»Gute Nachricht, Rambo. Weiß es Mr. Jones?«
»Er war da, mit mir, um zu sehen, Sir.«
»Ich möchte, daß du und Mr. Jones alle Leute, die es wissen müssen, informieren.«
»Jawohl, Sir.«
Cooper öffnete die Tür und sagte dem großen, grauhaarigen schwarzen Mann, der eben heraustrat, guten Tag. Jeder in der Familie nannte die Neger einfach Tillets Leute; Leute war ein herkömmlicher Begriff, der irgendwie die Wahrheit verschleiern sollte. Cooper fiel es etwas weniger schwer, in seinem Denken ehrlich zu sein und die Schwarzen als das zu bezeichnen, was sie waren: Sklaven.
»Ich hatte schon geglaubt, die Yankees hätten dich entführt«, sagte Tillet Main aus einer Wolke von Pfeifentabakrauch heraus, die über seinem Schreibtisch hing. Er verzog die Mundwinkel; wahrscheinlich würde das die ganze Zuneigung sein, die er an diesem Morgen zeigte, vermutete Cooper.
»Ich habe mir einen Tag freigenommen, um Orry zu besuchen. Es geht ihm gut.«
»Ich erwarte, daß es ihm gutgeht. Ich bin jedoch mehr daran interessiert zu erfahren, was du herausgefunden hast.«
Cooper machte es sich in einem alten Schaukelstuhl, der neben dem aktenbeladenen Schreibtisch seines Vaters stand, bequem. Tillet führte seine Buchhaltung selbst und überprüfte jede Rechnung, die sich auf die Bewirtschaftung von Mont Royal bezog. Wie andere Pflanzer aus dem Flachland betrachtete er sein Land als ein Freigut, aber er war ein Freiherr, der sich persönlich um jeden Pfennig kümmerte.
»Wie sich herausstellte, war mein Verdacht begründet«, sagte Cooper. »Es gibt eine wissenschaftliche Erklärung dafür, weshalb unsere Stangen und Schwungräder so oft brechen. Wenn beim Gußeisenverfahren nicht genügend Kohle oxidiert – Kohle und noch einige andere Elemente – dann ist das Eisen nicht hart genug für Maschinenteile, die stark belastet werden. Ich muß das nun diesem Idioten in Columbia klarmachen. Sollte es mir nicht gelingen, dann können wir vielleicht Teile aus einer Gießerei in Maryland oder sogar in Pennsyl…«
»Es wäre mir lieber, wenn wir das Geschäft innerhalb des Staates belassen könnten«, unterbrach ihn Tillet. »Es ist einfacher, Druck auf Freunde als auf Fremde auszuüben.«
»Na gut«, seufzte Cooper. Es war wieder einmal ein väterlicher Befehl an ihn ergangen. Jede Woche erhielt er Dutzende davon. »Aber ich habe nun Freunde in Pennsylvania.« Tillet überhörte die Bemerkung.
Das Oberhaupt der Main-Familie war achtundvierzig Jahre alt. Der Kranz Haare um seinen sonst kahlen Kopf herum war bereits weiß. Cooper hatte Tillets Statur und seine dunklen Augen geerbt. Und doch gab es einen klaren Unterschied zwischen Vater und Sohn. Coopers Blick war weich, nachdenklich, manchmal von bitterem Humor geprägt. Tillets Blick war selten freundlich oder fröhlich, sondern eher direkt, starr und manchmal stechend. Tillet Main, der für das Verhalten und das Wohlergehen von Dutzenden von weißen wie auch schwarzen Menschen verantwortlich war, hatte längst gelernt, nicht mehr schüchtern zu sein.
Die Hälfte der Kinder, die er gezeugt hatte, waren nicht älter als vier Jahre geworden. Coopers Mutter sagte, das sei der Grund, weshalb Tillet so selten lächelte. Doch der älteste Sohn nahm an, daß es noch andere Gründe dafür gab. Tillets Position und sein Erbe verleiteten ihn zu einer Art natürlicher Arroganz. Gleichzeitig litt er jedoch unter zunehmenden Minderwertigkeitsgefühlen, die er weder unter Kontrolle halten noch bekämpfen konnte. Eine Krankheit, die Cooper in letzter Zeit bei vielen Südstaatlern auffiel. Seine Reise hatte ihm erneut bestätigt, daß dies seinen guten Grund hatte.
Tillet betrachtete seinen Sohn. »Du scheinst dich nicht gerade zu freuen, wieder zu Hause zu sein.«
»O doch«, sagte Cooper, und er sagte die Wahrheit. »Aber ich bin seit meinem letzten Jahr in Yale nicht mehr im Norden gewesen. Was ich dort gesehen habe, hat mich gründlich deprimiert.«
»Was hast du denn gesehen?« Tillet war plötzlich sehr aufmerksam geworden. Cooper wußte, daß er sich jetzt hätte zurückhalten müssen, aber er weigerte sich hartnäckig.
»Fabriken, Vater, riesige, schmutzige Fabriken, die Lärm machen und den Himmel verpesten wie die Öfen von Beelzebub. Der Norden entwickelt sich in einem erschreckenden Tempo, die Maschinen haben die Führung übernommen. Und was die Leute betrifft – mein Gott, ich bin nie so vielen Menschen begegnet. Im Vergleich dazu leben wir hier in der Wildnis.«
Tillet zündete seine Pfeife wieder an und paffte gedankenvoll. »Du glaubst also, Quantität sei besser als Qualität?«
»Nein, aber – «
»Wir wollen nicht von einer Menge nichtsnutziger Fremder überfahren werden.«
Da war er wieder, dieser dumme, halsstarrige Stolz. Cooper schnappte zurück: »War denn Charles Main etwas anderes als ein nichtsnutziger Fremder?«
»Er war ein Herzog, ein Gentleman und einer der ersten Hugenottensiedler.«
»Sehr schön, aber die Verehrung der Vergangenheit baut uns keine Fabriken und hilft unserer Wirtschaft auch nicht auf die Beine. Dies ist das Zeitalter der Maschine, und wir weigern uns, das anzuerkennen. Wir klammern uns an die Landwirtschaft und an die Vergangenheit und fallen mehr und mehr zurück. Einst hat der Süden dieses Land praktisch regiert. Aber jetzt nicht mehr. Jedes Jahr verlieren wir auf nationaler Ebene an Ansehen und Einfluß. Und mit gutem Grund: Wir gehen nicht mit der Zeit.«
Er hielt inne, kurz bevor er das übliche Argument vorbringen wollte, nämlich, daß die Wohlfahrt des Südens genauso abhängig vom System der Sklaverei geworden war wie die Sklaven von ihren Besitzern. Aber Tillet war bereits in Wut geraten. Der alte Mann schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Halt deinen Mund! Die Südstaatler reden nicht gegen ihre Heimat. Zumindest die loyalen nicht. Es gibt genügend Yankees, die so was tun.«
Der Sohn fühlte sich eingezwängt zwischen seiner eigenen Überzeugung und seiner Unfähigkeit, Tillet zu einer Meinungsänderung zu bewegen. Sie hatten bereits früher ähnliche Auseinandersetzungen gehabt, aber die Diskussion war noch nie so hitzig gewesen wie diesmal. Cooper brüllte: »Wenn du bloß nicht so verdammt halsstarrig wärst wie alle andern Freiherrn in diesem umnachteten – «
Ein Schrei von draußen unterbrach den Streit. Vater und Sohn rannten zur Tür.
Der Schrei kam von einem der beiden kleinen Mädchen, die Cooper auf seinem Weg ins Büro gesehen hatte. Ashton Main und ihre Schwester Brett hatten eine halbe Stunde vor Ankunft des Schiffs ihre Leseunterrichtsstunde beendet. Ihr Hauslehrer, ein Deutscher aus Charleston, Herr Nagel, hatte ein Vormittagsnickerchen gemacht; er freute sich über die Wißbegier des jüngeren Mädchens, ärgerte sich jedoch über die Unverschämtheit der Älteren, die alles Intellektuelle langweilig fand.
Beide waren unmißverständlich Mains, und doch waren sie sehr verschieden. Nur die eine fiel Besuchern auf – Ashton; sie war fast acht und beinahe schon schön. Sie hatte viel dunkleres Haar, als es in der Familie üblich war. Je nach Licht sah es schwarz aus. Wenn sie wütend war, glichen ihre Augen genau denjenigen ihres Vaters.
Brett war zwei Jahre jünger, nicht häßlich, aber weniger perfekt als ihre Schwester. Sie würde hochgewachsen und schlank werden wie Tillet und ihre Brüder; sie und Ashton waren beinahe schon gleich groß. Es war ein Erbe, das sich als Nachteil erweisen würde, wenn es darum ging, Verehrer zu finden, wie Ashton oft betonte.
Nach ihrem Unterricht hatten die Mädchen einen Spaziergang am Flußufer gemacht. Brett hatte auf einem Ast im Gehölz, hinter dem letzten Feld, auf dem sich die grünen Keimlinge der Märzsaat stolz erhoben, ein leeres Vogelnest mit einem kleinen, blassen Ei gefunden.
»Ashton, komm, sieh dir das an!« Ashton kam leichtfüßig angesprungen, fast etwas stolz. Jung wie sie war, waren ihr ihre körperlichen Vorzüge im Vergleich zu denjenigen ihrer Schwester wohl bewußt. Sie zeigte sich überlegen, als sie auf das Ei blickte.
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