Die Konsuln unterbrachen ihn mit der Begründung, daß er nicht mehr zur Sache spreche, sondern philosophiere. Nero bat ums Wort und sagte ruhig: »Ich will die Geduld der Väter nicht mit unsinnigem Geschwätz auf die Probe stellen. Marcus Manilianus hat gesagt, was er zu sagen hatte. Ich für mein Teil war immer der Meinung, daß mein Vater, der Gott Claudius, in Sinnesverwirrung gehandelt hat, als er seine Gattin Messalina und so viele hochgeachtete Männer hinrichten ließ, daß er den Senat mit untauglichen Mitgliedern auffüllen mußte. Marcus Manilianus’ eigene Worte beweisen, daß er des Purpurstreifens und der roten Stiefel nicht würdig ist. Er hat offenbar den Verstand verloren. Was daran schuld sein mag, wage ich nicht zu sagen. Ich möchte nur vorschlagen, daß wir ihn aus Achtung vor seinem kahlen Haupt aus unserem Kreise ausschließen und in einen abgelegenen Kurort schicken, wo sein Geist wieder gesunden kann. Wir brauchen darüber wohl nicht erst abzustimmen.«
Mehrere Senatoren wollten Nero jedoch reizen, solange ein anderer den Kopf hinhalten mußte, und riefen, Marcus solle weitersprechen, sofern er noch etwas zu sagen habe. Paetus Thrasea meldete sich aus reiner Bosheit zum Worte und sagte mit gespielter Unschuld: »Wir sind uns natürlich alle darin einig, daß Marcus Mecentius von Sinnen ist. Aber göttlicher Wahnsinn macht einen Menschen bisweilen zum Seher und Künder. Vielleicht wohnt ihm dank seiner etruskischen Vorfahren diese Gabe inne. Wenn er nicht glaubt, daß die Christen Rom angezündet haben, woran dank Neros Redekunst wohl kaum noch zu zweifeln ist, so mag er uns sagen, wer die wirklichen Brandstifter sind.«
Mein Vater antwortete zornig: »Spotte, soviel du willst, Paetus Thrasea. Auch dein Ende ist nahe. Man braucht nicht die Gabe der Weissagung zu besitzen, um das zu sehen. Ich beschuldige niemanden der Brandstiftung, nicht einmal Nero, so gern auch viele unter euch aus reiner Schadenfreude eine solche Anklage endlich einmal öffentlich ausgesprochen hören möchten. Ich kenne Nero nicht. Aber ich kenne die Christen und glaube und versichere, daß sie am Brande Roms unschuldig sind.« Nero schüttelte mitleidig den Kopf, hob die Hand und sagte: »Ich habe deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ich nicht alle Christen Roms der Brandstiftung anklage. Ich habe sie mit gutem Grunde als Feinde der Menschheit verurteilt. Wenn Marcus Manilianus beweisen will, daß er selbst ein Feind der Menschheit ist, müssen wir ihn ernst nehmen und dürfen ihn nicht mehr damit entschuldigen, daß sich seine Sinne verwirrt hätten.«
Nero irrte jedoch, wenn er glaubte, mein Vater ließe sich einschüchtern. Er war bei aller Gutmütigkeit und Schweigsamkeit sehr starrsinnig und fuhr nun fort: »Eines Nachts am Galiläischen Meer begegnete ich einem Fischer, der gegeißelt worden war. Ich habe Ursache zu glauben, daß er der auferstandene Jesus von Nazareth war. Er versprach mir, ich werde eines Tages um seines Namens willen sterben. Damals verstand ich ihn nicht. Ich glaubte, er sage mir Böses voraus. Jetzt verstehe ich ihn und danke ihm inniglich für seine gute Weissagung. Um Jesu Christi, des Gottessohnes, Namen zu verherrlichen, sage ich euch, daß ich Christ bin und daß ich teilhabe an der Taufe, dem Geiste und den heiligen Mählern der Christen. Überdies sage ich euch, ehrwürdige Väter, falls ihr es noch nicht wissen solltet, daß Nero selbst der schlimmste Feind der Menschheit ist, und auch ihr seid Feinde der Menschheit, solange ihr seine wahnsinnige Tyrannei unterstützt.«
Nero flüsterte mit den Konsuln, und diese erklärten die Versammlung sofort für geheim, damit Rom nichts von der Schande erfuhr, daß ein Mitglied des Senats sich aus Haß gegen die ganze Menschheit zum Fürsprecher eines abscheulichen Aberglaubens gemacht hatte. Ohne eine Abstimmung für nötig zu halten, erklärten die Konsuln, der Senat habe beschlossen, Marcus Mecentius Manilianus den breiten Purpurstreifen und die roten Schnürstiefel abzuerkennen.
Vor dem versammelten Senat nahmen zwei von den Konsuln bestimmte Senatoren meinem Vater die Toga und das Untergewand ab. Dann zog man ihm die roten Stiefel von den Füßen und zerschlug seinen Elfenbeinschemel. Als dies unter düsterem Schweigen geschehen war, stand plötzlich der Senator Pudens Publicola auf und verkündete mit zitternder Stimme, auch er sei Christ.
Seine betagten Freunde packten ihn jedoch, zogen ihn mit Gewalt auf seinen Sitz nieder, hielten ihm den Mund zu und lachten und unterhielten sich laut miteinander, um seine Worte zu übertönen. Nero sagte, es sei bereits genug Schande über den Senat gekommen, die Sitzung sei beendet, und auf das Gefasel eines altersschwachen Greises brauche man nicht mehr zu hören. Pudens war eben ein Valerius und ein Publicola, mein Vater nur ein Manilianus durch Adoption.
Tigellinus rief den Zenturio, der in der Arkade der Kurie auf Wache stand, und befahl ihm, zehn Prätorianer zu nehmen und meinen Vater so unauffällig wie möglich zur nächsten Richtstätte vor den Mauern zu führen.
Von Rechts wegen hätte er in den Zirkus gebracht werden müssen, um dort auf dieselbe Weise hingerichtet zu werden wie die anderen Christen. Um einen Skandal zu vermeiden, war es jedoch besser, man führte ihn heimlich vor die Stadt, wo er mit dem Schwert enthauptet werden sollte.
Der Zenturio und seine Männer gerieten in Wut, weil sie fürchteten, zur Vorstellung im Zirkus zu spät zu kommen. Da mein Vater nackt war, nahmen sie einem Sklaven, der vor der Kurie stand und gaffte, den Umhang weg und bedeckten ihn damit. Der Sklave lief jammernd hinter meinem Vater her, um sein einziges Kleidungsstück zurückzubekommen.
Die Gattinnen der Senatoren saßen wartend in ihren Sänften. Da der Weg weit war, hatte man beschlossen, daß der Festzug, in dem die Senatoren und Matronen für sich getrennt zu Fuß zu gehen hatten, erst vor dem Zirkus aufgestellt werden sollte, wohin die Götterbilder Roms im voraus gebracht wurden. Tullia wurde ungeduldig, als von meinem Vater nichts zu sehen war, und stieg aus ihrer Sänfte, um ihn zu suchen. Er hatte sich am Abend zuvor sehr eigentümlich betragen, und sie war in großer Unruhe.
Als sie nach ihrem Gatten fragte, wagte keiner der Senatoren, ihr zu antworten, da dieser Teil der Sitzung für geheim erklärt worden war und sie einen Eid abgelegt hatten. Inmitten der allgemeinen Verwirrung bat der Senator Pudens mit lauter Stimme, man möge ihn nach Hause tragen, denn er wolle die schändliche Zirkusvorstellung nicht mit ansehen.
Einige andere Senatoren, die insgeheim Mitleid mit den Christen empfanden, Nero haßten und meinen Vater um seines männlichen Auftretens willen achteten, obwohl er in ihren Augen nicht ganz richtig im Kopfe war, folgten seinem Beispiel.
Als Tullia wie ein aufgescheuchtes Huhn vor der Kurie hin und her rannte und meinen Vater wegen seiner Zerstreutheit und Saumseligkeit mit lauten Worten tadelte, bemerkte sie plötzlich einen jammernden Sklaven und einen alten Mann, der einen Sklavenmantel um die Schultern trug und von einigen Prätorianern weggeführt wurde. Sie lief näher, erkannte meinen Vater, erschrak, vertrat den Prätorianern mit ausgebreiteten Armen den Weg und fragte: »Was um alles in der Welt hast du dir nun wieder einfallen lassen, Marcus? Was bedeutet dieser Aufzug? Ich zwinge dich ja nicht, in den Zirkus zu gehen, wenn es dir so widerstrebt. Es gibt hier noch andere, die ebenso denken wie du. Komm, gehen wir in aller Ruhe heim, wenn dir das lieber ist. Ich werde dir auch keine Vorwürfe machen.«
Der Zenturio versetzte ihr einen Hieb mit seinem Befehlsstab und schrie: »Pack dich, Alte!« Tullia glaubte zuerst, sich verhört zu haben, dann aber fuhr sie rasend vor Zorn auf ihn los, um ihm die Augen aus seinem blöden Schädel zu kratzen. Zugleich schrie sie, man müsse ihn sofort in Ketten schließen, weil er es gewagt habe, Hand an die Gattin eines Senators zu legen.
Читать дальше