Während der letzten Tage des Karnevals sollte eine russische Komödie im Hoftheater aufgeführt werden. Graf Poniatowski ließ mich bitten, dorthin zu kommen, weil sich nämlich das Gerücht zu verbreiten begann, daß man meine Entfernung vorbereitete und mich verhinderte, öffentlich zu erscheinen, und was weiß ich noch mehr. Kurz, jedesmal, wenn ich nicht im Schauspiel oder bei Hofe erschiene, suchten alle, entweder aus Neugierde oder aus Interesse für mich, die Ursache zu erfahren. Ich wußte, daß die russische Komödie eins von den Dingen war, die Seiner kaiserlichen Hoheit am wenigsten gefielen, und schon das bloße Aussprechen der Absicht, hinzugehen, mißfiel ihm. Allein diesmal verband der Großfürst mit seinem Widerwillen gegen die Nationalkomödie noch einen andern Grund des kleinen persönlichen Interesses. Er empfing nämlich damals die Gräfin Elisabeth Woronzow noch nicht in seinem Zimmer, sondern unterhielt sich, da sie sich mit den Ehrendamen im Vorzimmer aufhielt, dort mit ihr, oder sie spielten zusammen. Ging ich indes ins Schauspiel, so mußten meine Damen mich selbstverständlich begleiten, was Seiner kaiserlichen Hoheit sehr unbequem war, denn es gab dann keinen andern Ausweg für ihn, als in seinem Zimmer zu zechen. Ohne Rücksicht auf seine Wünsche zu nehmen, ließ ich, da ich mein Wort gegeben, Graf Alexander Schuwaloff bitten, meine Wagen zu bestellen, denn ich wollte unbedingt an jenem Tage ins Theater gehen. Graf Schuwaloff kam und teilte mir mit, daß meine Absicht, die Komödie zu besuchen, dem Großfürsten aufs höchste mißfalle. Ich erwiderte ihm, da ich nicht das Vergnügen hätte, dem Großfürsten für gewöhnlich Gesellschaft zu leisten, dächte ich, es müsse ihm gleichgültig sein, ob ich allein in meinem Zimmer oder in meiner Loge im Theater säße. Er entfernte sich, indem er mit dem Auge blinzelte, was er stets tat, wenn ihm etwas mißfiel. Kurz darauf kam der Großfürst in großer Aufregung in mein Zimmer, kreischte wie ein Adler und schrie, es mache mir wohl Spaß, ihn in Wut zu versetzen, und ich habe mir nur vorgenommen, in die Komödie zu gehen, weil ich genau wisse, er liebe diese Aufführungen nicht. Ich hingegen bemerkte ihm ruhig, daß er sie mit Unrecht haßte, worauf er erwiderte, er werde verbieten, mir einen Wagen zu geben.»Nun, dann gehe ich eben zu Fuß, «entgegnete ich. Ich könne mir vorstellen, was für ein Vergnügen es ihm mache, mich in meinem Zimmer allein mit meinem Hund und meinem Papagei vor Langeweile sterben zu lassen. Nachdem wir lange miteinander heftig gestritten und laut gesprochen hatten, entfernte er sich zorniger als je, während ich darauf bestand, ins Theater zu gehen. Kurz vor Beginn des Schauspiels ließ ich Graf Schuwaloff fragen, ob die Wagen bereit wären. Er kam und sagte mir, der Großfürst hätte verboten, sie für mich anspannen zu lassen. Bei diesen Worten konnte ich meinen Aerger nicht mehr zurückhalten und sagte, ich würde zu Fuß gehen. Falls man den Damen und Herren aber verbieten sollte, mir zu folgen, würde ich mich allein hinbegeben und mich außerdem schriftlich bei der Kaiserin sowohl über den Großfürsten als über ihn beschweren. Darauf fragte er:»Was wollen Sie ihr sagen?«—»Ich werde ihr sagen, auf welche Weise man mich behandelt, und daß Sie, um dem Großfürsten eine Zusammenkunft mit meinen Ehrendamen zu verschaffen, ihn darin bestärken, mich an dem Besuch des Theaters zu verhindern, wo ich das Glück genießen kann, Ihre kaiserliche Majestät zu sehen. Außerdem werde ich die Kaiserin bitten, mich zu meiner Mutter zurückkehren zu lassen, weil ich es müde bin, allein und verlassen in meinem Zimmer, gehaßt vom Großfürsten und nicht eben geliebt von ihr, mein Leben zu verbringen. Mich verlangt nur nach Ruhe, und ich will niemand mehr zur Last fallen, noch auch alle die, die sich mir nähern, ins Unglück stürzen; besonders die bedauernswerten Leute meiner Umgebung nicht, von denen so viele verbannt worden sind, einzig und allein, weil ich ihnen wohlwollte oder Gutes tat. Und wissen Sie, daß ich unverzüglich an Ihre kaiserliche Majestät schreiben und Sorge tragen werde, daß Sie selbst ihr meinen Brief überbringen?«— Der entschiedene Ton, den ich annahm, erschreckte ihn, und er ging hinaus, während ich meinen Brief an die Kaiserin zu schreiben begann. Ich tat dies in russischer Sprache, und zwar so pathetisch wie möglich. Zuerst bedankte ich mich für all die Freundlichkeiten und Gnadenerweisungen, mit denen sie mich seit meiner Ankunft in Rußland überhäuft hatte und fügte hinzu, der Stand der Dinge beweise leider, daß ich dieselben nicht verdient, weil ich mir den Haß des Großfürsten, sowie die entschiedene Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät zugezogen habe. Im Hinblick auf mein Unglück und meine Gefangenschaft in meinem Zimmer, wo man mich selbst des unschuldigsten Zeitvertreibes beraube, bat ich sie inständig, meinen Leiden ein Ende zu machen, indem sie mich auf die ihr am passendsten scheinende Art zu meinen Verwandten zurückschicke. Was meine Kinder beträfe, die ich fast nie zu sehen bekäme, obgleich ich mit ihnen in ein und demselben Hause wohne, so bliebe es sich doch ganz gleich, ob ich an demselben Orte wäre, wo sie sich befänden, oder ein paar hundert Meilen von ihnen entfernt. Ich wisse ja, daß sie ihnen eine Sorgfalt widme, die ihnen angedeihen zu lassen meine schwachen Kräfte weit übersteigen würde. Ich wage sie daher zu bitten, ihnen diese Sorgfalt auch ferner zu bewahren, und in diesem Vertrauen würde ich den Rest meiner Tage bei meinen Angehörigen damit verbringen, für sie, den Großfürsten, meine Kinder, überhaupt für alle, die mir Gutes oder Böses getan, zu Gott zu beten. Aber meine Gesundheit sei durch den Kummer so zerrüttet, daß ich alles, was in meiner Macht stehe, tun müsse, um wenigstens mein Leben zu retten. Und zu diesem Zwecke wende ich mich an sie, mir zu erlauben, zuerst die Bäder zu benutzen und dann in meine Heimat zurückkehren zu dürfen.
Nach Beendigung dieses Briefes ließ ich den Grafen Schuwaloff rufen, der mir beim Eintreten meldete, daß die gewünschten Wagen bereit stünden. Ich erklärte ihm, indem ich ihm meinen Brief an die Kaiserin übergab, er könne den Damen und Herren, die mich nicht ins Theater begleiten wollten, sagen, daß ich sie davon dispensiere. Graf Schuwaloff empfing meinen Brief mit Augenblinzeln; da er indes an Ihre Majestät gerichtet war, mußte er ihn wohl oder übel annehmen. Er übermittelte auch den Damen und Herren meiner Umgebung meine Worte, und Seine kaiserliche Hoheit selbst entschied, wer mit mir gehen und wer bei ihm bleiben sollte. Als ich später durchs Vorzimmer ging, fand ich Seine kaiserliche Hoheit mit der Gräfin Woronzow beim Kartenspiel in einer Ecke sitzen. Er, sowie sie erhoben sich, als sie mich kommen sahen, was Peter sonst nie zu tun pflegte. Ich erwiderte ihren Gruß mit einer tiefen Verbeugung und ging vorüber. Darauf begab ich mich in die Komödie, in welcher die Kaiserin an diesem Tage nicht zugegen war; ich glaube, mein Brief hatte sie davon abgehalten.
Aus dem Theater zurückgekehrt, hörte ich von Graf Schuwaloff, daß Ihre kaiserliche Majestät selbst eine Unterredung mit mir wünschte. Augenscheinlich benachrichtigte Schuwaloff sofort den Großfürsten sowohl von meinem Briefe, als von der Antwort der Kaiserin, denn obwohl Peter sich seit jenem Tage nicht mehr bei mir sehen ließ, tat er doch alles, um bei der Unterredung mit der Kaiserin zugegen zu sein; und man glaubte ihm dies nicht abschlagen zu dürfen.
Inzwischen blieb ich ruhig in meinem Zimmer und war vollkommen überzeugt, daß, wenn man daran gedacht hatte, mich fortzuschicken oder mich auch nur mit der Drohung einer Entfernung in Angst zu jagen, der von mir getane Schritt diesen Plan der Schuwaloffs vollständig vereiteln werde. Ich war mir meiner Sache so gewiß, zumal man nie größeren Widerstand finden konnte, als bei der Kaiserin, die keineswegs zu so eklatanten Maßnahmen dieser Art geneigt war. Außerdem erinnerte sie sich nur noch zu gut der früheren Mißstände in ihrer eigenen Familie und wünschte gewiß nicht, sie wieder erneuert zu sehen. Gegen mich konnte nur eins geltend gemacht werden, nämlich, daß ihr Herr Neffe mir nicht als der liebenswürdigste Mann erschien, gerade wie ich ihm nicht als die liebenswürdigste Frau. Ueber ihren Neffen dachte aber die Kaiserin genau so wie ich. Sie kannte ihn so gut, daß sie schon seit einer langen Reihe von Jahren nirgends eine Viertelstunde mit ihm zusammen sein konnte, ohne Ekel, Zorn oder Kummer zu empfinden. Wenn aber in ihren Gemächern die Rede auf ihn kam, weinte sie entweder über das Unglück, einen solchen Erben zu haben, oder sie drückte nur ihre Verachtung gegen ihn aus und gab ihm oft Beinamen, die er leider nur zu gut verdiente. Ich habe solche Ausdrücke sogar schriftlich in Händen gehabt, denn in den Papieren der Kaiserin fand ich zwei von ihr eigenhändig geschriebene Briefe, von denen der eine an Iwan Schuwaloff, der andere an Graf Razumowski gerichtet schien, in denen sie ihren Neffen verfluchte und zum Teufel wünschte. In dem einen hieß es: Prokliatyi moi plemjannik dasadila kak njelsja boljee. (Mein verdammter Neffe hat mir viel Aerger verursacht), und in dem andern: Plemjannik moi urod, tschjort jewo wosmi. (Mein Neffe ist ein Einfaltspinsel, den der Teufel holen möge).
Читать дальше
Конец ознакомительного отрывка
Купить книгу