifelnd den Kopf. »Amtsgeheimnis der Streitkräfte, selbstverständlich! Bemüht Euch, auf daß es gelinge. Bei dem, was uns erwartet …«
»Werdet deutlicher«, verlangte einer der Gastfreunde.
»Nach PHARAOS Erlaß zu urteilen, ein netter Krieg! Ramses will die Hethiter zermalmen und uns von diesen kleinen Fürsten Asiens befreien, die sich so leicht auflehnen.«
»Ramses liebt den Frieden«, wandte ein Bootsführer der Handelsschiffahrt ein.
»Auf der einen Seite stehen die öffentlichen Bekundungen, auf der anderen die Taten.«
»Das ist besorgniserregend.«
»Ganz und gar nicht! Vor wem oder was sollte Ägypten sich fürchten?«
»Munkelt man nicht, dieser Erlaß offenbare eine Schwächung der Macht?« Denes brach in Gelächter aus. »Ramses ist der Größte, und er wird es bleiben! Spielen wir ein nebensächliches Vorkommnis nicht zum drohenden Unheil hoch.«
»Trotz alledem, unsere Lebensmittelvorräte zu überprüfen …«
Gemahlin Nenophar ergriff das Wort. »Der Schritt ist leicht faßlich: Vorbereitung einer neuen Abgabe und Umgestaltung der Steuer.«
»Und dazu muß eine neue Bewaffnung bezahlt werden«, überbot Denes. »Wenn er wollte, würde Scheschi sie uns beschreiben und Ramses’ Entscheidung rechtfertigen.«
Alle Blicke richteten sich auf den Forscher. Scheschi hüllte sich weiter in Schweigen. Als geschickte Herrin des Hauses geleitete Nenophar ihre Gäste zu einem Lusthäuschen, in dem ihnen Erfrischungen gereicht wurden.
Monthmose, der Vorsteher der Ordnungskräfte, faßte Denes am Arm und nahm ihn beiseite. »Eure Verdrießlichkeiten mit der Gerechtigkeit sind beendet, hoffe ich?«
»Paser hat nicht weiter beharrt. Er ist verständiger, als ich es mir vorgestellt habe. Ein junger Gerichtsbeamter voller Ehrgeiz, das ist gewiß, aber ist das nicht löblich? Wir haben diese Zeit selbst gekannt, Ihr und ich, bevor wir zu angesehenen Persönlichkeiten wurden.« Monthmose verzog das Gesicht. »Sein ganzes Wesen …«
»Es wird sich mit der Zeit bessern.«
»Ihr seid recht zuversichtlich.«
»Wirklichkeitsnah. Paser ist ein guter Richter.«
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