Ich erklärte Cletus, der meine Worte für Kephas ins Aramäische übersetzte, in aller Kürze den juristischen Sachverhalt. Kephas bekam wieder einen roten Kopf, versuchte anfangs beherrscht zu sprechen, ereiferte sich dann aber und schrie zuletzt mit Donnerstimme. Cletus versuchte zu dolmetschen, ich selbst mischte mich gleichfalls ein, Pudens redete dazwischen, was ihm gerade einfiel, und keiner verstand, was der andere sagte.
Tigellinus hob abwehrend beide Hände, bat uns zu schweigen und sagte: »Laßt es genug sein. Aus Achtung vor deinem weißen Haupt, Pudens, und um die Gunst dieses mächtigen Zauberers zu gewinnen, bin ich bereit, zehn oder zwanzig oder sagen wir hundert Christen freizugeben, die er selbst auswählen darf. Ich habe ohnehin zu viele Christen und bin froh, wenn ich auf eine vernünftige Weise einige davon loswerde.«
Kephas dachte einen Augenblick über diesen Vorschlag nach, lehnte ihn dann aber ab und verlangte halsstarrig, man solle ihn gefangennehmen und die anderen freilassen. Das war eine wahnwitzige Forderung, aber als ich später darüber nachdachte, sah ich ein, daß Kephas von seinem Standpunkt aus klug gehandelt hatte. Wenn er aus der großen Zahl der Gefangenen nach eigenem Gutdünken hundert ausgewählt hätte, würde dies gerade nun, da die Sprecher der verschiedenen Parteien sich angesichts der gemeinsamen Prüfung miteinander ausgesöhnt hatten, zu neuem Mißtrauen und Streit Anlaß gegeben haben.
Unsere Verhandlungen führten zu nichts. Zuletzt verlor Tigellinus trotz seiner Furcht vor Zauberei die Geduld und rannte mit langen Schritten aus dem Raum. Wir hörten, wie er draußen den Wachtposten befahl, den aufsässigen Juden mit der Geißel davonzujagen.
»Wendet aber nicht mehr Gewalt an, als unbedingt nötig ist!« rief er. »Und rührt mir den Senator Pudens nicht an. Er ist ein Publicola!«
Die Prätorianer wollten nicht gehorchen. Einige von ihnen hatten Paulus reden gehört, als sie ihn bewachten, und hegten seither insgeheim Achtung für die Christen. Sie warnten ihre Kameraden, und Tigellinus konnte sie nicht einmal zur Rechenschaft ziehen, weil er selbst die Zauberkünste des Kephas fürchtete. Sogar der Kasernenzenturio des Prätoriums warnte ihn davor, sich an einem so heiligen Mann zu vergreifen.
Schließlich war Tigellinus gezwungen, denjenigen, die bereit waren, Kephas aus dem Lager zu treiben und dafür zu sorgen, daß er außerhalb der Mauern blieb, einen zusätzlichen Monatssold zu versprechen. Da endlich meldeten sich fünf grobschlächtige Kerle, die sich gegenseitig Mut machten, indem sie versicherten, sie fürchteten nicht einmal die Mächte der Unterwelt. Sie leerten hastig jeder ein Maß Wein und stürzten dann ins Haus, um Kephas mit kräftigen Geißelhieben hinauszutreiben.
Pudens durfte nicht einschreiten, denn nicht einmal ein Senator ist befugt, einen militärischen Befehl aufzuheben. Er konnte nur schimpfen und Tigellinus drohen, der vorsichtshalber zwanzig Schritte zurückwich und die Prätorianer mit lauten Rufen zur Eile antrieb.
Die mit Bleikugeln beschwerten Geißelschnüre klatschten auf Kephas’ Schultern und Gesicht, aber der hochgewachsene alte Mann richtete sich nur noch höher auf, lächelte mild, segnete die Soldaten und bat sie, fester zu schlagen, da es ihm eine Freude sei, um Christi willen zu leiden.
Um ihnen ihr Werk zu erleichtern, zog er sich den groben Mantel aus und reichte ihn Pudens, damit er nicht mit Blut besudelt wurde. Pudens würde ihn gern gehalten haben, aber das konnte ich, da er doch Senator war, nicht zulassen. Ich nahm daher selbst den Mantel über den Arm.
Die Soldaten schlugen, wild vor Angst, mit voller Kraft auf Kephas ein und verletzten sich aus Versehen gegenseitig mit den Geißeln. Das Blut strömte Kephas übers Gesicht und sammelte sich in seinem grauen Bart. Sein Untergewand hing bald in Fetzen an ihm nieder. Je härter aber die Soldaten zuschlugen, desto inniger lächelte er. Ab und zu brach er in Freudenrufe aus und bat Christus, sie zu segnen, weil sie ihm so große Freude zuteil werden ließen.
Als Tigellinus dieses grausame Schauspiel sah, wurde er erst recht in seiner Meinung bestärkt, daß Kephas, da er offenbar nicht einmal körperlichen Schmerz fühlte, ein fürchtenswerter Zauberer sei, entsetzlicher noch als Apollonius von Tyana. Er befahl den Soldaten brüllend, die Geißeln wegzuwerfen und Kephas hinauszutragen.
Sie scheuten zwar davor zurück, ihn mit Händen zu berühren, aber ihre Soldatenehre stand auf dem Spiel. Durch das Gelächter und die Spottrufe ihrer Kameraden aufgehetzt, ergriffen sie ihn laut fluchend und hoben ihn wirklich vom Boden auf, obwohl er sich mit seinen gewaltigen Kräften zur Wehr setzte, wobei er jedoch darauf bedacht war, die Soldaten nicht zu schlagen oder anderswie zu verletzen.
Es gelang ihnen, ihn durch die Arkade auf die Marmortreppe hinauszutragen. Dort riß er sich aus ihren Fäusten los und versprach, freiwillig durch das Tor zu gehen, wenn sie ihn auf dem Wege geißelten. Sie ließen ihn gern frei, denn ihre Arme waren schon erlahmt, und in ihren Geißelhieben war keine rechte Kraft mehr.
Die gefangenen Christen umringten Kephas, ohne daß sie jemand hinderte, riefen jubelnd seinen Namen und fielen zu beiden Seiten seines Weges auf die Knie nieder, um ihm ihre Verehrung zu zeigen. Er sprach ihnen Mut zu, hob die Arme, um sie zu segnen, lächelte und rief immer wieder Christi Namen. Die Gefangenen schöpften fromme Zuversicht und neuen Mut, als sie sahen, wie der blutüberströmte Kephas mit Geißelhieben aus dem Lager getrieben wurde, und sie mißtrauten einander nicht mehr.
Kephas war fest entschlossen, vor dem Tor zu bleiben und zu warten, ohne zu essen und zu trinken, aber Pudens überredete ihn zuletzt doch mit guten Worten und übergab ihn seinen Begleitern, damit sie ihn rasch und in aller Heimlichkeit in sein Haus führten. Er stellte ihm dazu seine eigene Sänfte zur Verfügung, obwohl Kephas, der sich vor Erschütterung und nach dem Blutverlust kaum auf den Beinen zu halten vermochte, lieber zu Fuß gegangen wäre. Pudens selbst kehrte noch einmal zurück, um mit Tigellinus auf vernünftige römische Art zu verhandeln.
Als Tigellinus sah, wie die Christen noch immer laut rufend und mit frohen Mienen in den Hof des Prätoriums drängten, gewann er die Fassung zurück, befahl, sie in die Einzäunung des Exerzierfeldes zurückzutreiben, und forderte einige der nächststehenden auf, das Blut vom Boden und von den Wänden seines Verhörraums zu wischen.
Die Christen sahen einander ratlos an. Sie hatten weder Bürsten noch Wassereimer. Tigellinus lachte und rief: »Meinetwegen könnt ihr das Blut aufschlecken!« Da ließen sie sich auf die Knie nieder und trockneten jeden Tropfen behutsam mit ihren Kleidern und Halstüchern auf, da das Blut nach ihrer Meinung für ihren Gott vergossen worden war und sie an die Leiden Christi erinnerte.
Als vernünftiger Mann versuchte Pudens nun zu retten, was noch zu retten war, und erinnerte Tigellinus kühn an sein Versprechen, daß unter den Gefangenen hundert ausgewählt werden dürften. Tigellinus, der sich seiner hohen Geburt wegen mit ihm gutstellen wollte, erwiderte: »Nimm dir meinethalben zweihundert von denen, die leugnen, sich an der Brandstiftung beteiligt zu haben.«
Pudens begab sich eilig auf das Exerzierfeld hinaus, bevor Tigellinus seine Zusage, die er aus reiner Erleichterung gegeben hatte, bereuen konnte, aber der Präfekt besann sich doch noch zur rechten Zeit auf seinen eigenen Vorteil und rief ihm nach: »Du zahlst mir aber für jeden hundert Sesterze Lösegeld in meine Börse!«
Er wußte, daß Pudens nicht reich war, sondern nur mit knapper Not die Einkünfte zusammenbrachte, die er als Senator unbedingt nachweisen mußte. Kaiser Claudius hatte seinerzeit einmal den erforderlichen Betrag aus seiner eigenen Tasche erlegt, damit Pudens nicht seiner Armut wegen aus den Reihen der Senatoren ausscheiden mußte. Tigellinus sah daher ein, daß er kein höheres Lösegeld von ihm verlangen durfte.
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