Allein der König gab ihn noch nicht frei. Dieser vorsichtige Monarch mußte sich noch mit einem Ratgeber ganz anderen Schlags, als Oliver» dem Teufel«, besprechen, mit einem, von dem man glaubte, daß er seine Weisheit aus überirdischen, himmlischen Quellen schöpfte, dahingegen die Leute, welche nach den Früchten urteilen, geneigt waren, zu glauben, daß Olivers Ratschläge dem bösen Feinde selbst ihr Entstehen verdankten.
Ludwig ging voran, und der ungeduldige Quentin folgte ihm in einen einzeln stehenden Turm des Schlosses Plessis. Hier hauste mit nicht geringer Bequemlichkeit und mit Glanz, der berühmte Sterndeuter, Dichter und Weltweise Galeotti Marti, oder Martius, oder Martivalle, von Nervi in Italien gebürtig. Er hatte mit Auszeichnung an dem Hofe des berühmten Mathias Corvinus, Königs von Ungarn, gelebt, von welchem er durch Ludwig hinweggelockt wurde, der diesen Monarchen um die Gesellschaft und Ratschläge eines Weisen beneidete, dem der Ruf solche Geschicklichkeit in der Enthüllung der Beschlüsse des Himmels beilegte.
Martivalle war keiner jener asketischen, abgelebten, blassen Bekenner mystischer Weisheit, die in mitternächtlichen Stunden ihre Augen am Schmelzofen verderben und ihre Körper bei der Beobachtung des großen Bären abmagern. Er nahm teil an allen Lustbarkeiten des Hofes und zeichnete sich, bevor er beleibt wurde, in allen kriegerischen Belustigungen und Leibesübungen, sowie auch im Gebrauche der Waffen aus.
Die Gemächer des höfischen und zugleich kriegerischen Weisen waren weit glänzender ausgestattet, als irgend eines, das Quentin in dem königlichen Palaste gesehen hatte. Das Schnitzwerk und die Verzierungen an seinem Bücherschrank sowohl, als die Pracht, die sich in den Tapetenbehängen kundtat, zeugten von dem feinen Geschmack des gelehrten Italieners. Von seinem Studierzimmer führte eine Tür in sein Schlafgemach, eine andere in das Türmchen, das ihm zur Sternwarte diente. Eine große eichene Tafel mitten im Zimmer war mit einem kostbaren türkischen Teppich bedeckt. Auf dem Tische lagen eine Menge von mathematischen und astrologischen Instrumenten, alle von dem reichsten Material und trefflich gearbeitet. Sein Astrolabium von Silber war ein Geschenk des deutschen Kaisers und sein Jakobstab von Elfenbein, mit Gold beschlagen und künstlich eingelegt, war ein Zeichen der Achtung von seiten des Papstes.
Galeotti Martivalle, ein großer, starker, ungeachtet seiner Körperfülle stattlicher Mann, war längst über die Mittagshöhe des Lebens hinaus. In seiner Jugend hatte er starke Leibesübungen gehalten, die er zwar jetzt noch gelegentlich fortsetzte, die aber dennoch eine natürliche Anlage zur Wohlbeleibtheit nicht bekämpfen konnten. Seine Gesichtszüge, wenngleich etwas stark gezeichnet, hatten einen Ausdruck von Würde und Hochsinn, und ein türkischer Heiliger hätte ihn um die Fülle des schwarzen, weit herabfließenden Bartes beneidet. Er trug einen Schlafrock vom reichsten Genueser Sammt mit weiten Aermeln, die mit goldenen Spangen zusammengehalten wurden und mit Zobel gefüttert waren. Um die Mitte des Leibes hielt ihn ein breiter Gürtel von Jungfernpergament, auf dem ringsherum die Zeichen des Tierkreises in hochroten Charakteren dargestellt waren. Er stand auf und verbeugte sich gegen den König, jedoch mit einer Miene, als ob ihm eine so hohe Gesellschaft nicht ungewohnt wäre.
«Ihr seid beschäftigt, Vater, «sprach der König, einen Blick auf den Tisch heftend, auf welchem ein Buch aufgeschlagen lag, das durch die eben erfundene Druckkunst hergestellt war,»und wie mir deucht, mit der neuerfundenen Weise, durch Anwendung von Maschinen die Handschriften zu vervielfältigen? Können so mechanische und irdische Dinge die Gedanken jemands in Anspruch nehmen, vor dem der Himmel das Buch seiner erhabenen Geheimnisse entfaltet?«
«Mein Bruder, «erwiderte Martivalle, denn also muß der Bewohner dieser Zelle selbst den König von Frankreich nennen, wenn sich dieser herabläßt, ihn als Schüler zu besuchen, — »glaubt mir, daß ich, wenn ich die Folgen dieser Erfindung erwäge, in ihr ebenso sicher, wie durch die Stellung der Himmelskörper, die gewaltigsten und erstaunenswürdigsten Umwandlungen lese. Wenn ich betrachte, wie langsam und dürftig der Quell des Wissens bisher für uns floß; wie schwer selbst es denen ward, die so glühend darnach dürsteten: kann ich wohl ohne Verwunderung und Erstaunen auf das Los der kommenden Geschlechter hinblicken, auf welche die Erkenntnis gleich dem Frühregen und Spätregen herabströmen wird, ununterbrochen, ungehemmt das eine Land befruchtend, das andere überflutend; das ganze gesellige Leben neu gestaltend, Religionen bald gründend, bald umstürzend, und Königreiche hier stiftend, dort zerstörend.«
«Halt, Galeotti, «fiel Ludwig ein, — »weiden diese Veränderungen in unsern Zeiten sich zutragen?«
«Nein, mein königlicher Bruder, «antwortete Martivalle,»diese Erfindung mag mit einem jungen Baume verglichen werden, der erst noch gesetzt wurde, aber für kommende Geschlechter Früchte tragen wird, ebenso verderbliche wie köstliche, wie die im Garten Eden — die Erkenntnis nämlich des Guten und des Bösen.«
Ludwig antwortete nach einer augenblicklichen Pause:»Mag die Zukunft sehen, wie sie damit auskommt — wir sind Männer dieses Zeitalters, und auf dieses wollen wir unsere Sorgfalt beschränken. Jeder Tag hat seine eigene Plage. — Sagt mir, seid Ihr weitergekommen auf dem Horoskop, das ich Euch sandte, und worüber Ihr mir schon einigen Bericht erstattetet? Ich habe den Menschen mitgebracht, damit Ihr, wenn es Euch beliebt, an ihm Eure Handwahrsagekunst versuchen könnt. Die Sache hat Eile.«
Der wohlbeleibte Weise stand von seinem Sitze auf, heftete, als er sich dem jungen Krieger genähert hatte, seine großen, schwarzen Augen auf ihn, als wollt' er jeden seiner Züge und Lineamente entziffern und zerlegen. — Errötend und niedergedrückt durch eine so strenge Untersuchung von seiten eines Mannes, dessen Aeußeres so ehrwürdig und gebietend war, schlug Quentin seine Augen zu Boden, und erhob sie auch nicht eher, als bis ihm der Astrolog mit lauter Stimme befahl:»Blick auf und fürchte Dich nicht, sondern halte mir Deine Hand her.«
Nachdem Martivalle die Fläche seiner Hand nach den Regeln der geheimen Künste, die er ausübte, betrachtet hatte, führte er den König beiseite. — »Mein königlicher Bruder, «sprach er dann,»die Gesichtszüge des jungen Mannes, zusammengenommen mit den Linien in seiner Hand, bestätigen auf eine wundervolle Art den Bericht, den ich auf sein Horoskop gründete, sowie auch das Urteil, das Ihr vermöge Eurer eigenen Kenntnisse in unsern erhabenen Künsten über ihn zu fällen imstande wäret. Alles verspricht, daß dieser Jüngling tapfer und glücklich sein wird.«
«Und treu?«fragte der König;»denn Tapferkeit und Glück sind nicht immer mit Treue gepaart.«
«Und treu, «sprach der Sterndeuter;»denn es liegt Männlichkeit in Blick und Auge, und seine Lebenslinie ist tief und deutlich gezeichnet, was eine treue und aufrichtige Anhänglichkeit an diejenigen bedeutet, die ihm Wohltaten erweisen oder Vertrauen schenken. Indessen — «
«Nun?«fragte der König,»warum schweigt Ihr plötzlich, Vater Galeotti?«
«Die Ohren der Könige, «sagte der Weise,»gleichen dem Gaumen verwöhnter Patienten, der die zu ihrer Genesung erforderliche bittere Arznei nicht vertragen kann.«»Meine Ohren und mein Gaumen sind empfindlich, «versetzte der König,»laßt mich immer guten Rat hören und die heilsame Arznei verschlucken. Ich mache mir aus der Strenge des einen so wenig, als aus der Bitterkeit des andern. Ich bin nicht durch Ueppigkeit oder zu große Nachsicht verwöhnt worden, habe vielmehr meine Jugend in Verbannung und unter Leiden zugebracht. Meine Ohren sind an strengen Rat gewöhnt und nehmen keinen Anstoß daran.«
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