Jene unvorsichtige Aeußerung Peters verstimmte mich sehr und ich erkannte seitdem, daß ich von zwei gleich schwierigen Wegen einen besonders einschlagen müßte. Entweder mußte ich die Schicksale des Großfürsten teilen, folglich stündlich allem ausgesetzt sein, was er für oder wider mich anzuordnen beliebte, und mit ihm oder durch ihn zugrunde gehen, oder ich wandelte meine eigene, von allen Ereignissen unabhängige Bahn und rettete dadurch mich selbst, meine Kinder und vielleicht auch den Staat aus dem Schiffbruch, dessen Gefahren alle physischen und moralischen Eigenschaften des Prinzen voraussehen ließen. Das letztere schien mir das sicherste. Ich faßte also den Entschluß, ihm so viel ich konnte mit Rat und Tat zu seinem Besten zur Seite zu stehen, aber mich nie mehr wie früher zu erzürnen, wenn er meine Ratschläge nicht befolgte. Ich wollte ihm, so oft ich Gelegenheit hätte, über seine wahren Interessen die Augen öffnen, mich im übrigen aber in ernstes Schweigen hüllen. Anderseits jedoch mußte auch ich meine Interessen beim Publikum zu wahren suchen, so daß man eintretendenfalls auf mich, als die Retterin der öffentlichen Angelegenheiten, blicken konnte.
Im Oktober erhielt ich vom Großkanzler Grafen Bestuscheff die Nachricht, daß der König von Polen dem Grafen Poniatowski sein Abberufungsschreiben übersandt habe. Graf Bestuscheff hatte darüber einen heftigen Streit mit dem Grafen Brühl und dem sächsischen Kabinett. Er ärgerte sich, daß man ihn nicht wie früher vorher um Rat gefragt hatte. Zuletzt erfuhr er, daß es der Vizekanzler Graf Woronzow und Iwan Schuwaloff gewesen waren, die durch Prasse, den sächsischen Residenten, die ganze Sache durchgesetzt hatten. Dieser Prasse war außerdem über eine Menge Dinge unterrichtet, von denen man nicht begriff, woher er sie wußte. Erst viele Jahre später kam man seinen Quellen auf die Spur. Er war nämlich der sehr geheime und sehr diskrete Liebhaber der Gemahlin des Vizekanzlers, der Gräfin Anna Karlowna Woronzow, geborene Skawronski, die mit der Frau des Zeremonienmeisters Samarin äußerst befreundet war. Bei Madame Samarin trafen sich die Gräfin und Prasse häufig. Der Kanzler Bestuscheff ließ sich das Abberufungsschreiben des Grafen Poniatowski geben und schickte dasselbe unter dem Vorwande eines Formversehens wieder nach Sachsen zurück.
In der Nacht vom 8. zum 9. fing ich an, Geburtswehen zu spüren. Ich schickte daher Madame Wladislawa zum Großfürsten, sowie zum Grafen Alexander Schuwaloff, damit er Ihre kaiserliche Majestät davon benachrichtige. Nach einiger Zeit, ungefähr halb drei Uhr morgens, trat der Großfürst ein. Er kam in seiner holsteinschen Uniform, mit Stiefeln und Sporen, der Schärpe um den Leib und einem großen Degen an der Seite; kurz, in großer Toilette. Erstaunt über diesen Aufzug, fragte ich ihn, weshalb er in so ausgesuchtem Anzug erschiene, worauf er erwiderte, nur bei großen Gelegenheiten erkenne man seine wahren Freunde. In dieser Uniform sei er bereit, seiner Pflicht gemäß zu handeln, denn die Pflicht eines holsteinschen Offiziers sei, seinem Eide gemäß, das herzogliche Haus gegen alle Feinde zu verteidigen. Da ich mich nicht wohl befinde, käme er mir nun so zu Hilfe. Man hätte glauben können, er scherze, allein dies war durchaus nicht der Fall, er sprach vielmehr im vollsten Ernst. Ich bemerkte sofort, daß er betrunken war, und riet ihm, zu Bett zu gehen, damit die Kaiserin, wenn sie käme, nicht den doppelten Schmerz habe, ihn betrunken und auch noch von Kopf bis Fuß in die ihr verhaßte holsteinsche Uniform gekleidet zu sehen. Es kostete mir indes große Mühe, ihn zum Fortgehen zu bewegen, aber schließlich gelang es mir doch mit Hilfe Madame Wladislawas und der Hebamme, die versicherte, daß meine Entbindung noch nicht so bald stattfinden werde. Kaum hatte er sich entfernt, so trat die Kaiserin ein. Sie fragte nach dem Großfürsten, und man antwortete ihr, er sei eben wieder weggegangen, werde aber gewiß bald zurückkommen. Als sie sah, daß meine Schmerzen nachließen und die Hebamme erklärte, es könne noch einige Stunden dauern, entfernte auch sie sich, während ich mich in mein Bett legte und bis zum folgenden Morgen schlief. Ich stand wie gewöhnlich auf, fühlte dann und wann wohl Schmerzen, die aber später ganz verschwanden. Gegen Abend verspürte ich großen Hunger und ließ mir mein Abendessen auftragen. Als die Hebamme, die neben mir saß, sah, mit welchem Heißhunger ich aß, sagte sie:»Essen Sie, essen Sie, das ist von Vorteil für Sie. «In der Tat fühlte ich, als ich vom Tische aufstand, einen so heftigen Schmerz, daß ich einen lauten Schrei ausstieß. Die Hebamme und Madame Wladislawa hoben mich auf ein zu meiner Entbindung bestimmtes Lager und schickten zur Kaiserin, sowie zum Großfürsten. Kaum waren mein Gemahl und Ihre Majestät eingetreten, als ich von einer Tochter entbunden wurde. Es war am 9. Dezember zwischen zehn und elf Uhr abends. Ich bat die Kaiserin, mir zu erlauben, mein Töchterchen nach ihr zu nennen, allein sie entschied, es solle den Namen der ältesten Schwester Ihrer Majestät, der Herzogin von Holstein und Mutter des Großfürsten, Anna Petrowna, tragen. Der Großfürst schien über die Geburt des Kindes sehr erfreut zu sein und veranstaltete in seinen Gemächern große Festlichkeiten. Auch in Holstein ließ er solche veranstalten und nahm alle Glückwünsche, die man ihm darbrachte, mit sichtbarer Zufriedenheit entgegen. Am sechsten Tage hielt die Kaiserin selbst das Kind zur Taufe und überreichte mir eine Kabinettsordre für 60 000 Rubel. Dem Großfürsten schickte sie ebensoviel, was seine Zufriedenheit, wie man sich denken kann, bedeutend erhöhte. Nach der Taufe begannen allerorten die Festlichkeiten. Sie waren sehr schön, wie man mir sagte, ich jedoch habe nichts davon gesehen. Ich lag in meinem Bett ganz einsam und allein, ohne die geringste Gesellschaft, denn sobald ich niedergekommen war, hatte die Kaiserin nicht nur, wie das erstemal, das Kind in ihre Gemächer bringen lassen, sondern man ließ mich noch obendrein unter dem Vorwande, daß ich der Ruhe bedürfe, wie eine arme Unglückliche allein. Niemand setzte den Fuß über meine Schwelle und fragte, noch ließ fragen, wie es mir ginge. Da ich aber schon bei der Geburt meines Sohnes unter dieser gänzlichen Verlassenheit unsäglich gelitten hatte, war ich diesmal vorsichtiger gewesen, mich wenigstens gegen den unangenehmen Zugwind zu schützen. Sobald ich entbunden war, stand ich auf und legte mich in mein Bett. Und da niemand zu mir zu kommen wagte, oder höchstens ganz verstohlen, hatte ich auch dafür gesorgt, daß ich nicht immer ganz allein war. Mein Bett nahm fast die Hälfte meines ziemlich langen Schlafzimmers ein. Rechts vom Bett befanden sich zwei Fenster, und eine Tapetentür führte in eine Art Garderobe, die zugleich als Vorzimmer diente und mit Wandschirmen und Koffern verbarrikadiert war. Von meinem Bett bis zu jener Tür hatte ich eine ungeheure spanische Wand stellen lassen, die das reizendste Kabinett verbarg, das ich je besaß. In diesem kleinen Boudoir befanden sich ein Sofa, Spiegel, tragbare Tische und einige Stühle. Wenn der Vorhang meines Bettes auf dieser Seite zugezogen war, sah man gar nichts; war er offen, so sah ich das Kabinett vor mir und die darin Anwesenden; diejenigen jedoch, die ins Zimmer traten, sahen nur den Wandschirm. Und fragte man, was sich hinter diesem Schirme befände, so sagte man: der Nachtstuhl. Dieser aber befand sich im Schirm und man hätte ihn ruhig zeigen können, ohne in das Kabinett zu kommen, das der Wandschirm vollkommen verdeckte; übrigens war niemand so neugierig, ihn zu sehen.
Einundzwanzigstes Kapitel
Lustige Gesellschaft hinter einer spanischen Wand. — Der vermeintliche Musikus. — Erster Kirchgang. — Drei Hochzeiten am Hofe. — Bestuscheff fällt in Ungnade. — Seine Verhaftung setzt mich in große Bestürzung. — Beruhigendes Billett. — Geheime Korrespondenz Bestuscheffs mit Poniatowski und Stambke. — Entdeckung derselben. — Ich schwebe in Gefahr. — Stambke wird nach Deutschland zurückgeschickt. — Entlassung Poniatowskis. — Ich verbrenne alle meine Papiere. — Man meidet mich. — Meine Absicht, mich vom Großfürsten zu trennen. — Mein Brief an die Kaiserin, diese Sache betreffend. — Einige Züge meines Charakters. — Man nimmt mir auch Madame Wladislawa. — Traurige Stunden. — Die Beichte, mein einziger Trost. — Der Großfürst gedenkt Elisabeth Woronzow zu heiraten.
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