Die Tiere waren noch unruhiger und aufgeregter als die Menschen, als sie bei flackerndem Feuerschein und unter großem Lärm aus dem Schlaf gerissen wurden. In das Poltern der Karren und der von Ochsen gezogenen Schlitten mischten sich das Gebrüll der Auerochsen und der Löwen und das Trompeten der Elefanten. Der Lärm war bis zum Marsfeld zu hören, wo die Menschen, in dem Glauben, der Brand sei von neuem ausgebrochen, aus ihren Notunterkünften stürzten.
Zusätzlich zu unseren eigenen Fuhrwerken beschlagnahmte ich die am festesten gezimmerten Ochsenschlitten, die Tag und Nacht Bausteine aus den Steinbrüchen außerhalb der Stadt herbeischleppten. Tigellinus stellte mir eine Kohorte Prätorianer zur Verfügung, die ich mit Wein und Geld anspornte, so daß sie kräftig mit zupackten, obwohl sie, nachdem sie einen Tag und eine Nacht ununterbrochen Dienst getan hatten, zum Umfallen müde waren.
Das größte Hindernis war, wie nicht anders zu erwarten, Sabina. Sie kam geradewegs aus Epaphroditus’ Bett zu mir gerannt und schrie: »Du bist besessen? Was soll dies alles bedeuten?« Sie wollte um keinen Preis ihre zahmen Löwen hergeben, da die ganze lange Arbeit, die sie mit ihnen gehabt hatte, zunichte war, wenn sie ein einziges Mal Gelegenheit erhielten, einen Menschen zu zerreißen und Menschenblut zu schmecken.
Zum Glück war Epaphroditus vernünftiger als sie. Er begriff, daß größte Eile geboten war, und half selbst mit, drei wilde Löwen, die erst kürzlich aus Afrika eingetroffen waren, zu verladen. Leider war die Abendfütterung schon vorüber, und sie waren satt und faul. Einige alte Sklaven, die sich noch gut an die großartigen Raubtiervorstellungen des Kaisers Claudius erinnerten, meinten, man werde an den Tieren nicht viel Freude haben.
Für die hyrkanischen Auerochsen hatten wir keine Transportkäfige, denn sie wurden gewöhnlich durch eine feste Einzäunung und einen unterirdischen Gang in die Ställe des Amphitheaters getrieben. Wir mußten sie auf ihrem Weideplatz einfangen und binden. Wenn man bedenkt, daß es an die dreißig waren und daß wir sie teilweise im Dunkeln einfangen mußten, während die Tiere, von dem Lärm und dem Fackelschein erschreckt, umherrasten und miteinander kämpften, meinte ich, daß ich mir einige Achtung dafür verdient habe, daß ich noch vor Anbruch der Morgendämmerung meinen Auftrag ausgeführt hatte.
Ich mußte mich, um ein gutes Beispiel zu geben, selbst am Einfangen beteiligen, nachdem mehrere ungeschickte Prätorianer niedergestoßen und zertrampelt worden waren, und bekam einen Tritt auf den Fuß und einige Schrammen ab, doch ich brach mir keine Knochen und spürte in der Eile nicht einmal die Schmerzen. Einer der Bären schlug mir mit der Tatze den linken Arm gefühllos, aber ich freute mich nur über die wilde Kraft dieser Tiere.
Unterdessen hatte ich in der ganzen Stadt die Schneider und Schuster wecken lassen. Tierfelle hatten wir genug, da es, seit die verfeinerten griechischen Sitten in die Häuser der Vornehmen Eingang gefunden hatten, nicht mehr üblich war, Felle als Bettdecken oder Wandbehänge zu verwenden. Ich hatte dadurch große finanzielle Einbußen erlitten, aber jetzt dankte ich Fortuna für die zahllosen Felle, die uns zur Verfügung standen.
Als der Morgen graute, herrschte in Neros Zirkus ein vollkommnes Chaos. Theaterleute rannten mit Kostümen hin und her, Soldaten rammten Pfähle ein, und Sklaven bauten Laubhütten darum herum. Ganze Häuser wurden in aller Eile auf dem Sand errichtet. Ich ließ Felsbrocken herbeischleppen und in der Mitte der Arena aufeinandertürmen.
Es war nicht zu verhindern, daß es zu Streitigkeiten kam, denn jeder hielt seinen Auftrag und seinen Anteil an den Vorbereitungen für das Wichtigste. Die Christen waren überall im Wege. Sie lagen in ganzen Scharen im Sand oder gingen neugierig umher und störten die Arbeiter. Der Zirkus, der bisher nur für Wagenrennen verwendet worden war, war zu klein. Ich mußte sämtliche Kellerräume und Ställe belegen und zum Teil die Wände für meine Tiere verstärken lassen. Die kräftigsten Christen wurden mit zur Arbeit angestellt, die anderen auf die Zuschauertribünen hinaufgetrieben. Es gab nicht genug Abtritte für so viele Gefangene. Deshalb mußten sie zuletzt rasch noch die Gänge reinigen, die sie beschmutzt waren, aber wir waren dennoch gezwungen, überall Weihrauch zu verbrennen und große Mengen von Parfüm zu versprühen, um wenigstens in der Kaiserloge und auf den Bänken des Senats den Aufenthalt erträglich zu machen. Ich muß allerdings zugeben, daß meine Tiere an dem Gestank nicht ganz schuldlos waren, aber ich war ihren Geruch schon so gewöhnt, daß ich ihn kaum noch wahrnahm.
Die Christen begannen sich in Gruppen zu sammeln, um zu beraten und Christus zu preisen. Einige sprangen und tanzten mit rollenden Augen verzückt umher. Andere redeten in Zungen, die niemand verstand. Viele Prätorianer meinten, als sie das sahen, es sei Neros erste wirkliche Herrschertat, daß er solche Zauberei in Rom ausrottete.
Die Vernünftigsten unter den Christen wußten noch immer nicht recht, was für ein Schicksal sie erwartete. Sie sahen den Vorbereitungen verwundert zu. Einige, die mich vom Sehen kannten, kamen zu mir und fragten mich in aller Unschuld, wie lange man sie noch gefangenhalten wolle und wann der Prozeß beginnen werde.
Sie hatten, wie sie sagten, wichtige Angelegenheiten zu ordnen und sich um ihre Arbeit zu kümmern. Vergebens versuchte ich ihnen zu erklären, daß das Urteil bereits gefällt war und daß sie gut daran täten, sich darauf vorzubereiten, tapfer für Christus zu sterben, um dem Senat und dem Volk von Rom ein denkwürdiges Schauspiel zu bieten.
Sie schüttelten die Köpfe und glaubten mir nicht. »Du treibst deinen Scherz mit uns«, sagten sie. »So etwas kann in Rom nicht geschehen.«
Sie glaubten mir noch nicht einmal, als sie ihre Kleider ablegen mußten und die Schneider und Schuhmacher begannen, sie in Felle einzunähen. Einige lachten sogar und gaben den Handwerkern gute Ratschläge, und ich sah Knaben und junge Mädchen, die knurrten und sich miteinander balgten, als man sie in Panther oder Wolfsfelle eingenäht hatte. Und so groß ist die Eitelkeit der Menschen, daß manche sich sogar um die schönsten Felle stritten. Sie begriffen noch immer nicht, was man mit ihnen vorhatte, obwohl sie meine Hunde in den Kellergewölben ununterbrochen heulen hörten.
Als die Theaterleute daran gingen, die schönsten und stattlichsten Männer und Frauen für ihre Zwecke auszuwählen, verlangte ich die dreißig schönsten Frauen für die Dirkenummer und suchte mir, während die Danaiden und ihre ägyptischen Bräutigame in ihre Kostüme gekleidet wurden, Mädchen und Frauen zwischen sechzehn und fünfundzwanzig Jahren aus, die ich sofort beiseite führen ließ, bevor die unehrlichen Theaterleute sie mir wegschnappten.
Ich glaube, den Christen dämmerte die Wahrheit erst, als die Strahlen der aufgehenden Sonne den Sand röteten und man die dem Aussehen nach schlimmsten Verbrecher zu kreuzigen begann. Einen Teil der Balken und Planken, die für diesen Zweck herbeigeschafft worden waren, hatte ich zur Verstärkung der Stallwände verwendet, aber es wäre ohnehin nicht gut möglich gewesen, die Kreuze zu dicht nebeneinander aufzustellen, da sie sowohl die Sicht als auch die Vorführung selbst behindert hätten.
Tigellinus eilte in den Senat. Zuvor bestimmte er rasch noch, daß nur vierzehn Kreuze, eins für jeden Stadtbezirk, in der Mitte der Arena errichtet werden sollten. Weitere Kreuze hatten links und rechts neben den Eingängen Platz, aber darüber hinaus mußte man sich damit begnügen, so viele wie möglich an die Planken rund um die Rennbahn zu nageln.
Um mehr Platz zu bekommen, schickte er tausend Männer und tausend Frauen unter Bewachung in die Gärten der Agrippina, wo Nero das Volk am Abend nach der Vorstellung zum Mahle laden wollte. Außerdem mußte dem Volk aber auch während der Vorstellung etwas geboten werden. Der Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel liegt so weit von der Stadt entfernt, daß man von den Leuten nicht erwarten konnte, daß sie zu Mittag heimgingen. Die kaiserliche Küche war jedoch gut vorbereitet, und so trafen zahllose Körbe mit Speisen ein, einer für jeweils zehn Zuschauer, daneben besondere Körbe mit Wein und gebratenen Hühnern für die Senatoren und zweitausend Körbe allein für die Ritter.
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