Misstrauen war also angesagt. Vor allem jetzt, da auch noch dieser eigentümliche Mensch in Hasenstocks Haus erschien.
Woher kannte er diesen Mann?
Irgendwo waren sie sich schon einmal begegnet.
Wenn er sich doch nur erinnern könnte!
Ein willkommenes Angebot wollte der Fremde ihm unterbreiten, jedoch so willkommen und so plötzlich, dass Peter Hasenstock sich fragte, ob nicht vielleicht Margarethe Gänslein den mysteriösen Gast geschickt habe, um Hasenstock zu prüfen.
Der schwarz gekleidete Mann hatte gleich beim Eintreten unverblümt zu ihm gesprochen. Nun schwiegen sie, saßen sich in der Stube des Apothekerhauses gegenüber, und während der Gastgeber nachdenklich seine Hände betrachtete, maß ihn der andere mit einem kühlen, selbstsicheren Blick.
»Nun, das ist eine Menge Geld«, sagte Hasenstock schließlich, während er noch immer seine sauberen, gepflegten Fingernägel betrachtete. Dieser Fremde bereitete ihm großes Unbehagen. Wer war das? Doch so sehr er versuchte sich zu erinnern, er konnte ihn nicht einordnen.
»Als Kaufmann sollte man immer gewillt sein, Neuland zu betreten, sonst wird man früher oder später untergehen«, sagte der andere ruhig.
»Aber ich kenne Euch doch gar nicht. Ihr seid ein Fremder in dieser Stadt. Wie soll ich Euch da vertrauen?«
»Ihr müsst nicht mir, sondern ich muss Euch vertrauen«, erhielt Hasenstock nun zur Antwort.
»Es ist nicht so, dass mich Euer Angebot nicht reizen würde. Jedoch sehe ich da ein Problem.«
»Und das wäre?«
»Versteht mich nicht falsch, ich kann Euer Geld gut gebrauchen und habe auch nichts dagegen, bei einem Handelsgeschäft einen stillen Teilhaber an meiner Seite anzuerkennen. Nur: Wer soll mir die ganze Ware abkaufen?«
»Ich bin zu Euch gekommen, weil ich in Euch einen aufstrebenden Kaufmann vermutete. Gewitzt und findig in seinen Geschäften. Doch offenbar habe ich mich da getäuscht. Ihr seid weder zu Veränderungen bereit, noch besitzt Ihr genügend Vertrauen in Euer eigenes Geschick.« Mit diesen Worten wollte sich der Gast von seinem Platz erheben.
»Aber, nein doch, aber nein. So bleibt!«, lenkte Hasenstock hastig ein, sodass sich sein Gegenüber wieder setzte. »Wäre ich der einzige Gewürzhändler in der Stadt und ihrer Umgebung, dann plagten mich keinerlei Bedenken. Bislang gab es zwei Steine, die mir für eine derartige Unternehmung wie die von Euch vorgeschlagene im Wege lagen: Der eine Stein war das liebe, gute Vermögen, welches in dieser Menge selbst einem nicht armen Manne wie mir fehlt. Der andere Stein hat einen weiblichen Namen.«
»Margarethe Gänslein, nehme ich an«, sagte der schwarze Mann, erhob sich nun ein zweites Mal und ließ sich nicht wieder von Hasenstock zum Bleiben bewegen. Ein kaum merkliches Lächeln umspielte seine Lippen. »Dann seid Ihr also alles andere als Freunde – Ihr und das Gewürzhaus Gänslein?«, fragte er abschließend, während er bereits den Raum verließ. Offenbar erwartete er keine Antwort auf diese Frage. Ohne sich zu verabschieden, verschwand er.
Hasenstock setzte sich wieder zurück an seinen Platz und starrte auf ein Gemälde seiner selbst, welches er von einem Meister aus Göttingen hatte anfertigen lassen. Erst als er vernahm, dass die Außentüre zugefallen war, begann er eilig, die bereits die ganze Zeit über juckenden Stellen an seinem Körper zu kratzen. Erleichtert schloss er sodann die Augen und dachte nach.
Hatte er zu viel gesagt?
Hatte er sich verplappert?
Oder war dieser Besuch doch keine böse Falle, sondern eine glückliche Fügung gewesen?
Man würde sehen.
Aber woher, in Gottes Namen, kannte er nur diesen Burschen?
»Wie, guter Vestiarius, gelangt ihr nur immer so rasch an derart neue Nachrichten?«
»Aber, liebe Frau Margarethe! Die Zeiten, in denen man hier bei uns in dunklen Wäldern hauste und nur alle halbe Jahre einmal eine Botschaft aus fernen Gegenden erhielt, sind glückseligerweise vorüber. Einer meiner Brüder hat aus Paderborn ein Flugblatt mit dieser Nachricht hierhergebracht. Das alles ist der überaus effektiven Kunst des Buchdrucks zu verdanken, sie hat halt einiges bewirkt. Jedoch nicht immer zum Guten. Liest Eure Base etwa nach wie vor in diesen gottlosen Orakelbüchern?«
»Vestiarius, Ihr selbst lasst Euch doch fast monatlich ein Horoskop erstellen. Da frage ich mich, wo da der Unterschied sein soll. Aber bleiben wir doch bei den Türken. Man stelle sich nur vor, was geschehen wäre, wenn sie Wien tatsächlich eingenommen hätten. Ich bin wahrlich erleichtert über die Kunde von ihrem Rückzug. Und soll das tatsächlich stimmen?«
»Doch, doch, es ist wahr. 150 000 Mann unter Suleiman dem Prächtigen waren es. Mehr als zwanzig Tage haben sie die armen Wiener in Schach gehalten und schließlich, oh Graus, sogar den Durchbruch durch die Stadtmauer geschafft. Mit Gottes Hilfe jedoch ist der Schutt und das Geröll nicht in die Stadt hinein, sondern auf die Belagerer gefallen und hat ihnen somit prompt den soeben durchbrochenen Weg wieder versperrt. Diese Heiden müssen es wohl als Zeichen des von ihnen gepriesenen Allah angesehen haben, denn Suleiman blies sofort zum Abzug, und Wien ist gerettet.«
»Vorerst«, entgegnete Margarethe. »Denn ich hörte, dass das gedemütigte Frankreich nach seiner Niederlage in Italien nun Annäherungsversuche in Richtung der Osmanen unternimmt.«
»Gerüchte, Margarethe, Gerüchte. Obwohl auch ich vernahm, dass Venedig nun nicht mehr die einzige Hure sein soll, die mit den Türken schläft.«
»Vestiarius! Ihr seid ein Mann der Kirche.«
»Aber auch ein Mann von Welt«, sagte der Stiftsherr und zwinkerte dabei der Kauffrau auf eine Art und Weise zu, die sie gern missverstanden hätte.
Margarethe ignorierte diese Geste und wechselte das Thema, nachdem sie eine Glocke geläutet hatte, mit welcher sie nach ihrer Magd Johanna rief.
»Wo Ihr schon Venedig erwähnt: Der Apotheker Hasenstock hat mir gegenüber seine Italien- und Flandernfahrt offen als Handelsreise bezeichnet.«
»Ihr seid doch klug genug, Frau Margarethe, um zu wissen, dass ein Schlitzohr wie Hasenstock nicht der heiligen Stätten wegen Italien aufsucht.«
»Ich fürchte, dass er seinen Gewürzhandel erweitern wird und es nicht dabei bewenden lassen will, von auf der Weser durchreisenden Hanseschiffern kleine Mengen an Pfeffer und Zimt einzukaufen.«
»Er ist nicht geschickt genug, um eine Gefahr für Eure Geschäfte darzustellen. Vielleicht mag er den einen oder anderen hier in der Stadt beliefern, aber Ihr, gute Margarethe, Ihr habt den Gewürzhandel im gesamten Umland in der Hand. Dazu fehlen diesem unangenehmen Menschen wahrlich die Kontakte und vor allem auch das Kapital. Man sagt, er habe bei der Stadt längst mehrere Renten aufgenommen.«
»Eure Worte sind gut gemeint, Vestiarius. Wenn ich ihnen doch nur Glauben schenken könnte. Ich denke allerdings, dass der Konflikt zwischen euch Stiftsherren einerseits und den Ratsherren andererseits Eure Sicht auf die Dinge benebelt. Hasenstock ist nicht so einfältig, wie es den Anschein hat, und zudem verfügt er über einen durchaus starken Willen. Eine Eigenschaft, die oftmals mehr wiegt als Intelligenz.«
»Da sprecht Ihr wahr, Margarethe. Ah, da kommen ja die herrlichen Süßigkeiten.«
Johanna betrat soeben den Raum und trug eine neue Schale mit Konfekt herein, von dem sich der treue Gast der Herrin nahezu zu ernähren schien – zumindest deutete sein Bauch, den er als stramme Kugel stolz vor sich hertrug, darauf hin. Sie mochte diesen geschmückten Stiftsherrn, welchen sie anfangs gar nicht für einen Geistlichen hatte halten wollen. Er war freundlich und wechselte sogar ab und zu einmal ein Wort mit dem Gesinde – was im Grunde unüblich war, von Johanna jedoch als sehr nett empfunden wurde. Großmütig sah sie deshalb darüber hinweg, dass es ihm offenbar gefiel, ihr beim Reden möglichst nahe zu kommen und ihr mitunter sogar den Oberarm zu tätscheln. Solange es nur der Oberarm war, konnte man es immerhin als väterliche Geste deuten. Ganz und gar nicht väterlich waren hingegen seine Gefühle für die Herrin, das hatte Johanna sofort gespürt. Dieser Geistliche war über beide Ohren für Margarethe Gänslein entflammt, auch wenn die Gewürzhändlerin von der ihr entgegengebrachten verbotenen Liebe nichts wissen wollte. Sie verhielt sich geradezu so, als bemerkte sie es gar nicht. Was sicherlich auch das Beste in einer solchen Situation war.
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