»Ich bin Christin, und nicht geringer als du, mein selbstgefälliger Marcus, da ich nun mit dir zusammen um Christi willen sterbe«, erwiderte Tullia bissig. »Ich habe dir zuliebe, und weil ich dein ewiges Brummen nicht mehr aushielt, Geld an die Armen ausgeteilt. Hast du noch nicht bemerkt, daß ich dich mit keinem Wort tadle, obwohl du mit deiner entsetzlichen Dickschädeligkeit vor dem ganzen Senat Schande über unseren Namen gebracht hast? Ich habe über dein einfältiges Betragen meine eigene Meinung, aber in dieser Stunde will ich sie für mich behalten, um dich nicht noch einmal zu kränken.« Plötzlich schlang sie meinem Vater die Arme um den Hals, küßte ihn, benetzte seine Wangen mit ihren Tränen und sagte: »Ich fürchte den Tod nicht, weil ich mit dir zusammen sterben darf, Marcus. Ich könnte ohne dich nicht weiterleben. Du bist der einzige Mann, den ich wirklich geliebt habe, obwohl ich zweimal geschieden war und einen dritten Gatten zu Grabe getragen hatte, ehe ich dich wieder traf. Du hast mich einmal grausam verlassen, ohne danach zu fragen, was ich wohl empfinden mochte. Bis nach Ägypten bin ich dir nachgereist. Zugegeben, ich hatte auch andere Gründe für diese Reise, aber du hast dich ja auch mit einem Judenmädchen in Galiläa herumgetrieben, und dann hattest du diese gräßliche Griechin, Myrina, von deren gutem Ruf du mich nie wirst überzeugen können, und wenn du hundert Statuen von ihr in Myrina und auf sämtlichen Märkten in ganz Asia aufstellst. Ich hatte freilich auch meine Schwächen, aber die Hauptsache ist nun, daß du mich liebst und sagst, ich sei noch schön, obwohl mein Haar gefärbt ist, mein Hals welk und mein Mund vor lauter Elfenbeinzähnen häßlich.«
Während sie so miteinander redeten, fragte der junge Christ, der den schmalen roten Streifen auf seiner Tunika trug, vom Wein mutig geworden, den Zenturio, ob er Befehl habe, auch andere Christen festzunehmen, die er unterwegs traf. Der Zenturio verneinte das entschieden und erwiderte, er habe nur den Befehl, meinen Vater und Tullia in größtmöglicher Heimlichkeit mit dem Schwert zu richten.
Da bekannte der junge Ritter sich als Christ und schlug meinem Vater vor, das heilige Mahl der Christen zusammen einzunehmen, obgleich sie es nicht hinter verschlossenen Türen tun konnten und es nicht Abend war, was aber, wie er meinte, im Hinblick auf die Umstände gewiß kein Hindernis sei.
Der Zenturio sagte, er habe nichts dagegen einzuwenden und vor Zauberei sei ihm nicht bange. Im Gegenteil, er sei eher neugierig, da er schon so viel von den Christen habe reden hören. Mein Vater stimmte bereitwillig zu, bat aber den jungen Ritter, Brot und Wein zu segnen, und erklärte: »Ich selber kann es nicht tun. Vielleicht weigere ich mich nur aus Starrsinn und verletzter Eitelkeit, aber es verhält sich so, daß einst in Jerusalem der Geist über Christi Jünger kam und sie eine Menge Volks tauften, so daß alle des Geistes teilhaftig wurden. Damals wünschte ich sehnlich, mit den anderen getauft zu werden, aber sie schlugen es mir ab, weil ich nicht beschnitten war, und trugen mir auf, von Dingen zu schweigen, die ich nicht verstand. An diesen Befehl habe ich mich mein Leben lang gehalten und habe nie andere belehrt, obwohl ich mich manchmal vergaß und berichtete, was ich selbst gesehen oder als wahr erkannt hatte, um gewisse Mißverständnisse zu berichtigen. Getauft wurde ich erst hier in Rom, als Kephas mich in seiner Gutherzigkeit bat, ihm zu verzeihen, daß er mich einst abgewiesen hatte. Er war mir stets dankbar, weil ich ihm einmal auf jenem Berg in Galiläa meinen Esel lieh, so daß er, als er selbst nach Jerusalem mußte, seine Schwiegermutter, die einen kranken Fuß hatte, nach Kapernaum schicken konnte. Doch verzeiht mir meine Schwatzhaftigkeit. Ich sehe, daß die Soldaten zum Himmel hinaufblicken. Greise reden gern von alten Zeiten, und mir löst der Wein die Zunge.«
Sie beugten die Knie, und Tullia tat es ihnen nach. Der junge Ritter segnete mit einigen Worten Brot und Wein als Christi Fleisch und Blut. Dann genossen sie die Gnade mit Tränen in den Augen und küßten einander zärtlich. Tullia versicherte, sie fühle in ihrem Innersten schon ein wonniges Zittern, einen Vorgeschmack des Paradieses, und ins Paradies, oder wohin auch immer sein Weg ihn führte, wollte sie mit meinem Vater Hand in Hand gehen.
Die Prätorianer gaben zu, daß sie in dieser Art von Zauberei nichts Böses sehen konnten. Dann hüstelte der Zenturio bedeutsam, nachdem er noch einmal zum Himmel hinaufgeblickt hatte. Mein Vater beglich eilig seine Schuld, legte ein reichliches Trinkgeld dazu und ließ den Rest des Geldes unter dem Zenturio und den Prätorianern aufteilen, indem er sie noch einmal bat, die Mühe zu verzeihen, die er ihnen bereitete, und sie in Christi Namen segnete. Der Zenturio bat rücksichtsvoll, man möge sich nun hinter das Grabmal begeben, da er Befehl habe, seinen Auftrag so unbemerkt wie möglich auszuführen.
Da begann der junge Ritter zu weinen und sagte, es sei ihm, als er Brot und Wein segnete, plötzlich eine so frohe Gewißheit zuteil geworden, daß er nicht warten wolle, bis sein eitles Leben von selbst erlösche. Der Gedanke bedrückte ihn, daß so viele niedrig geborene Christen im Zirkus für Christus leiden durften und daß er selbst vielleicht nicht imstande sein werde, künftiger Bedrängnis tapfer standzuhalten. Daher bat er den Zenturio mit aufrichtigem Eifer, er möge ihn gleich hier und jetzt enthaupten und des Menschen herrlichste Reise antreten lassen. Er sei ebenso schuldig wie die anderen Christen und müsse ihre Strafe teilen.
Der Zenturio wunderte sich, meinte aber nach kurzem Nachdenken, er verstoße wohl nicht gegen seine Pflicht, wenn er ihn zusammen mit meinem Vater und Tullia sterben lasse. Das hatte zur Folge, daß einige, die abseits gesessen waren und zugehört hatten, nun eifrig um dieselbe Gnade baten. Um die Wahrheit zu sagen: man hat mir hinterbracht, daß sie auf meines Vaters Kosten allzu reichlich getrunken hatten.
Der Zenturio weigerte sich jedoch entschieden und sagte, seine Gunst habe ihre Grenzen. Einen mehr könne er zur Not mit hinrichten und beiläufig in seinem Bericht erwähnen, wenn er aber gleich mehrere vom Leben zum Tode beförderte, so würde das Aufmerksamkeit erregen und viel Schreiberei mit sich bringen, und mit seinen Schreibkünsten sei es nicht weit her.
Zuletzt bekannte er, daß alles, was er gesehen, einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht habe, daß er bei späterer Gelegenheit noch mehr über diese Dinge zu erfahren wünsche. Christus müsse ein mächtiger Gott sein, daß solche, die sich zu ihm bekannten, freudig in den Tod gingen. Er habe jedenfalls nie gehört, daß einer freiwillig und gern beispielsweise für Jupiter oder auch Bacchus gestorben wäre. Mit Venus verhalte es sich möglicherweise anders.
Die Prätorianer führten meinen Vater, Tullia und den Ritter, dessen Namen der Zenturio, da er nicht minder berauscht war als die anderen, erst im letzten Augenblick auf seine Wachstafel kritzelte, hinter das Grabmal und wählten unter sich die drei besten Schwertfechter aus, die imstande waren, den Kopf mit einem einzigen Hieb vom Rumpf zu trennen. Mein Vater und Tullia starben auf den Knien und Hand in Hand. Einer der heimlichen Christen, der dabei war und von dem ich dies alles weiß, behauptete, die Erde habe gebebt und am Himmel seien Flammen erschienen, die die Bauern blendeten, aber das sagte er wohl nur, um mir zu gefallen, oder vielleicht hatte er auch geträumt.
Die Prätorianer losten, wer zurückbleiben und die Leichen bewachen sollte, wie das Gesetz es vorschreibt, bis die Angehörigen sie holen kamen. Als die Zuschauer dies sahen, machten sie sich erbötig, die Wache zu übernehmen, da alle Christen Brüder seien und dadurch gleichsam miteinander verwandt. Der Zenturio meinte zwar, diese Behauptung sei juristisch gesehen zweifelhaft. aber er nahm das Angebot gern an, weil er keinen seiner Männer um das Vergnügen der Zirkusvorstellung bringen wollte. Es war Mittag, als sie sich im Eilschritt in die Stadt zurück und zum Zirkus jenseits des Flusses begaben, um noch Stehplätze unter den anderen Prätorianern zu bekommen.
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