»Sei versichert, dass schon vor längerer Zeit jemand dein Leben ausgeforscht hat. Es dürfte bei Gericht eine Akte über dich geben. Aber lass dich davon nicht beunruhigen, Drusus. Schließlich bist du ein Freund Julians.«
Der Wind fuhr in die Pflaumenbäume und schüttelte die Tropfen von den Zweigen. Mir lief ein kaltes Rinnsal den Rücken hinunter. Schaudernd dachte ich an vergifteten Wein und Dolche in der Nacht. Dann wurde mir bewusst, dass Julian schon sein Leben lang mit solchen Ängsten zurechtkommen musste.
Ich blickte auf. Julian schaute mich an. »Vor ein paar Tagen erzählte mir Oribasius, dass jemand in seinen Zimmern gewesen sei«, sagte er. »Es wurde nichts gestohlen, aber seine heilkundlichen Bücher waren durchwühlt. Die Täter hatten sich keine Mühe gegeben, ihr Eindringen zu verbergen – ein Buch lag offen da, ein Stuhl war verrückt, das Tintenfass war umgekippt und solche Dinge.«
»Aber warum? Was haben sie gesucht?«
»Nichts«, erklärte Eutherius. »Es war nur eine Drohung.«
»Zuerst Salutius, dann Oribasius«, sagte Julian. »Und jetzt du. Florentius will mich damit warnen, ihm nicht in die Quere zu kommen.« Er erhob sich und ging auf den nassen, blütenübersäten Steinplatten auf und ab. »Er will, dass ich die Anklage fallen lasse. Sag mir«, fragte er zu Eutherius gewandt, »ziemt es sich für einen Mann, der die Philosophie liebt, einem Unrecht tatenlos zuzusehen?«
»Auf diese Frage brauchst du meine Antwort nicht, mein lieber Julian. Aber bedenke, alles hat seinen Preis. Selbst Tugendhaftigkeit – sie vielleicht sogar am meisten.«
Julian blickte düster an der hohen Umfassungsmauer hinauf, alten rotbraunen Ziegeln und den Resten einer Kletterpflanze, die an der Wurzel gekappt worden war. Nach einer langen Pause sagte er: »Die Menschen werden beraubt und betrogen. Ich werde nicht die Augen davor verschließen. Was nützen mir all meine Bücher, wenn ich im entscheidenden Augenblick nur nach Zweckdienlichkeit entscheide? Soll Constantius mich doch zurückrufen. Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun.«
Als ich später Marcellus davon berichtete, schlug er mit der Faust auf den Tisch und rief: »Pulcher! Kennt er denn keine Scham? Wir hätten ihm damals den Rest geben sollen!«
Ich zuckte die Achseln. »Das dachte ich auch, als ich den Brief las. Aber jetzt sehe ich klarer. Es war richtig, wie wir uns damals entschieden haben. Ein schneller Tod wäre zu leicht gewesen. Pulchers Anhänger hätten ihn zum Märtyrer und Heiligen gemacht.«
»Was Florentius angeht, weiß jeder, dass er schuldig ist«, fuhr Marcellus fort. »Julian sollte ihn entlassen.«
»Das kann er nicht. Constantius steht hinter Florentius, und der weiß das genau. Aber Julian wird die Anklage nicht fallen lassen.«
»Gut«, sagte Marcellus verärgert. »Soll er wenigstens vor Gericht gestellt werden. Das kommt davon, wenn man Männer herrschen lässt, die nicht einmal sich selbst beherrschen können. Das hätte Großvater gesagt.« Er wollte sich wie gewohnt durch die Haare fahren und zuckte zusammen. Seine Wunde zwickte ihn noch, wenn er sich streckte, obwohl sie sauber zugeheilt war. Jedes Mal, wenn ich ihn nackt sah, dachte ich daran, dass ich ihn beinahe verloren hätte.
Das Barbarenmädchen hatte unsere Hütte noch am selben Tag verlassen, nachdem es Marcellus besser ging – so unangekündigt, wie sie gekommen war. Das Heer machte sich gerade bereit, die Grenze zu verlassen und in die Winterquartiere zu ziehen. Im Lager wurden Zelte, Hütten, Tierpferche und die Palisaden abgeschlagen; es glich einer Stadt, die eilig verlassen wurde.
Da Marcellus außer Lebensgefahr war, machte ich mich auf die Suche nach Durano. Von der Nacht mit dem Mädchen hatte ich niemandem erzählt. Manchmal kam es mir sogar vor, als hätte es diese Nacht gar nicht gegeben.
Doch was man erlebt hat, lässt sich nicht rückgängig machen, und das wollte ich auch gar nicht. Auf der Suche nach Durano musste ich ständig an das Mädchen denken. Als ich mich schließlich seinem Zelt näherte, bekam ich Herzklopfen, denn sie saß in ihrer schlichten weiten Tunika auf der Schwelle und wachste die Lederriemen seines Harnischs, der vor ihr im Gras lag.
Ich hockte mich neben sie und war plötzlich verlegen. Sie blickte auf, und als sie mich erröten sah, wurden ihre Züge weicher, und sie lächelte. Halb mit Worten, halb mit Gesten dankte ich ihr, dass sie Marcellus gepflegt hatte. Mein Dank kam von Herzen, denn mir schien, dass sie als Einzige zu seiner Gesundung beigetragen hatte.
Ich weiß nicht, wie viel sie davon verstand. Aber als ich fertig war, berührte sie mich sanft am Arm und ließ ihre Hand einen Moment lang darauf ruhen. Dabei wehte mir von ihrem Körper der süße Duft von Zedernöl entgegen. Peinlicherweise geriet mein Blut in Wallung, und Verlangen durchströmte meine Lenden.
Als sie es spürte, sah sie mich belustigt an. Trotz meiner Verlegenheit lachte ich und machte einen Scherz. Dann hörte ich Duranos Stimme, der zwischen den Wagen und den aufgestapelten Zeltbahnen hervorkam.
Pallas und Gereon waren bei ihm. Wir begrüßten uns herzlich wie Männer, die dem Tod gemeinsam ins Auge geblickt haben. Als ich mich wieder herumdrehte, war das Mädchen verschwunden, nur der Harnisch lag noch da.
Durano sah meinen Blick und sagte: »Die Leute behaupten, sie hat Heilkräfte. Sie versteht es, jene Geister zu rufen, die Menschen gesund machen.«
Ich pflichtete ihm bei und dankte ihm, dass er sie geschickt hatte.
»Aber ich habe sie nicht geschickt. Sie ist auf eigenen Entschluss zu euch gegangen. Wie geht es Marcellus?«
»Er ist wieder kampftauglich, sagt er. Du hast ihm das Leben gerettet, Durano. Und das Mädchen vielleicht auch. Das werde ich nie vergessen.«
Durano lächelte und schlug mir auf die Schulter. Er wurde in eine der neu befestigten Städte am Rhein versetzt. Wir mussten uns also Lebewohl sagen.
So gingen wir mit den anderen die lange Hauptstraße des Lagers hinunter, um uns Wein zu beschaffen und auf unseren Abschied zu trinken.
Der nächste Bote aus dem Osten brachte die Nachricht, dass Julians Freundin bei Hofe, die Kaiserin Eusebia, gestorben war.
Das traf Julian tief. Da er seine Trauer nicht öffentlich zeigen wollte, blieb er an dem Tag in seinen Gemächern und befasste sich mit den Büchern, die sie ihm jüngst geschickt hatte. Wie Eutherius zu mir sagte, waren es nicht nur ihre Büchergeschenke, die er vermissen würde. Allein Eusebia war am Hof für ihn eingetreten; nun gab es niemanden mehr, der den heimtückischen Machenschaften des Oberkämmerers entgegenwirkte.
Eutherius erzählte mir von der Zeit, da Julian das erste Mal von Athen an den Hof beordert worden war. Wochenlang wurde er im Palast wie ein Gefangener gehalten, während die Höflinge erörterten, ob er zum Cäsar erhoben oder hingerichtet werden sollte, da er für den Kaiser eine Gefahr darstelle. Der Kaiser konnte sich nicht entscheiden. Der Oberkämmerer hatte für die Hinrichtung gestimmt. Es war die Kaiserin gewesen, die zu Julians Gunsten eingriff und ihm, wie Julian selbst glaubte, das Leben rettete.
Nun, da es ihren mildernden Einfluss nicht mehr gab, wurde Constantius nur noch von Speichelleckern beraten, angeführt vom Oberkämmerer, der darüber bestimmte, wer zum Kaiser vorgelassen wurde.
Eutherius nahm meinen Arm, als wir durch den Garten gingen, und bemerkte mit einem seiner trocknen, belustigten Blicke: »Am Hof heißt es, dass Constantius einen gewissen Einfluss auf seinen Oberkämmerer besitzt.«
Er verdrehte die Augen und wartete, dass ich den Witz begriff.
Inzwischen ging der Streit mit Florentius weiter. Angeblich hatten die Kläger ihre Anschuldigungen zurückgezogen. Julian schwieg dazu. Dann gab Florentius bekannt, er wolle von den Bürgern Galliens eine außerordentliche Steuer erheben, da die Einnahmen in diesem Jahr nicht ausreichten.
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