Uebrigens war mein Entschluß gefaßt. Ich betrachtete meine Rücksendung oder Nichtrücksendung mit sehr philosophischem Auge, denn in keiner Lage, in welche mich auch die Vorsehung versetzt hätte, würde ich ohne die Hilfsquellen gewesen sein, die Geist und Talent jedem nach seinen natürlichen Fähigkeiten gewähren. Ich fühlte den Mut in mir, zu steigen oder zu fallen, ohne daß mein Herz und meine Seele durch Erhebung in Prahlerei oder durch das Gegenteil in Erniedrigung und Demütigung gesunken sein würden. Ich wußte, daß ich ein Mensch war und deshalb ein beschränktes und der Vollkommenheit unfähiges Wesen, aber meine Absichten waren stets rein und aufrichtig. Wenn ich auch von Anfang an gesehen hatte, daß es eine schwierige, wo nicht unmögliche Sache sei, einen Mann zu lieben, der nichts weniger als der Liebe wert war, und sich auch keine Mühe gab, es zu sein, so hätte ich doch wenigstens ihm und seinen Interessen die aufrichtigste Ergebenheit bewiesen, die ein Freund, ja ein Diener, seinem Freund und Herrn beweisen kann. Meine Ratschläge waren stets die besten gewesen, die ich ihm für sein Wohl geben konnte; wenn er sie nicht befolgte, so war dies nicht mein Fehler, sondern ein Fehler seines Urteils, das weder gesund noch gerecht war. Als ich nach Rußland kam, und auch noch während der ersten Jahre unserer Ehe, würde sich mein Herz dem Großfürsten, wenn er sich nur ein wenig bemüht hätte, erträglich zu sein, geöffnet haben; doch als ich bemerkte, daß er gerade mir, und nur, weil ich seine Frau war, die geringste Aufmerksamkeit bewies, war es keineswegs unnatürlich, wenn ich meine Lage weder angenehm, noch nach meinem Geschmack fand und mich langweilte, ja vielleicht grämte. Allein den Gram suchte ich mehr als jede andere Empfindung zu unterdrücken und zu verbergen, denn mein Stolz und meine ganze Gemütsstimmung machten mir den Gedanken, unglücklich zu sein, unerträglich. Ich sagte mir: Glück und Unglück liegen im Herzen und in der Seele des Menschen; fühlst du dich unglücklich, so erhebe dich über dein Unglück und handle so, daß dein Glück von keinem äußeren Ereignisse abhängt. Bei einer solchen Charakterveranlagung war ich mit einem großen Feingefühl und einem zum mindesten interessanten Aeußern von der Natur ausgestattet, das auf den ersten Blick ohne irgendwelche Kunst und Schmuck gefiel. Mein Charakter war von Natur aus äußerst anschmiegend, so daß man mit mir nur eine Viertelstunde zusammen zu sein brauchte, um die Unterhaltung angenehm zu finden, und jeder redete mit mir, als wären wir längst alte Bekannte. Von Natur nachsichtig, erwarb ich mir das Vertrauen derer, die mit mir zu tun hatten, weil ein jeder fühlte, daß Rechtschaffenheit und guter Wille die Triebfedern waren, denen ich am liebsten folgte. Wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, so nehme ich mir die Freiheit, über mich selbst zu äußern, daß ich ein» freimütiger und biederer Kavalier «war, dessen Geist mehr vom Manne als vom Weibe hatte. Und doch war ich nichts weniger als ein Mannweib. Man fand in mir zugleich mit dem Geiste und Charakter eines Mannes die Reize einer sehr liebenswürdigen Frau — man verzeihe mir zugunsten der Wahrheit diese Aeußerung eines Geständnisses, das mir die Eigenliebe abringt, ohne sich hinter falscher Bescheidenheit zu verbergen. Zudem muß diese Schrift ja selbst am besten beweisen, was ich von meinem Geiste, meiner Seele und meinem Charakter behaupte. Ich sagte, daß ich gefiel, und wenn man gefällt, ist der erste Teil der Verführung schon vollzogen, und der zweite kommt leicht hinzu. Es liegt im Wesen der menschlichen Natur, daß versuchen und versucht werden nahe beieinander sind. Trotz der schönsten moralischen Grundsätze ist man, sowie die Sinnlichkeit sich hineinmischt und zum Vorschein kommt, schon unendlich viel weiter als man glaubt, und ich weiß noch heute nicht, wie man sie hindern kann, sich unserer zu bemächtigen. Flucht allein könnte vielleicht helfen; aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo Flucht unmöglich ist. Denn wie soll man fliehen, ausweichen, den Rücken kehren inmitten eines glänzenden Hofes? Schon dies würde Geschwätz hervorrufen. Wenn man aber nicht flieht, so ist meiner Ansicht nach nichts schwieriger, als dem zu entgehen, was uns im Grunde unseres Herzens gefällt. Alles, was man hiergegen einwenden mag, ist Prüderie, die dem menschlichen Charakter nicht eigen ist. Niemand hält sein Herz in der Hand und kann es, indem er sie schließt oder öffnet, nach Belieben zusammendrücken oder fahren lassen.
Doch ich kehre zu meinem Bericht zurück. Den Tag nach jener Theatervorstellung gab ich mich für krank aus und verließ mein Zimmer nicht mehr. Ruhig erwartete ich die Entscheidung Ihrer kaiserlichen Majestät über meine untertänigste Bittschrift ab. Nur in der ersten Fastenwoche hielt ich es für angebracht, mich den religiösen Uebungen zu unterziehen, damit man mein Interesse für den orthodoxen griechischen Glauben merken sollte.
In der zweiten oder dritten Woche hatte ich von neuem einen großen Kummer durchzumachen. Eines Morgens, nachdem ich aufgestanden war, benachrichtigten mich meine Leute, daß Graf Alexander Schuwaloff Madame Wladislawa habe rufen lassen. Dies kam mir sonderbar vor, und ich wartete sehnlichst auf ihre Rückkehr — aber umsonst. Gegen ein Uhr nachmittags meldete mir Graf Schuwaloff, die Kaiserin habe es für geeignet gehalten, sie ihrer Stellung bei mir zu entheben. Ich schwamm in Tränen und sagte ihm, Ihre Majestät habe ja zweifellos die Macht, mir jeden zu geben oder zu nehmen, wie es ihr gefiele, aber es schmerze mich unendlich, mehr und mehr zu sehen, wie alle, die in meiner Nähe lebten, der Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät geweiht wären. Und damit es weniger Unglückliche gäbe, bäte ich ihn inständig, Ihre kaiserliche Majestät zu ersuchen, daß sie so bald als möglich dem Zustand, in dem ich mich befinde, nämlich nur Unglück zu bringen, ein Ende mache, indem sie mich zu meinen Angehörigen zurückkehren ließe. Uebrigens versicherte ich ihm, daß Madame Wladislawa in keiner Weise dazu dienen werde, Aufklärung über irgend etwas zu geben, weil weder sie noch irgend jemand mein volles Vertrauen besäße. Graf Schuwaloff wollte sprechen, als er aber mein Schluchzen hörte, fing er gleichfalls zu weinen an und sagte, die Kaiserin werde darüber mit mir persönlich reden. Ich bat ihn, diesen Augenblick zu beschleunigen, was er auch versprach. Sodann setzte ich meine Umgebung von dem Vorgefallenen in Kenntnis und sagte ihnen, wenn man mir an Stelle der Wladislawa eine Hofmeisterin gäbe, die mir mißfiele, so möge sie sich nur auf die schlechteste Behandlung meinerseits, ja selbst auf Schläge gefaßt machen. Ich bat meine Leute, dies überall wiederzuerzählen, damit alle, die man etwa die Absicht hatte, mir beizugeben, sich hüteten, die Stelle anzunehmen. Denn ich war endlich der ewigen Quälereien und Leiden müde und sah ein, daß meine Milde und Geduld nur dazu dienten, meine Lage zu verschlechtern. Deshalb war es unbedingt notwendig, mein Benehmen vollkommen zu ändern. Meine Leute verfehlten natürlich nicht, wiederzuerzählen, was ich wünschte.
Am Abend desselben Tages, an dem ich viel geweint hatte, kam eine meiner Kammerfrauen, Katharina Iwanowna Scheregorodska, in mein Zimmer, wo ich mich wie immer ganz allein befand. Ich war geistig und körperlich in größter Aufregung und ging nervös auf und ab. Als sie mich sah, sagte sie schluchzend und sehr bewegt:»Ach Gott, wir fürchten alle, daß Sie dem Zustande, in welchem Sie sich jetzt befinden, unterliegen. Erlauben Sie mir, daß ich noch heute zu meinem Onkel, dem Beichtvater Ihrer Majestät, der ja auch der Ihrige ist, gehe? Ich will mit ihm sprechen, werde ihm alles sagen, was Sie mir befehlen, und verspreche Ihnen, daß er auf eine Weise mit der Kaiserin reden wird, mit der Sie zufrieden sein werden!«Da ich ihren guten Willen sah, erzählte ich ihr ganz einfach, wie die Dinge lagen, was ich der Kaiserin geschrieben hatte und alles weitere. Sie begab sich zu ihrem Onkel, und, nachdem sie mit ihm gesprochen und ihn zu meinen Gunsten gestimmt hatte, kam sie gegen elf Uhr zu mir zurück, um mir mitzuteilen, daß er mir rate, mich in der Nacht für krank auszugeben. Ich sollte dann nach der Beichte verlangen und zu diesem Zwecke ihn rufen lassen, damit er der Kaiserin alles sagen könne, was er aus meinem Munde vernommen. Ich billigte diesen Vorschlag und versprach, ihn auszuführen. Darauf entließ ich sie, ihr und ihrem Onkel für die Zuneigung, die sie mir bewiesen, aufs herzlichste dankend.
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