«Die Züge des Jünglings glichen also, wenn ich fragen darf, «sagte Oliver,»den Zügen dessen, den Ihr im Traume saht?«
«Aufs Haar hin, «versetzte der König, dessen Einbildungskraft, wie es bei allen abergläubischen Leuten zu gehen pflegt, ihn selbst täuschte. — »Ich habe durch Galeotti Martivalle sein Horoskop stellen lassen und erkannte durch seine Kunst und meine eigene Beobachtung ganz genau, daß dieser allein in der Welt stehende Jüngling in mancher Hinsicht mit mir unter gleicher Konstellation steht. «Was auch immer Oliver von den Gründen halten mochte, die Ludwig mit so vieler Zuversicht gab, so wagte er es doch nicht, fernere Einwendungen zu machen.
«Hoffentlich, «sagte er deshalb nur,»ändert er sich mit der Zeit nicht?«
«Wir werden Sorge tragen, daß er keine Gelegenheit bekommt, sich anders zu betragen; denn er soll nichts erfahren, als daß er abgeschickt ist, die Gräfinnen von Croye in die Residenz des Bischofs von Lüttich zu begleiten. Von der wahrscheinlichen Dazwischenkunft Wilhelms von der Mark erfährt er so wenig, als jene. Niemand soll um das Geheimnis wissen, als der Wegweiser; und Tristan oder Du müssen mir jemand ausfindig machen, der zu unsern Absichten taugt.«
«Aber in diesem Falle, «sagte Oliver,»wird sich der junge Mann, nach seinem Vaterlande und seinem Aeußern zu schließen, wohl zur Wehr setzen, sobald der wilde Eber auf sie losstürzt, und möchte wohl dessen Hauern nicht so leicht entkommen, wie diesen Morgen denen Tristans.«—»Wenn es ihm ans Leben geht, «sagte Ludwig ruhig,»so wird der heilige Julian, — gebenedeit sei sein Name, — mir einen andern an seine Stelle senden. Unterdessen müssen wir Anstalten zur Reise der Damen treffen und dann den Grafen Crevecoeur überreden, sie habe ohne ihr Zutun stattgefunden.«
«Der Graf ist vielleicht zu klug, und sein Gebieter zu sehr gegen Euch eingenommen, um das zu glauben.«
«Heilige Mutter Gottes!«entgegnete Ludwig,»wie könnte ein Christ so ungläubig sein! Nein, Oliver, sie sollen uns glauben müssen. Wir wollen in unser ganzes Benehmen gegen unsern lieben Vetter, den Herzog Karl, ein so unbegrenztes Zutrauen legen, daß er ärger denn ein Ungläubiger sein müßte, wenn er nicht glaubte, daß wir's in jeder Hinsicht redlich mit ihm meinten. Ich sage Dir, ich bin so überzeugt, daß ich Karl von Burgund jede beliebige Meinung von mir beibringen könnte, daß ich, um alle seine Zweifel zu beschwichtigen, wenn's nötig wäre, unbewaffnet auf einem Saumrosse ihn in seinem Zelt besuchen wollte, ohne ein anderes Geleit, als Deine Wenigkeit, Freund Oliver.«
«Und ich wollte, «sprach Oliver,»obgleich ich mich nicht rühmen kann, daß ich mit einem andern Stahl, als meinem Schermesser, umzuspringen weiß, lieber gegen ein Bataillon Schweizerlanzen zu Felde ziehen, als Ew. Majestät auf einem solchen Freundschaftsbesuche begleiten! denn der Herzog hat der Gründe zuviele, um versichert zu sein, daß Ew. Majestät nichts als Haß und Feindschaft gegen ihn im Herzen trägt.«
«Du bist ein Narr, Oliver, «sagte der König —»und das bei allen Deinen Ansprüchen auf Weisheit; Du siehst nicht, daß gerade tiefe Politik zuweilen die Larve der größten Einfalt annimmt, sowie Mut oft hinter bescheidener Schüchternheit sich birgt. Wenn's nötig wäre, so wäre nichts gewisser, als daß ich tun würde, was ich eben sagte, — wenn die Heiligen unser Vorhaben segneten, und die himmlischen Konstellationen in ihrem Laufe für solch ein Unternehmen die gehörige Stellung eingenommen hätten.«
Er entließ seinen geheimen Rat und begab sich sogleich auf das Zimmer der Gräfinnen von Croye. Es brauchte außer seiner bloßen Erlaubnis wenig Ueberredens, um ihre Entfernung von dem französischen Hofe auf den ersten Wink zu bewirken, daß er vielleicht nicht imstande sein würde, sie fernerhin gegen den Herzog von Burgund zu schützen; aber nicht so leicht war es, sie zu bestimmen, Lüttich zu ihrem Zufluchtsort zu wählen. Sie baten aufs angelegentlichste, man möchte sie nach Bretagne oder Calais begleiten, wo sie unter dem Schutz des Herzogs von Bretagne oder des Königs von England solange in Sicherheit verweilen wollten, bis der Herzog von Burgund von seinem harten Vorhaben gegen sie zurückgekommen wäre. Allein keiner dieser Zufluchtsörter wollte in die Pläne Ludwigs passen, und am Ende gelang es ihm, sie zur Annahme desjenigen zu bestimmen, der damit übereinkam. Daß der Bischof von Lüttich sie zu schützen imstande sei, konnte nicht in Zweifel gezogen werden; denn seine geistliche Würde gab ihm die Mittel an die Hand, die Flüchtlinge gegen alle Fürsten der Christenheit zu verteidigen, während auf der andern Seite seine weltliche Macht, wenn auch eben nicht beträchtlich, doch wenigstens hinreichend war, seine Person sowie alle, die unter seinem Schutze standen, vor plötzlicher Gewalttat sicher zu stellen. Die einzige Schwierigkeit war noch, wie sie den kleinen Hof des Bischofs in Sicherheit erreichen könnten; aber dafür versprach Ludwig zu sorgen, daß er ein Gerücht verbreitete, die Gräfinnen von Croye wären aus Furcht vor einer Auslieferung an die burgundische Gesandtschaft bei Nacht aus Tours entflohen, und hätten ihren Weg in der Richtung nach Bretagne genommen. Er versprach ihnen gleichfalls ein kleines, aber treuergebenes Gefolge nebst Briefen an die Befehlshaber der auf ihrem Wege liegenden Städte und Festungen mit der Weisung beizugeben, daß diese ihnen auf ihrer Reise jeden möglichen Beistand zu leisten hätten.
Die Gräfinnen von Croye waren, obgleich sie die ungroßmütige und unhöfliche Art, womit er sie der zugesicherten Freistätte an seinem Hofe beraubte, tief empfanden, doch so weit entfernt, sich gegen die vorgeschlagene schleunige Abreise zu setzen, daß sie seinem Verlangen mit der Bitte entgegenkamen, noch in dieser Nacht abreisen zu dürfen. Gräfin Hameline war bereits eines Aufenthalts überdrüssig, wo es weder bewundernde Höflinge noch Festlichkeiten gab, bei denen man glänzen konnte; Isabelle dagegen glaubte, genug gesehen zu haben, um zu dem Schlusse berechtigt zu sein, daß, wenn die Versuchung nur um weniges stärker würde, Ludwig XI., nicht zufrieden, sie von seinem Hofe zu vertreiben, sie am Ende sogar ohne Bedenken an ihren erbitterten Lehnsherrn, den Herzog von Burgund, ausliefern würde. Ludwig willigte in ihren Entschluß, sogleich abzureisen, um so williger, als er sehnlichst wünschte, den Frieden mit dem Herzog von Burgund nicht zu stören.
Beschäftigung und Abenteuer schienen auf den jungen Schotten mit der Gewalt einer Springflut einzuströmen, denn er wurde eiligst auf das Zimmer seines Hauptmanns beschieden, wo er zu seinem großen Erstaunen den König selbst gegenwärtig fand. Nach einigen Worten über die Ehre und das in ihn gesetzte Vertrauen, die Quentin schon fürchten ließen, man möchte ihm wieder eine Wache zumuten, wie die bei Graf Crevecoeur, oder vielleicht eine seinen Gefühlen von Ehre und Rechtlichkeit noch mehr zuwiderlaufende Pflicht, fühlte er sich nicht nur gar sehr erleichtert, sondern hocherfreut, als er hörte, daß man ihn, nebst vier unter seinen Befehl gestellten Gefährten, von denen einer der Führer war, auserwählt habe, die Gräfinnen von Croye an den kleinen Hof ihres Verwandten, des Bischofs von Lüttich, und zwar auf möglichst geheime Weise zu geleiten. Er wurde hinreichend mit Verhaltungsbefehlen versehen über das, was er zu tun und zu sagen habe, um die Rolle eines Haushofmeisters» zweier englischer Damen von Rang «zu spielen, die sich auf einer Wallfahrt zu dem heiligen Martin von Tours befänden und jetzt willens wären, die heilige Stadt Köln zu besuchen und die Reliquien der Weisen aus dem Morgenlande anzubeten; denn in dieser Eigenschaft sollten die Gräfinnen von Croye reisen.
Ohne sich über die Ursache seines Entzückens genaue Rechenschaft geben zu können, schlug Quentin Durwards Herz hoch vor Freude bei dem Gedanken, daß er nun der Schönheit vom Türmchen so nahe kommen und in ein Verhältnis zu ihr gesetzt werden sollte, das ihn zu ihrem Vertrauen berechtigte, da ihr Schutz nur größtenteils seinem klugen Benehmen und seinem Mute anvertraut war. Es kam ihm gar kein Zweifel, ob er sie auch glücklich durch die Wagnisse und Fährlichkeiten geleiten könnte. Die Jugend denkt selten an Gefahren, und in Freiheit, Furchtlosigkeit und Selbstvertrauen aufgewachsen, dachte Quentin nur an Gefahren, um ihnen die Spitze zu bieten. Er sehnte sich aus der drückenden Nähe des Königs, um den Gefühlen von Freude freien Lauf zu lassen, womit ihn diese unerwartete Kunde erfüllte, und die er in dieser Gesellschaft durchaus nicht auslassen konnte.
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