Trotz allem, was Quentin über das Unbedeutende seiner Verletzung sagen mochte, mußte er absteigen, sich auf einem Felsstück niederlassen und dann den Helm abnehmen. Die Gräfinnen von Croye, die, einer damals noch nicht abgekommener Sitte zufolge, auf einige Kenntnis in der Heilkunde Anspruch machen konnten, wuschen ihm die Wunde aus, suchten das Blut zu stillen und verbanden die Wange mit dem Taschentuch der jüngeren Dame, um die Einwirkung der Luft zu verhindern, so wie ihnen die Erfahrung gebot.
Wir haben bereits bemerkt, daß der Patient ausnehmend hübsch war. Als er nun seinen Helm oder vielmehr seine Sturmhaube abnahm, umflossen seine gelockten Haare ein Gesicht, aus dem sicher der Frohsinn der Jugend, verbunden mit dem Erröten der Bescheidenheit die Schönheit nur noch anmutiger malte. In die Gefühle der jüngeren Gräfin, die das Taschentuch auf die Wange halten mußte, während ihre Muhme im Gepäcke nach einem Wundheilmittel suchte, mischte sich eine gewisse zarte Scheu und Verlegenheit; Mitleid für den Verwundeten und eine Regung der Dankbarkeit gaben in ihren Augen seinem schönen Aeußern und seinen edlen Zügen nach mehr Anziehendes. Mit einem Worte, das Schicksal schien diesen Vorfall herbeigeführt zu haben, um den geheimen Seelenverein zu vollenden, der durch mehrere unbedeutende und dem Anschein nach zufällige Umstände zwischen zwei Personen begonnen hatte, die, wenngleich verschieden durch Rang und Glücksgüter, dennoch durch Jugend, Schönheit und die romantische Zärtlichkeit liebender Gemüter innig verwandt waren. Es war daher kein Wunder, daß von diesem Augenblick an die Gedanken an die Gräfin Isabelle, mit denen Quentins Einbildungskraft schon so vertraut war, sich seiner ganzen Seele zu bemächtigen anfing, und daß, wenn auch des Mädchens Gefühle einen minder entschiedenen Charakter hatten, soweit sie sich nämlich derselben bewußt war, sie an ihren jungen Beschützer, dem sie einen so interessanten Gegendienst erwiesen hatte, mit mehr Anteil dachte als an irgend einen aus der Menge hochgeborner Edeln, die sie seit zwei Jahren mit ihren Huldigungen verfolgt hatten. Vor allem erschien ihr, wenn sie an Campobasso, den unwürdigen Günstling Herzog Karls, mit seiner heuchlerischen Miene, seiner niederträchtigen, verräterischen Gemütsart, seinem schiefen Halse und seinen schielenden Augen dachte, sein Bild noch scheußlicher und abschreckender als jemals; und sie faßte bei sich den festen Entschluß, daß keine Tyrannei sie je zur Eingehung einer solchen Verbindung vermögen sollte.
Sei es nun, daß die gute Gräfin Hameline von Croye männliche Schönheit noch ebenso bewunderte und zu würdigen wußte, als wie in ihrem fünfzehnten Jahre (denn die Gräfin war, wenn die Nachrichten dieses edlen Hauses die Wahrheit sprechen, wenigstens fünfunddreißig Jahre alt), oder daß sie glaubte, sie habe ihrem jungen Beschützer bei der anfänglichen Beurteilung seiner Dienste weniger Gerechtigkeit widerfahren lassen, als er verdiene, genug — er begann Gnade auch in ihren Augen zu finden…»Meine Nichte, «sagte sie,»hat Euch ein Tuch geschenkt, um Eure Wunde zu verbinden; empfanget hier eines zur Belohnung für Eure Tapferkeit und zur Ermutigung, auf dem Pfade des Rittertums also fortzuschreiten.«
Mit diesen Worten gab sie ihm ein blauseidenes, reich mit Silber gesticktes Tuch, zeigte auf die Satteldecke ihres Zelters und die Federn ihres Reithutes und machte ihm bemerklich, daß sie von gleicher Farbe wären.
Die Sitte der Zeit schrieb genau die Art vor, wie man eine solche Gunstbezeugung anzunehmen habe; Quentin befolgte sie auch, indem er das Tuch um seinen Arm band. Er bezeigte ihr jedoch seinen Dank auf eine linkischere und weniger galante Weise, als es vielleicht zu einer andern Zeit und in andrer Gegenwart der Fall gewesen wäre; denn obgleich ein solches Damengeschenk als bloße Artigkeit anzusehen war, so hätte er sich doch lieber des Rechts bedient, das Tuch um den Arm zu tragen, das auf der ihm von Dunois' Schwert geschlagenen Wunde lag.
Mittlerweile setzten sie ihre Wallfahrt fort; Quentin ritt den Damen zur Seite, in deren Gesellschaft er stillschweigend aufgenommen zu sein schien. Er sprach jedoch nicht viel; denn ihn erfüllte das Bewußtsein jener stillen Glückseligkeit, das sich scheut, seinen Empfindungen eine zu laute Sprache zu leihen. Gräfin Isabelle sprach noch weniger, so daß die ganze Unterhaltung auf Gräfin Hameline beruhte, die auch keine Lust bezeigte, sie fallen zu lassen; denn um den jungen Bogenschützen, wie sie sagte, in die Grundsätze und Sitten des Rittertums einzuweihen, erzählte sie ihm den ganzen Hergang des Speerrennens zu Haflinghem, wo sie die Preise unter die Sieger verteilt hatte.
Quentin, der, wie ich mit Bedauern sagen muß, an der Schilderung kein großes Interesse fand, fing an besorgt zu werden, ob er nicht vielleicht schon über den Ort hinaus sei, wo der Führer zu ihm stoßen sollte — ein ernster Unfall, der, wenn er sich wirklich zugetragen hatte, die schlimmsten Folgen befürchten ließ. Während er mit sich zu Rate ging, ob es nicht besser wäre, einen Begleiter zurückzuschicken, um zu ermitteln, ob seine Furcht gegründet sei, vernahm er den Klang eines Horns, und als er die Augen in die Richtung wandte, woher dieser kam, sah er einen Reitersmann eilig gegen sie heransprengen. Das kleine, wilde, langhaarige Tier erinnerte Quentin an die Gebirgspferde seines Vaterlandes; allein dieses war feiner gebaut, und bei gleicher Ausdauer, wie es schien, ungleich rascher in seinen Bewegungen; der Kopf besonders, der bei schottischen Kleppern oft plump und unförmlich ist, war klein und stand in schönem Verhältnis zu seinem Halse; dabei hatte das Tier dünne Kinnladen, feurige, volle Augen und weite Nasenlöcher.
Noch sonderbarer als das Aussehen des Pferdes, das er ritt, das übrigens mit den französischen Pferden nicht die geringste Ähnlichkeit hatte, war das des Reiters. Er lenkte zwar seinen Klepper mit vieler Gewandtheit, seine breiten, schaufelförmigen Steigbügel aber waren so kurz geschnallt, daß seine Knie mit dem Sattelknopfe ziemlich die gleiche Höhe erreichten. Er trug einen kleinen roten Turban mit einer schmutzigen Feder, die mit einer silbernen Schnalle befestigt war; sein Leibrock war von grüner Farbe und flitterhaft mit Gold besetzt; er trug sehr weite, ziemlich beschmutzte Beinkleider, die um die Knie befestigt waren; seine schwarzbraunen Beine waren ganz nackt bis auf die Bänder, die seine Sandalen an die Füße befestigten. Er trug keine Sporen, denn die Ecken seiner breiten Steigbügel waren scharf genug, das Pferd auf eine sehr empfindliche Weise anzutreiben. In einem karmesinroten Gürtel hatte dieser sonderbare Reiter auf der rechten Seite einen Dolch stecken, an seiner linken hing ein kurzes, gekrümmtes, maurisches Schwert, und an einem schmutzigen Wehrgehänge das Hifthorn, das seine Annäherung verkündigt hatte. Er hatte ein schwärzliches, sonnenverbranntes Gesicht, einen schwachen Bart, schwarze, durchdringende Augen, einen wohlgebildeten Mund und Nase; auch seine übrigen Züge hätten für hübsch gelten können, wenn ihm nicht sein schwarzes, struppiges Haar, das unordentlich um den Kopf hing, und der wilde Ausdruck seiner abgezehrten Gestalt mehr das Ansehen eines Wilden als das eines zivilisierten Menschen gegeben hätten.
«Wieder ein Zigeuner!«sagten die Damen zueinander;»heilige Jungfrau, schenkt denn der König immer noch solchen verworfenen Menschen sein Vertrauen?«—»Wenn ihr es wünscht, «sagte Quentin,»werde ich den Mann befragen und mich, so gut ich kann, seiner Treue versichern.«
Durward sowohl, als die Gräfinnen von Croye, hatten in dem Anzug und dem Aeußern dieses Mannes das Benehmen und die Manieren jener Landstreicher erkannt, mit denen er bei Trois-Echelles und Petit-Andrés raschem Verfahren beinahe verwechselt worden wäre, und hegte daher sehr natürliche Besorgnisse über die Gefahr, einem von diesem fahrenden Volk Vertrauen zu schenken.
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