Der Skandal war nun nicht mehr zu vermeiden. Mehrere Frauen stiegen aus ihren Sänften, ohne sich um die Einwände ihrer Männer zu kümmern, um Tullia zu Hilfe zu eilen. Als die festlich gekleidete Frauenschar die Prätorianer umringte und schnatternd und gackernd fragte, was denn vor sich gehe, wurde mein Vater von so viel Aufmerksamkeit ganz verlegen und bat Tullia, sich zu beruhigen, indem er ihr erklärte: »Ich bin nicht mehr Senator. Ich folge dem Zenturio aus freiem Willen. Besinne dich auf deinen Rang und schrei nicht wie ein Marktweib. Meinetwegen kannst du allein in den Zirkus gehen. Ich glaube, es wird dich niemand daran hindern.«
Tullia brach in Tränen aus und klagte laut: »Noch nie hat mich jemand ein Marktweib genannt. Wenn dich gestern abend meine Worte über dich und deine Christen so gekränkt haben, dann hättest du es mir geradeheraus sagen sollen, anstatt die ganze Nacht zu bocken. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der nicht zu reden wagt, wie ihm ums Herz ist, sondern einen tagelang nur stumm wie ein Fisch anglotzt.«
Einige würdige Senatorengattinen pflichteten ihr lachend bei und versuchten, die beiden miteinander zu versöhnen: »Recht hat sie, Manilianus. Wegen eines kleinen Streits verzichtet man nicht gleich auf den Purpurstreifen. Hör auf, Komödie zu spielen, und vergib Tullia, wenn sie dich gekränkt hat. Ihr seid Mann und Frau und zusammen in Ehren grau geworden.«
Tullia war tief beleidigt. Sie riß sich den Festtagsschleier vom Kopf und schrie: »Seht selbst nach, ihr Klatschmäuler, ob ich auch nur ein einziges graues Haar habe! Und ich lasse mir das Haar nicht färben, obwohl ich natürlich arabische Waschungen mache, die den natürlichen Ton zur Wirkung bringen. Wenn jemand sagt, mein Haar sei gefärbt, so ist das nichts als Bosheit und Verleumdung!«
Mein Vater wandte sich an den Zenturio: »Dies ist ein ernster Augenblick in meinem Leben, vielleicht er ernsteste. Ich halte dieses Weibergezänk nicht mehr aus. Führ mich fort, wie man es dir befohlen hat.«
Die Frauen wichen jedoch nicht zur Seite, und der Zenturio wagte nach dem Zusammenstoß mit Tullia nicht, seinen Männern zu befehlen, den Weg mit Gewalt freizumachen. Zudem wußte er selbst nicht mehr, woran er war.
Als Tigellinus sah, daß immer mehr Volk zusammenströmte und der Tumult immer größer wurde, drängte er sich mit zornbleichem Gesicht zu meinem Vater vor, schlug Tullia mit der Faust vor die Brust und sagte: »Fahr in den Orkus nieder, du verfluchte Hündin. Du bist nicht mehr die Gattin eines Senators und kannst dich auf keinen Rang berufen. Wenn du nicht sofort dein Maul hältst, lasse ich dich wegen Ruhestörung festnehmen.«
Tullia wurde totenbleich, als sie merkte, daß es ihm ernst war, aber der plötzliche Schrecken ließ sie nicht ihren Stolz vergessen. »Du Satansdiener!« fluchte sie, unbewußt einen Ausdruck gebrauchend, den sie von den Freunden meines Vaters gehört hatte. »Schachere du mit deinen Rössern und treibe Unzucht mit deinen Lustknaben. Wie kannst du es wagen, eine Römerin vor der Kurie zu schlagen! Und festnehmen lassen kann mich nur der Stadtpräfekt. Dein rüpelhaftes Benehmen erregt hier mehr Ärgernis als meine bescheidene Frage, was vorgefallen ist und wohin mein Gatte mit seiner Ehrenwache geht. Ich werde mich an den Kaiser selbst wenden.«
Tigellinus war ohnehin verärgert, weil Nero ihm zornig vorgeworfen hatte, er habe sich bei der Verhaftung der Christen ungeschickt angestellt. Nun zeigte er spöttisch mit dem Finger und erwiderte: »Dort steht Nero noch. Geh nur rasch und frag ihn. Er kann dir am besten sagen, was vorgefallen ist.« Mein Vater warnte Tullia: »Stürze dich nicht meinetwegen ins Verderben, liebe Tullia, und stör mir nicht die letzten Augenblicke meines Lebens. Verzeih mir, wenn ich dich gekränkt habe, und verzeih mir, daß ich dir nicht der Gatte war, den du dir wünschtest. Du bist mir immer eine gute Frau gewesen, wenngleich wir uns selten einig waren.«
Da vergaß Tullia vor Freude den Prätorianerpräfekten. Sie umarmte meinen Vater und rief: »Sagtest du wirklich liebe Tullia? Warte eine kleine Weile, ich bin gleich wieder bei dir.«
Unter Tränen lächelnd trat sie auf Nero zu, der ihr verlegen entgegenblickte, grüßte ihn achtungsvoll und bat: »Sei so gnädig und erkläre mir, was für ein leidiges Mißverständnis hier vorliegt. Mit ein wenig gutem Willen läßt sich alles wieder einrenken.«
»Dein Gatte hat mich beleidigt, aber das würde ich ihm gern verzeihen«, erwiderte Nero. »Er hat aber auch vor dem Senat gestanden, daß er Christ ist. Der Senat hat ihm Rang und Amt aberkannt und ihn als Feind der Menschheit zum Tode durch das Schwert verurteilt. Schweig still, denn wir wollen einen Skandal vermeiden. Gegen dich habe ich nichts. Du darfst sogar dein Eigentum behalten, aber das Eigentum deines Gatten fällt zur Strafe für sein Verbrechen an den Staat.«
»Was soll das heißen?!« rief Tullia verwundert. »Soll er wirklich nur deshalb verurteilt werden, weil er in seiner Blödigkeit Christ geworden ist?«
»Er erleidet die Strafe aller Christen«, erwiderte Nero ungeduldig. »Geh nun deines Wegs und halte mich nicht länger auf. Du siehst, daß ich es eilig habe. Ich muß mich als erster Bürger an der Spitze des Zuges zum Zirkus begeben.«
Da warf Tullia stolz den Kopf zurück, ohne an die schlaffe Haut ihres Halses zu denken, und rief: »Ich habe ein wechselvolles Leben hinter mir und habe mich nicht immer so wohlanständig betragen, wie man es von einer Frau in meiner Stellung erwarten möchte. Aber ich bin eine Römerin und folge meinem Gatten, wohin er immer gehen mag. Wo du, Gajus, bist, bin ich, Gaja. Auch ich bin Christin und bekenne es nun öffentlich.«
Das war nicht wahr. Im Gegenteil, sie hatte meinem Vater mit ihrem ständigen Gekeife das Leben vergiftet und seine christlichen Freunde verachtet. Nun aber wandte sie sich an den Volkshaufen und rief laut: »Hört es alle, Senat und Volk von Rom! Ich, Tullia Manilia, ehedem Valeria, ehedem Sulia, bin Christin! Es lebe Christus von Nazareth und sein Reich!« Und um recht überzeugend zu wirken, ließ sie noch ein »Halleluja!« folgen, da sie dieses Wort oft von den Juden gehört hatte, wenn sie sich im Hause meines Vaters mit anderen Christen über den rechten Weg stritten.
Zum Glück trug ihre Stimme nicht sehr weit. Tigellinus hielt ihr rasch mit der Hand den Mund zu. Als die Senatorengattinnen Neros Zorn bemerkten, eilten sie, vor Neugier schier zerspringend, zu ihren Sänften zurück, um die Wahrheit über die Vorfälle im Senat aus ihren Ehemännern herauszupressen. Nero bewahrte mit knapper Not seine Würde, als er sein Urteil fällte: »Du sollst haben, wonach du verlangst, verrücktes Weib, wenn du nur den Mund hältst. Ich sollte dich in den Zirkus schicken und mit den anderen zusammen hinrichten lassen, doch du bist zu häßlich und zu runzelig, um die Dirke zu spielen. Deshalb sollst du mit deinem Mann zusammen das Schwert schmecken, aber diese Gnade verdankst du nur dem Ansehen deiner Väter, nicht mir.«
Durch Tullia war der Skandal so weit an die Öffentlichkeit geraten, daß Nero es nicht mehr wagte, die Gattin eines abgesetzten Senators vor allem Volk den wilden Tieren vorzuwerfen. Während die Prätorianer Tullia durch die Menge zu meinem Vater zurückführten, goß Nero seinen Zorn über Tigellinus aus und befahl ihm, alle Hausgenossen meines Vaters verhaften und jeden, der sich als Christ bekannte, unverzüglich in den Zirkus bringen zu lassen. Zugleich sollte das Haus versiegelt und alles beschlagnahmt werden, was sich an Urkunden und Verzeichnissen vorfand, die sich auf das Vermögen Tullias und meines Vaters bezogen.
»Und rühre du nichts davon an«, warnte Nero Tigellinus. »Ich betrachte mich als ihr Erbe, da du mich zwingst, zu tun, was eigentlich deine Pflicht gewesen wäre.« Der Gedanke an den unermeßlichen Reichtum Tullias und meines Vaters tröstete ihn gewiß in seinem Ärger.
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