Die Nacht in der Herberge war so fröhlich wie erschöpfend gewesen. Scheiben gerösteten Ochsenfleischs, Eierfrüchte mit Sahne, Backwaren nach Belieben und eine prachtvolle Libyerin von vierzig Jahren, die ihrem Land entflohen war, um die ägyptischen Krieger zu zerstreuen. Der Offizier des Streitwagens hatte Sethi nicht belogen: Ein Mann genügte ihr nicht. Er, der sich der stürmischste aller Liebhaber wähnte, hatte die Waffen strecken und das Feld seinem Vorgesetzten überlassen müssen. Spöttisch und entflammt nahm die Libyerin die unglaublichsten Stellungen ein.
Als der Streitwagen sich wieder auf den Weg machte, hatte Sethi Mühe, die Augen offenzuhalten. »Du mußt lernen, auf Schlaf zu verzichten, mein Junge! Vergiß nicht, daß der Feind dann angreift, wenn du müde bist. Eine gute Neuigkeit: Wir sind die Vorhut der Vorhut! Die ersten Streiche werden uns gelten. Falls du ein Held werden wolltest, kannst du nun dein Glück versuchen.« Sethi drückte den Bogen gegen seine Brust.
Der Wagen fuhr die Mauern des Herrschers [49] Umfassende Verteidigungswerke, welche die Nordostgrenze von Ägypten im Gebiet des heutigen Suezkanals schützten.
entlang, eine ungeheure, von den Pharaonen des Mittleren Reiches errichtete und von deren Nachfolgern stetig verbesserte Flucht von Festungen; eine wahrhaftige Große Mauer, deren verschiedene Bauwerke untereinander durch Signaltürme verbunden waren und die jeglichen Einfallversuch von Seiten der Beduinen und der Asiaten verwehrte. Von den Gestaden des Mittelmeers bis nach Heliopolis beschirmten die Mauern des Herrschers zugleich die stehenden Truppen, die eigens für die Bewachung der Grenzen ausgebildet waren, und die Zöllner. Niemand betrat Ägypten oder verließ es, ohne seinen Namen und den Grund seiner Reise genannt zu haben; die Händler gaben zudem die Art ihrer Waren an und entrichteten Abgaben. Die Ordnungshüter drängten die unerwünschten Fremden zurück und stellten Einreiseerlaubnisse nur nach eingehenden Prüfungen der Unterlagen aus, die von einem für die Einwanderung zuständigen Beamten der Hauptstadt geflissentlich begutachtet wurden. Im übrigen galt, wie die Stele von PHARAO verkündete: »Wer immer diese Grenze übertritt, wird einer meiner Söhne.« Der Offizier zeigte seine Papyri dem Befehlshaber einer Feste vor, deren sechs Meter hohe Mauern mit beidseitiger Schräge von Gräben umgeben waren. Auf den Zinnen standen Bogenschützen; in den Wachtürmen Späher.
»Man hat die Wache verstärkt«, bemerkte der Offizier. »Sieh dir nur diese nichtsnutzigen Gesichter an.« Zehn bewaffnete Männer umringten plötzlich den Streitwagen. »Steigt aus«, befahl der Anführer. »Ihr scherzt?«
»Eure Papyri sind nicht vorschriftsmäßig.« Bereit, seine Pferde in voller Hatz lospreschen zu lassen, umklammerte der Offizier die Zügel. Jäh richteten sich Lanzen und Pfeile auf ihn. »Steigt augenblicklich aus.«
Der Krieger wandte sich an Sethi. »Was meinst du dazu, Kleiner?«
»Wir haben bessere Schlachten in Aussicht.« Sie sprangen vom Wagen.
»Es fehlt ein Siegel der ersten Feste der Mauern des Herrschers«, verdeutlichte der Befehlshaber des Platzes.
»Die Zeit drängt.«
»Vorschrift ist Vorschrift.«
»Können wir darüber reden?«
»In meinem Arbeitszimmer, aber macht Euch keine Hoffnungen.«
Die Unterredung war von kurzer Dauer. Der Krieger kam hastig aus der Amtsstube, stürzte sich auf die Zügel und trieb das Gefährt auf den Weg nach Asien. Die Räder ächzten und wirbelten eine Sandwolke auf.
»Weshalb diese Eile? Wir sind doch nun mit den Vorschriften im reinen.«
»Mehr oder weniger. Ich habe hart draufgehauen, aber dieser Trottel könnte schneller als vorgesehen wieder aufwachen. Solche Halsstarrigen haben harte Schädel. Ich habe unsere Papyri selbst in Ordnung gebracht. Bei den Streitkräften, mein Kleiner, muß man sich zu helfen wissen.«
Die ersten Tage der Reise verliefen friedlich. Lange Wegstrecken, Versorgen der Pferde, Überprüfen der Ausrüstung, Nächte unterm Sternenhimmel, Verpflegen in den Marktflecken, in denen der Anführer sich mit einem Heeresboten oder einem Mitglied der Geheimen Späher in Verbindung setzte und den Kem der Truppen benachrichtigen hieß, daß nichts dessen Voranrücken stören würde. Der Wind drehte, wurde schneidend. »Der Frühling in Asien ist häufig frisch; leg deinen Überwurf an.«
»Ihr wirkt besorgt.«
»Die Gefahr kommt näher. Ich wittere sie wie ein Hund. Wie steht es um die Nahrung?«
»Es bleiben uns noch Fladen, Fleischklößchen, Zwiebeln und Wasser für drei Tage.«
»Das dürfte genügen.«
Bald darauf fuhren sie in ein stilles Dorf ein; der Marktplatz war menschenleer. Sethis Bauch krampfte sich zusammen.
»Nur keine Angst, Kleiner. Sie sind vielleicht auf den Feldern.«
Der Wagen fuhr ganz langsam weiter. Der Offizier ergriff eine Lanze und sah sich mit wachsamem Blick um. Er hielt vor dem Amtsgebäude, in dem der Beauftragte der Streitkräfte und der Übersetzer weilten. Es war leer.
»Dann wird das Heer eben keinen Bericht erhalten. Daran wird man erkennen, daß sich ein ernster Zwischenfall ereignet hat. Alles deutet auf einen Aufstand.«
»Bleiben wir hier?«
»Ich möchte lieber weiter vorstoßen. Du nicht?«
»Das hängt davon ab.«
»Wovon, Kleiner?«
»Wo befindet sich Heerführer Ascher?«
»Wer hat dir von ihm erzählt?«
»Sein Name ist berühmt in Memphis. Ich würde gerne unter seinem Befehl dienen.«
»Du bist wirklich vom Glück begünstigt. Genau zu ihm sollen wir stoßen.«
»Hat er dieses Dorf geräumt?«
»Sicher nicht.«
»Wer dann?«
»Die Beduinen [50] Die Beduinen waren, gemeinsam mit den Libyern, stetige Unruhestifter und wurden von den Ägyptern seit den ersten Dynastien befehdet. Zur Alten Zeit nannte man sie die »Sandläufer«.
. Die niederträchtigsten, die besessensten und arglistigsten aller Wesen. Beutezüge, Plünderungen, Geiselnahmen, das sind ihre Vorgehensweisen. Wenn es uns nicht gelingt, sie auszumerzen, werden sie Asien, das Land zwischen Ägypten und dem Roten Meer sowie die umliegenden Gaue verderben. Sie verbünden sich bereitwillig mit jedem beliebigen Eroberer, mißachten die Frauen genauso sehr, wie wir sie lieben, speien auf die Schönheit und die Götter. Ich habe vor nichts Angst, aber die, mit ihren schlecht gestutzten Bärten, ihren um die Köpfe gewickelten Stoffen und den langen Gewändern, die fürchte ich. Entsinne dich stets, Kleiner: Das sind Feiglinge. Die überfallen dich hinterrücks.«
»Sollten sie alle Einwohner abgeschlachtet haben?«
»Wahrscheinlich.«
»Heerführer Ascher wäre demnach versprengt und vom Hauptheer abgeschnitten?«
»Möglich.«
Sethis lange, schwarze Haare tanzten im Wind. Trotz seines kräftigen Körperbaus und seines mächtigen Brustkorbs fühlte der junge Mann sich schwach und verletzlich.
»Zwischen ihm und uns stehen die Beduinen. Wie viele?«
»Zehn, hundert, tausend …«
»Mit zehn nehme ich es auf. Bei hundert zögere ich.«
»Tausend, Kleiner, um ein wahrer Held zu sein. Du wirst mich doch nicht im Stich lassen?« Der Offizier trieb die Pferde wieder an. Sie galoppierten bis zum Eingang einer mit Steilhängen gesäumten Schlucht. Dicht stand das an den Fels geklammerte Gesträuch und ließ nur eine enge Durchfahrt frei.
Die Pferde wieherten und bäumten sich auf; der Wagenführer beruhigte sie. »Sie spüren die Falle.«
»Ich auch, Kleiner. Die Beduinen kauern zwischen den Büschen. Sie werden versuchen, die Beine der Pferde mit Beilhieben durchzuhauen, uns zu Fall zu bringen und uns den Kopf und die Hoden abzuschneiden.«
»Der Preis des Heldentums scheint mir allzu hoch.«
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