Vor der Kurie standen noch einige bekümmerte Christen, die bis zuletzt gehofft hatten, ein Machtwort des Senats werde die Verurteilten vor den Schrecken des Zirkus retten. Unter ihnen befand sich ein junger Mann, der den schmalen roten Streifen trug und nicht in den Zirkus geeilt war, um sich auf den um diese Zeit schon gedrängt vollen Bänken der Ritter einen Platz zu sichern.
Als sich die Prätorianer mit dem Zenturio an der Spitze auf den Weg machten, um meinen Vater und Tullia zur nächsten Richtstätte zu führen, folgte er ihnen zusammen mit anderen heimlichen Christen. Die Prätorianer ratschlagten, wie sie ihren Auftrag am schnellsten ausführen und noch zur Vorstellung im Zirkus zurecht kommen könnten, und beschlossen, die Hinrichtung bei dem Grabmal am Ostianischen Tor zu vollziehen. Dieser Ort war zwar keine Richtstätte, aber er lag immerhin außerhalb der Mauern. »Wenn er bisher keine Richtstätte war, so machen wir ihn nun eben dazu«, meinten die Männer gemütlich scherzend. »Da braucht die Frau in ihren dünnen Goldsandalen auch nicht so weit zu gehen.«
Tullia erwiderte zornig, sie sei imstande, ebensoweit zu gehen wie ihr Gatte, und niemand könne sie daran hindern. Um zu beweisen, wie stark sie war, stützte sie meinen Vater, der, alt wie er war, der körperlichen Bewegung ungewohnt und müde von einer beim Wein verbrachten Nacht, zu schwanken begann. Er war jedoch weder betrunken noch wirr im Kopf gewesen, als er im Senat aufstand und sprach, sondern hatte alles im voraus überlegt.
Das zeigte sich bei der Hausdurchsuchung. Er hatte offenbar während der letzten Wochen alle seine Geldangelegenheiten neu geregelt und in der letzten Nacht die gesamte Buchführung sowie die Listen seiner Freigelassenen und den Briefwechsel mit diesen verbrannt. Er hatte über seine Geschäfte nie viel gesprochen und überhaupt das Eigentum seiner Freigelassenen nie als das seine betrachtet, wenngleich er natürlich, um sie nicht zu kränken, die Geschenke annahm, die sie ihm aus den verschiedensten Ländern schickten.
Ich erfuhr erst viel später, daß er zuverlässigen Freigelassenen außerordentlich hohe Bargeldbeträge »zur Aufbewahrung« übersandt hatte. Die Ädilen hatten große Mühe, die Hinterlassenschaft zu ermitteln, und letzten Endes erbte Nero lediglich Tullias große Ländereien in Italien, deren Besitz des Senatorenamtes wegen hatte nachgewiesen werden müssen, und selbstverständlich das Haus auf dem Virinal, in dem sich allerdings genug an wertvollen Kunstgegenständen, Gold, Silber und Glas befand.
Den größten Ärger verursachte den Ädilen Neros übereilter Befehl, alle Bewohner des Hauses festzunehmen, die sich, allein schon meinem Vater zuliebe, als Christen bekannten. Zu diesen gehörten nämlich sowohl der Verwalter als auch beide Schreiber, und Nero bereute ihren Tod bitter. Alles in allem wurden etwa dreißig Personen aus dem Haus meines Vaters in den Zirkus gebracht.
Zu meinem großen Kummer befanden sich auch mein Sohn Jucundus und der alte Barbus unter den Gefangenen. Jucundus war nach seinen Brandverletzungen so übel daran, daß er sich nur mühsam auf Krücken fortzubewegen vermochte. Er wurde daher in einer Sänfte in den Zirkus getragen, und zwar zusammen mit Tullias altersschwacher Amme, die ein abscheuliches Lästermaul und ganz gewiß kein guter Mensch war, aber dennoch bereitwillig vorgab, Christin zu sein, als sie hörte, daß Tullia dasselbe getan hatte.
Keiner von ihnen begriff so recht, warum er in den Zirkus sollte, und welches Schicksal ihrer harrte, erkannten sie erst, als man sie in die Ställe sperrte. Noch auf dem Wege dorthin glaubten sie, Nero wolle nur, daß die Christen mit ansähen, wie die Brandstifter bestraft wurden, und die Prätorianer hielten es nicht für notwendig, sie aufzuklären. Sie hatten es ohnedies eilig genug.
Beim Ostianischen Tor, wo es viele Andenkenläden, Sänftenverleihe und Herbergen mit Ställen gab, die alle vom Brand verschont worden waren, blieb mein Vater plötzlich entschlossen stehen und sagte, er leide grausamen Durst und müsse sich seiner Schwäche wegen vor der Hinrichtung mit einem Schluck Wein erfrischen. Er versprach, auch die Prätorianer zum Wein einzuladen, da sie sich an diesem Festtag so viele zusätzliche Mühe mit ihm und seiner Gattin machen mußten. Tullia trug eine Menge Silbermünzen bei sich, die sie unter das Volk hatte werfen wollen, wie sie es ihrem Stande schuldig war.
Sie traten in eine Schenke, und der Wirt holte die besten Krüge aus seinem Keller. Der Wein schmeckte allen, denn auch die Prätorianer mußten sich bei dem heißen Herbstwetter den Schweiß von der Stirn trocknen. Da mein Vater auf keinen Rang mehr bedacht zu sein brauchte, konnte er mit gutem Gewissen auch die heimlichen Christen einladen, die ihm gefolgt waren, und dazu einige Landleute, die von dem Festtag nichts gewußt hatten und vergeblich in die Stadt gekommen waren, um Obst zu verkaufen.
Nach einigen Bechern Wein sah sich Tullia verdrossen um und fragte meinen Vater auf ihre übliche nörgelnde Art, ob es denn wirklich nötig sei, daß er sich noch einmal betrinke, noch dazu in schlechter Gesellschaft. Er antwortete ihr sanft: »Liebe Tullia, so bedenke doch, daß ich keinen Rang mehr habe. Ganz im Gegenteil, als zu einem schmählichen Tode Verurteilte sind wir beide niedriger und elender als diese freundlichen Menschen, die bereitwillig mit uns trinken. Mein Fleisch ist schwach. Ich habe mich nie damit gebrüstet, mutig zu sein. Der Wein vertreibt den unangenehmen Schauder, den ich im Genick verspüre, und am meisten freut es mich, daß ich diesmal nicht an die unausbleiblichen Magenschmerzen und den gräßlichen Katzenjammer zu denken brauche, den du mit beißenden Worten zu lindern pflegtest. Doch daran wollen wir nun nicht mehr denken, geliebte Tullia.«
Er starrte eine Weile sinnend vor sich hin und fuhr dann eifrig fort: »Wir wollen lieber an diese ehrenwerten Soldaten hier denken, die unseretwegen das fesselnde Schauspiel versäumen, wie die Christen in Neros Zirkus durch Löwenrachen, Flammen, Kreuze und auf so manch andere Art und Weise, die der künstlerisch so hochbegabte Nero sich ausgedacht hat, ins Reich eingehen. Wein, Weib und Gesang sind des Soldaten einzige Freude. Singt nur, wenn euch danach zumute ist, Soldaten. Über Weiber müßt ihr euch ein andermal unterhalten, da meine keusche Gattin anwesend ist. Für mich ist dies ein Freudentag, denn nun geht endlich eine gute Weissagung in Erfüllung, über die ich mir an die fünfunddreißig Jahre den Kopf zerbrochen habe. Laßt uns also in Christi Namen trinken, liebe Brüder, und auch du, mein gutes Weib. Ich glaube, er wird es in Anbetracht der Umstände nicht übel aufnehmen, und was mich betrifft, so habe ich um weit schlimmerer Dinge willen seinen Zorn zu fürchten, weshalb dies kleine Trinkgelage meine Menschenschuld nicht sonderlich vergrößern wird. Ich bin immer ein schwacher, selbstsüchtiger Mensch gewesen und kann zu meiner Rechtfertigung nichts anderes anführen, als daß er selbst als Mensch zur Welt gekommen ist, um auch die widerspenstigen Schafe, die wenig Wolle geben, zu suchen. Ja, ich erinnere mich dunkel, daß er einmal mitten in der Nacht fortging, um ein verlorenes Schaf zu suchen, das ihn wertvoller dünkte als die ganze übrige Herde.« Die Prätorianer lauschten aufmerksam und pflichteten ihm bei: »Es ist viel Wahres an deinen Worten, edler Manilianus. auch in der Legion bestimmt der schwächste und langsamste das Marschtempo, und einen verwundeten oder umzingelten Kameraden kann man nicht im Stich lassen, selbst wenn man eine ganze Manipel aufs Spiel setzen müßte, um ihn herauszuhauen. Freilich, wenn man in einen Hinterhalt geraten ist, muß jeder selber sehen, wo er bleibt.«
Sie begannen ihre Narben vorzuweisen und von ihren Taten in Britannien, Germanien, den Donauländern und Armenien zu erzählen, aufgrund derer sie schließlich zu den Prätorianern in der Hauptstadt versetzt worden waren. Mein Vater nutzte die Gelegenheit, wandte sich an Tullia und fragte: »Weshalb hast du ohne Not gesagt, du seist Christin, obgleich du doch nicht ernstlich glaubst, daß Jesus von Nazareth Gottes Sohn und der Welt Erlöser ist? Du bist nicht einmal getauft. An den heiligen Abendmählern hast du nur widerstrebend und nur um deiner Hausfrauenpflicht zu genügen teilgenommen, aber du hast nie von dem Brot und dem Wein gekostet, die in Christi Namen gesegnet worden waren. Es schmerzt mich, daß ich dich um nichts und wieder nichts in mein Verderben mitreiße. Ich habe allen Ernstes gedacht, du würdest als Witwe endlich so leben können, wie du es dir immer wünschtest, und einen neuen Gatten hättest du gewiß auch noch gefunden, denn du bist in meinen Augen noch immer schön, gut erhalten für deine Jahre und reich dazu. Ja, ich hatte mir vorgestellt, daß nach Ablauf der Trauerzeit die Freier förmlich um die Wette laufen würden, und dieser Gedanke machte mich nicht einmal eifersüchtig, weil mir dein Glück wichtiger ist als meines. Über Christus und sein Reich sind wir uns nie einig gewesen.«
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