Zuletzt gab Nero so weit nach, daß er erklärte, etwa dreitausend Gefangene würden für seine Vorstellung genügen. Er erlaubte Tigellinus, alle freizulassen, die ihrem Aberglauben abschworen, vorausgesetzt, daß noch genug zur Bestrafung übrigblieben. »Wir anderen wollen uns unterdessen etwas ausdenken, woran das Volk seinen Spaß haben wird«, sagte er. »Und du, Tigellinus, sorgst dafür, daß für die Theatervorstellung auch einige makellose Jünglinge und Jungfrauen übrigbleiben, und nicht nur gebrandmarkte Sklaven.«
Der Mensch glaubt allzu gerne, was er hofft. Daher dachte ich, als ich Tigellinus zum Prätorianerlager zurückbegleitete, daß Nero nur einige Christen hinrichten lassen wollte, um das Volk zufriedenzustellen, und daß die übrigen in einer schimpflichen, erniedrigenden Vorstellung auftreten sollten. Tigellinus schwieg. Er hatte seine eigenen Pläne, von denen ich noch nichts ahnte.
Wir begaben uns zum Exerzierfeld. Die Gefangenen waren von der Sonne erschöpft, denn es war ein heißer Herbsttag. Man hatte Lebensmittel und Wasser aus der Stadt herbeigeschafft, aber nicht genug für alle. Viele, die hungrig und durstig waren, baten, sich selbst etwas bringen lassen zu dürfen, wie es das Gesetz und die gute Sitte erlaubten.
Wenn Tigellinus einen Mann in der Toga erblickte, blieb er bei ihm stehen, sprach freundlich mit ihm und fragte: »Bist du einer von denen, die Rom angezündet haben?« Sobald der Mann verneinte, fragte er: »Bist du schon einmal wegen eines schändlichen Verbrechens bestraft worden?« Erhielt er auch darauf eine zufriedenstellende Antwort, rief er erleichtert: »Gut! Du scheinst mir ein Ehrenmann zu sein. Ich lasse dich frei, wenn du versprichst, dem verderblichen Irrglauben der Christen abzuschwören. Du hast gewiß hundert Sesterze, um die Haftkosten zu bezahlen.«
Er war jedoch unangenehm überrascht, und auch ich war, um die Wahrheit zu sagen, verblüfft, als einer nach dem anderen ruhig zur Antwort gab, er könne Christus nicht verleugnen, der ihn von seinen Sünden erlöst und in sein Reich gerufen habe. Im übrigen sagten sie, seien sie gern bereit, heimzugehen und fünfzig, hundert oder auch fünfhundert Sesterze zu zahlen, um dem Staat die Auslagen zu ersetzen.
Zuletzt stellte sich Tigellinus taub, murmelte eine Frage: »Du sagst dich also von Christus los?« gab sich selbst die Antwort und sagte hastig: »Gut, gut, du kannst gehen!« Er verlangte nicht einmal mehr ein Bestechungsgeld und wollte nur, daß sie auch wirklich gingen. Viele waren aber so starrsinnig, daß sie heimlich zurückkehrten und sich unter den anderen Christen versteckten.
Unterdessen ließ Tigellinus durch Prätorianer, die den Ordnungsdienst in der Stadt versahen, überall bekanntmachen, daß die am Brande Roms schuldigen Christen quer durch das Trümmerfeld und die Via Sacra entlang auf die andere Seite des Flusses, in Neros Zirkus, geführt werden sollten. Der Begleitmannschaft gab er zu verstehen, daß er nichts dagegen hatte, wenn der eine oder andere unterwegs entkam und im Gedränge verschwand. Einige Greise und zarte Frauen klagten, der Weg sei zu weit, aber Tigellinus meinte scherzend, er könne nicht für jeden kleinen Spaziergang allen eine Sänfte besorgen.
Entlang des Weges versammelten sich johlende Volkshaufen, die die Christen mit Steinen und Kot bewarfen, aber der Zug der Gefangenen war so lang, daß auch die lautesten Schreier ermüdeten, ehe noch das Ende in Sicht kam. Ich ritt an dem Zuge auf und ab und achtete darauf, daß die Prätorianer ihre Pflicht taten und die Gefangenen beschützten.
Dennoch wurden einige so übel zugerichtet, daß sie in ihrem Blute liegen blieben. Als wir aber zur Via Sacra kamen, der Himmel sich rot färbte und die Schatten lang wurden, herrschte ein seltsames Schweigen unter dem Volk links und rechts des Weges. Es war, als wäre für einen Augenblick die ganze Stadt in gespenstische Stille versunken. Die Prätorianer blickten sich beunruhigt um, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, der Himmel werde sich auftun und Christus werde herabsteigen, um die Seinen zu beschützen.
Von Hunger, Durst und Schlafmangel ermattet, vermochten viele nicht mehr weiterzugehen und ließen sich am Wegrand nieder, aber niemand tat ihnen etwas zuleide. Sie baten ihre Glaubensbrüder, sie nicht zurückzulassen und ihres Anteils an der Freude in Christus zu berauben. Da mieteten einige der Christen Wagen, auf denen Schutt und Baumaterial befördert wurden, und luden die Müden auf. Bald folgten unserem Zug an die hundert Ochsenkarren, und niemand brauchte mehr zurückzubleiben. Tigellinus schritt nicht ein, aber er fluchte und sagte, die Christen in ihrem Aberglauben seien starrsinniger und unbelehrbarer, als er je geahnt habe.
Er beging einen Fehler, indem er den Zug über die Insel des Äskulap und durch das Judenviertel zum Vatikanischen Hügel führte. Es dämmerte schon, und als der Volkshaufe, der dem Zug folgte, die Juden erblickte, stürzte er sich auf sie, um sie zu mißhandeln, und drang in ihre Häuser ein. Tigellinus mußte den größten Teil der Bewachung abziehen, um die Ordnung wiederherzustellen, so daß der Zug der Christen mehr oder weniger selbst zusehen mußte, wie er in den Zirkus auf dem Vatikanischen Hügel kam.
Ich hörte die Männer und Frauen an der Spitze einander fragen, ob sie wohl auf dem richtigen Wege seien. Manche verirrten sich in der Dunkelheit in die Gärten Agrippinas, aber gegen Morgen waren alle im Zirkus. Es wurde behauptet, nicht ein einziger der Christen sei entflohen, aber das zu glauben fällt mir schwer. Die Gelegenheit, sich aus dem Staube zu machen, war zu günstig, als die Dunkelheit eingebrochen war und man sich im vierzehnten Stadtteil prügelte.
Die riesige Menschenmenge fand natürlich nicht in den Kellern und Stallungen Platz, und viele mußten sich in den Sand der Arena legen. Tigellinus erlaubte ihnen, sich mit Heu aus den Vorgärten ein Lager zu bereiten, und ließ die Wasserleitungen der Rennställe für sie öffnen. Er tat es nicht aus Barmherzigkeit. Die Christen waren ihm anvertraut worden, und er war Römer.
Einigen Kindern, die ihre Eltern verloren hatten, und einigen jungen Mädchen, die von den Prätorianern aus der Menge ausgewählt und geschändet worden waren, damit dem Gesetz Genüge getan wurde, welches vorschreibt, daß keine Jungfrau zur Leibesstrafe verurteilt werden darf, befahl ich streng, nach Hause zu gehen – in Christi Namen, denn anders gehorchten sie mir nicht. Und ich war nicht der einzige, der sich in diesem Durcheinander gezwungen sah, sich auf Christus zu berufen. Auch die Prätorianer, die bei den Wasserleitungen für Ordnung zu sorgen hatten, hörte ich ihre Befehle in Christi Namen geben.
Bedrückt kehrte ich mit Tigellinus in der Dunkelheit zum Esquilin zurück, und wir ließen uns bei Nero melden. Als er mich sah, fragte er mich ungeduldig: »Wo hast du dich herumgetrieben? Wenn man dich einmal braucht, bist du nicht da. Sag mir, was für wilde Tiere du in deinem Tiergarten hast.«
Ich erwiderte, daß die Auswahl nicht groß war, da wir wegen des Wassermangels und der Futterknappheit nach dem Brand den Tierbestand einschränken mußten. Für Jagdspiele hatte ich eigentlich nur hyrkanische Auerochsen und Jagdhunde, erklärte ich, nichts Böses ahnend. Sabina hatte außerdem ihre Löwen. »Aber«, sagte ich düster, »es wird bei den neuen Wassergebühren kaum möglich sein, den Tiergarten aufzufüllen.«
»Man wirft mir immer vor, ich sei zu milde und entwöhnte das Volk der alten römischen Tugenden«, unterbrach mich Nero. »Nun soll es einmal haben, wonach es verlangt, sosehr mir solche Grausamkeiten persönlich widerstreben. Aber das entsetzliche Verbrechen der Christen und ihr Menschenhaß rechtfertigen sie. Die Gefangenen werden gegen wilde Tiere kämpfen. Ich bin bereits die Göttersagen durchgegangen, um Anregungen für passende Szenen daraus zu schöpfen. Fünfzig Mädchen können Danaiden darstellen und fünfzig Jünglinge deren Gatten. Eine, die Dirke hieß, wurde auf die Hörner eines Stiers gebunden. Das können wir mehrere Mädchen darstellen lassen.«
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