Der ermüdete Wesir schien zu schlummern. »Ich höre Euch zu, Monthmose. Faßt Euch kurz.«
»Das ist nicht so einfach …«
»Vereinfacht.«
»Mehrere Altgediente sind bei einem Unfall, nämlich durch einen Sturz vom Großen Sphinx, ums Leben gekommen.«
»Und die behördliche Untersuchung?«
»Die hat das Heer durchgeführt.«
»Ungewöhnlichkeiten?«
»Dem scheint nicht so. Ich habe die amtlichen Schriftstücke nicht eingesehen, jedoch …«
»Jedoch haben Eure Beziehungen Euch ermöglicht, deren Inhalt zu erfahren. Das ist nicht sehr rechtmäßig, Monthmose.«
Der Vorsteher der Ordnungskräfte hatte diesen Angriff befürchtet. »Es sind alte Gewohnheiten.«
»Ihr werdet sie ändern müssen. Wenn es keine Ungewöhnlichkeiten gibt, welches ist dann der Grund Eures Besuchs?«
»Richter Paser.«
»Ein unwürdiger Gerichtsbeamter?« Monthmoses Stimme wurde näselnder. »Diese Anschuldigung möchte ich nicht äußern. Es ist vielmehr sein Betragen, das mir Sorgen macht.«
»Achtet er das Gesetz nicht?«
»Er ist davon überzeugt, daß das Verschwinden des Oberaufsehers, eines Altgedienten von ausgezeichnetem Ansehen, sich unter ungewöhnlichen Umständen zugetragen habe.«
»Hat er Beweise?«
»Nicht einen. Ich habe den Eindruck, dieser junge Richter will eine gewisse Unruhe säen, um sich einen Namen zu machen. Ich beklage diese Haltung.«
»Ihr seht mich darüber hocherfreut, Monthmose. Und zum Kern der Angelegenheit, welches ist da Eure Meinung?«
»Sie ist kaum von Wert.«
»Im Gegenteil. Ich brenne darauf, sie zu erfahren.« Die Falle stand weit offen.
Der Vorsteher der Ordnungskräfte verabscheute es, sich in der einen oder anderen Richtung zu verpflichten, fürchtete er doch, eine klare Stellungnahme könnte ihm vorgehalten werden. Der Wesir schlug die Augen auf. Sein blauer und kalter Blick drang bis in die Seele.
»Es ist wahrscheinlich, daß nichts Geheimnisvolles den Tod dieser Unglücklichen umgibt, jedoch kenne ich den Vorgang nicht gut genug, um mich abschließend darüber auszusprechen.«
»Wenn der Vorsteher der Ordnungskräfte selbst einen Zweifel äußert, weshalb sollte dann ein Richter nicht zweifeln? Seine erste Pflicht ist es, von vornherein feststehende Wahrheiten nicht gelten zu lassen.«
»Selbstverständlich«, murmelte Monthmose. »Man beruft keinen Unfähigen nach Memphis; Paser fand gewiß wegen seiner hohen Werte Beachtung.«
»Die Stimmung einer großen Stadt, der Ehrgeiz, die Handhabung übermäßiger Vollmachten … Trägt dieser junge Mann nicht allzu schwere Verantwortungen?«
»Wir werden sehen«, beschied der Wesir. »Ist dies der Fall, werde ich ihn entheben. Einstweilen lassen wir ihn fortfahren. Ich baue auf Euch, ihm tüchtigen Beistand zu leisten.«
Bagi legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Monthmose war davon überzeugt, daß er ihn durch die geschlossenen Augen beobachtete; er erhob sich, verneigte sich und ging hinaus, seinen Zorn seinen Dienern vorbehaltend.
Kräftig, ja vierschrötig, mit von der Sonne gebräunter Haut, fand sich Kani kurz nach Sonnenaufgang vor der Amtsstube Richter Pasers ein. Er ließ sich vor der verschlossenen Tür, neben Wind des Nordens, nieder. Einen Esel, den erträumte sich Kani seit langem. Er würde für ihn schwere Lasten tragen und somit seinen vom Gewicht all der Wasserkrüge verbrauchten Rücken schonen, welche er ausgegossen hatte, um den Garten feucht zu halten. Da Wind des Nordens seine Ohren weit aufsperrte, erzählte er ihm von seinen ewig gleichen Tagen, seiner Liebe zur Erde, der Sorgfalt, mit der er die Bewässerungsrinnen aushob, der Freude, die Pflanzen gedeihen zu sehen.
Seine Bekenntnisse wurden von Paser unterbrochen, der mit raschem Schritt nahte. »Kani … wünscht Ihr mich zu sehen?« Der Gärtner nickte. »Tretet ein.«
Kani zögerte. Das Amtszimmer des Richters erschreckte ihn, wie auch die Stadt überhaupt. Wenn er dem Lande fern war, fühlte er sich unbehaglich. Zuviel Lärm, zu viele ekelerregende Gerüche, zuviel versperrter Horizont. Hätte seine Zukunft nicht auf dem Spiel gestanden, er hätte sich niemals in Memphis’ Gäßchen hineingewagt. »Ich habe mich zehnmal verloren«, erklärte er. »Neuerliche Verdrießlichkeiten mit Qadasch?«
»Ja.«
»Wessen beschuldigt er Euch?«
»Ich will gehen, und er verwehrt es mir.«
»Gehen?«
»Dieses Jahr hat mein Garten dreimal soviel Gemüse als die festgesetzte Menge erbracht. Infolgedessen kann ich unabhängiger Arbeiter werden.«
»Das ist rechtmäßig.«
»Qadasch bestreitet das.«
»Beschreibt mir Euer Stück Land.«
Der Oberste Arzt empfing Neferet im schattigen Garten seines prachtvollen Herrenhauses. Unter einer blühenden Akazie sitzend, trank er kühlen und leichten rosenfarbenen Wein. Ein Diener fächelte ihm Luft zu.
»Schöne Neferet, wie glücklich bin ich, Euch zu sehen!«
Die junge Frau war recht schlicht gekleidet und trug eine kurzhaarige Perücke nach alter Sitte. »Ihr kommt heute sehr streng daher; trägt man ein solches Gewand überhaupt noch?«
»Ihr habt mich bei meiner Arbeit in der Forschungsstätte unterbrochen; ich würde gerne den Grund für Eure Einbesteilung erfahren.« Neb-Amun befahl seinem Diener, sich zu entfernen. Sich seiner gewinnenden Art gewiß und davon überzeugt, daß die Schönheit seines Heims Neferet bezaubern würde, hatte er beschlossen, ihr eine letzte Gelegenheit zu ihrem Glück zu bieten. »Ihr mögt mich nicht sonderlich.«
»Ich erwarte Eure Antwort.«
»Genießt diesen herrlichen Tag, diesen köstlichen Wein, diesen Ort der Seligkeit, an dem wir leben. Ihr seid schön und klug, begabter für die Heilkunst als unser Praktiker mit den meisten Titeln. Doch Ihr besitzt weder Vermögen noch Erfahrung; wenn ich Euch nicht helfe, werdet Ihr in einem Dorf Euer Leben fristen. Zu Anfang wird Eure sittliche Festigkeit Euch noch erlauben, die Prüfung zu meistern; mit der Reife werdet Ihr Eure vorgeschützte Reinheit bereuen. Eine Laufbahn baut sich nicht auf höchster Vollkommenheit auf, Neferet.« Mit verschränkten Armen betrachtete die junge Frau die Wasserfläche, auf der sich Enten zwischen Lotosblumen tummelten.
»Ihr werdet mich und meine Handlungsweise lieben lernen.«
»Euer Ehrgeiz berührt mich nicht.«
»Ihr seid würdig, die Gemahlin des Obersten Arztes des Hofes zu werden.«
»Ihr versteigt Euch.«
»Ich kenne die Frauen gut.«
»Seid Ihr Euch dessen so sicher?« Neb-Amuns berückendes Lächeln verkrampfte sich. »Solltet Ihr vergessen, daß ich Herr über Eure Zukunft bin?«
»Die liegt in den Händen der Götter, nicht in den Euren.«
Neb-Amun erhob sich mit ernstem Gesicht. »Laßt die Götter und bekümmert Euch um mich.«
»Rechnet nicht damit.«
»Dies ist meine letzte Ermahnung.«
»Dürfte ich in die Forschungsstätte zurückkehren?«
»Den Berichten zufolge, die ich gerade erhalten habe, sind Eure Kenntnisse der Arzneikunde sehr ungenügend.«
Neferet verlor ihre Fassung nicht; ihre Arme auseinandernehmend, blickte sie ihren Ankläger fest an.
»Ihr wißt, daß das nicht stimmt.«
»Die Berichte sind eindeutig.«
»Ihre Urheber?«
»Arzneiheilkundige, die an ihren Ämtern hängen und wegen ihrer Wachsamkeit eine Beförderung verdienen. Wenn Ihr unfähig seid, ein zusammengesetztes Heilmittel zuzubereiten, habe ich nicht das Recht, Euch in den Kreis unserer Besten aufzunehmen. Ihr wißt, was das bedeutet, nehme ich an? Es wird Euch unmöglich sein, in der Hierarchie weiter voranzukommen. Ihr werdet auf der Stelle treten, ohne die besten Erzeugnisse der Wirkstätten verwenden zu können; da sie unter meiner Zuständigkeit stehen, wird Euch der Zugang zu ihnen verwehrt bleiben.«
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