Das Schiff fuhr jetzt durch die Meerenge, die die Halbinsel Salerno von der Insel Capri trennte. Capri war Kylons Heimat. Mit den feurigsten Worten beschrieb er Capris Schönheit, aber sie verblaßten vor den leuchtenden Farben, vor dem Zauber der steinigen und grünen Hügel, die sich gegen den hellblauen Himmel abhoben. Südlich von Salerno wurde das Ufer höher und ging in eine bucklige dunkle Hügelkette über. Hier konnten sie schon auf eine Begegnung mit karthagischen Schiffen gefaßt sein, deshalb fuhren sie nur noch nachts. Tagsüber legte Kylon sein Schiff in einer versteckten Bucht des Westufers von Sizilien vor Anker. Dort betrachtete Publius den malerischen Ätna, der sein stolzes graues Haupt über die grünen Fluren erhob. Wahrscheinlich konnte man vom Gipfel des Ätna bis nach Karthago sehen. Aber außer dem weisen griechischen Philosophen Empedokles hatte es noch niemand gewagt, den Ätna zu erklimmen. Oben angelangt, hatte sich Empedokles in den feurigen Krater gestürzt, um seinen Verfolgern zu entrinnen, und am nächsten Tage, so erzählte man sich, hätte der Ätna dann seine Sandalen wieder ausgespien.
Bei den Aegatischen Inseln wurde das Schiff von einem Wachboot der Karthager gestellt. Kylon befahl, die Segel zu bergen. „Was für Fracht hast du?" fragte der dicke karthagische Kapitän, als die Schiffe Bord an Bord lagen.
„Friede sei mit dir, guter Mann!" gab Kylon zur Antwort. „Ich freue mich aufrichtig, einem Manne wie dir mitten auf dem weiten Meer zu begegnen. Manchmal fährt man eine ganze Woche, ohne ein einziges Segel auszumachen. Mit diesen Barbaren" - er zeigte auf Publius und die neben ihm stehenden Matrosen - „kann man sich doch nicht vernünftig unterhalten."
„Fasel nicht soviel!" bremste der dicke Kapitän Kylons Redestrom. „Sag mir klar und deutlich, woher du kommst, wohin du fährst und was du im Laderaum hast."
„Beim Herakles!" fuhr der schlaue Grieche ungerührt fort. „Seitdem Hannibal und seine Krieger wie Götter von den Alpen herabgestiegen sind, läßt es sich in unserem Neapel leben. Die Römer treiben keine Steuern mehr ein, und ihre Soldaten brauchen wir auch nicht mehr zu verpflegen. Ich besitze am Fuße des Vesuvs mehrere Weinberge und kann mich im Wein geradezu baden. Deshalb bringe ich zwanzig Tonkrüge davon nach Karthago; dort will ich sie verkaufen." „Ist der Wein gut?" Der Karthager wurde freundlicher. Kylon schnalzte mit der Zunge. „Echter Falerner, der köstlichste aller Weine. He, du", befahl er einem Matrosen, „lauf in den Laderaum und bring mir den versiegelten Krug, der dort in der Ecke steht." Der Matrose gehorchte, und Kylon überreichte den Krug dem Karthager.
„Öffne ihn aber erst nach einer Woche!" prägte er ihm ein. „Solange muß der Wein nämlich noch lagern."
„Leb wohl", sagte der Karthager. „Halte dich rechts, sonst fährst du auf ein Riff. Und falls du einem von unseren Schiffen begegnest, dann sage, daß du mit Heskon bekannt bist. Daraufhin wird man dich unkontrolliert weiterfahren lassen."
„Mögen dir die Götter gnädig sein!" erwiderte Kylon und gab das Zeichen zum Segelhissen.
Sie fuhren mit Rückenwind davon, und schon nach kurzer Zeit hatte sich das karthagische Wachboot in einen winzigen Punkt verwandelt. Kylon brach in schallendes Gelächter aus. „Was hast du?" forschte Publius.
„Falerner"! Der Grieche platzte fast vor Lachen. „Der wird staunen, wenn er meinen Falerner kostet."
Beim Numidierkönig Syphax
Cirta, die Hauptstadt des Numidierkönigs Syphax, lag auf einem Hochplateau mit steilen Felsenhängen und war nur im Südwesten über eine schmale Landenge zugänglich. Offenbar fühlte sich die Stadt nicht bedroht, denn auf der Zugangsstraße begegnete Publius keinem einzigen Bewaffneten. Zur Vorsicht hatte er sich von Kylon ein griechisches Gewand geliehen und sah nun wie einer der vielen griechischen Händler aus, die häufig nach Cirta kamen.
Am Stadttor wurde Publius von einem jungen numidischen Krieger angehalten, der sich bis auf einen Schopf am Hinterkopf den Schädel kahlrasiert hatte, wie es hierzulande üblich war. Als er erfuhr, wen er vor sich hatte, führte er Publius höflich in die Stadt. Aus den achtungsvollen Blicken und Verbeugungen der Vorübergehenden schloß Publius, daß sein Begleiter mehr war als ein einfacher Krieger. Nach kurzer Zeit erreichten sie ein großes Gebäude mit flachem Dach, auf dem ein Blumengarten angelegt war. Publius wußte, daß sich die reichen Karthager von ihren Sklaven Erde auf die Dächer bringen und Blumen und Bäume darin einpflanzen ließen. Offenbar ahmte der Numidierkönig Syphax sie nach.
Die Innenausstattung des Hauses bestätigte diese Vermutung. Wände und Fußböden waren nach karthagischer Art mit Teppichen bedeckt. Die wenigen Diener trugen so lange Gewänder, daß der Saum über den Boden schleifte und die Ärmel über die Fingerspitzen reichten. Unwillkürlich dachte Publius an die Sklaven im Hause seines Vaters. Sie trugen eine knapp bis zum Knie reichende Tunika - ein Unterkleid aus weißer Wolle -, die sie beim Arbeiten nicht behinderte.
König Syphax empfing den römischen Abgesandten auf seinem Thron sitzend und in numidische Tracht gekleidet, eine Federkrone auf dem Kopf.
Wortlos überreichte Publius ihm die Schriflrolle mit der Botschaft des Senats. Während Syphax sie umständlich studierte, blieb sein zerfurchtes Gesicht völlig ausdruckslos. Die Beschuldigung der Senatoren, daß er sein Wort gebrochen hätte, schien ihn ebensowenig zu beeindrucken wie ihr Versprechen, ihn mit Reichtümern zu überschütten, falls er ihnen mehrere hundert Berittene zur Verfügung stellte. Als er endlich mit der Lektüre fertig war, warf er die Schriftrolle beiseite, stieg von seinem Thron herab und legte Publius freundlich die Hand auf die Schulter.
„Ich kenne deinen Vater", sagte er. „Er besuchte mich im selben Jahr, als Hamilkar von den Iberern getötet wurde. Zu jener Zeit war dein Vater noch ein junger Mann. Wenn man aber mit ihm sprach, erkannte man, daß er es weit bringen würde. Ich freue mich, daß der Senat dich zu mir sandte. Hat dein Vater noch mehr Söhne?"
„Ich habe einen Bruder, der Lucius heißt", gab Publius sachlich Auskunft. Er ärgerte sich, daß Syphax ihn nach seinem Vater und seinen Verwandten ausfragte, anstatt auf die Bitten des Senats einzugehen. Syphax änderte den Gesprächsgegenstand.
„Es gibt auf der Welt kein Volk, das tückischer wäre als die Karthager", begann er. „Ich würde Tage benötigen, wenn ich alle Kränkungen und Demütigungen aufzählen wollte, die sie mir zufügten. Seitdem sie den Krieg gegen euch begannen, werden sie allerdings freundlicher. Sie haben sogar Gulas Reich meinem Sohn Wermino versprochen." Er wies auf den Jüngling, der Publius zu ihm geführt hatte. „Aber ich weiß, daß sie es in Wirklichkeit Masinissa geben wollen."
„Und wer ist Masinissa?" Publius tat, als hörte er diesen Namen zum erstenmal.
„Die Götter schenkten Gula ein langes Leben, aber nur einen Sohn, der sich obendrein mit seinem Vater überwarf, seinen Palast verließ und sich seitdem im Lande der Schwarzhäutigen umhertreibt. Ich kenne den Wert der karthagischen Versprechungen!" fuhr Syphax zornig fort. „Meine einzige Hoffnung ist, daß ihr Römer es fertigbringt, ihnen den Hals umzudrehen! Dabei will ich euch nach besten Kräften helfen. In genau einer Woche werde ich dir mitteilen können, wie viele Reitet ich euch zur Verfügung stelle. Wir werden uns auch überlegen, wie wir sie mit Schiffen nach Italien schaffen können. In meiner Hauptstadt gibt es keine Truppen. Alle befinden sich an der Grenze zu Gulas Reich."
Die Unterredung war beendet. Wermino führte Publius in ein Haus, wo ihn gutes Essen und ein Nachtlager erwarteten. Schlafen! Zum erstenmal seit Tagen in dem ruhigen Bewußtsein, daß er nicht auf einem karthagischen Schiff als Gefangener erwachen würde. Publius war über das Ergebnis seiner ersten Unterredung mit König Syphax zufrieden. Anscheinend wußte Syphax nichts von Flaminius' Niederlage, oder sie hatte an seinem Vertrauen auf die Macht Roms nichts geändert.
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