„Hast du ein Messer, zum Abschuppen?"
„Ein Barsch wird gekocht, wie man ihn aus dem Wasser zieht. Hole etwas Holz." Shoka war ein As.
Pawlik suchte trockenes Reisig zusammen. Shoka legte die Stücke kreuz und quer übereinander. Er zündete den Haufen an. In der Sonne bemerkte man die Flammen nicht. Ehe es sich die beiden versahen, war alles niedergebrannt.
„Diese dünnen Dinger." Shoka stöhnte unzufrieden. „Alles muß man selber machen."
Er ging nach Holz. Pawlik kroch dichter ans Feuer heran und blies aus Leibeskräften in die Glut. Er hatte den sehnlichen Wunsch, Shoka bei seiner Rückkehr mit einer gargekochten Fischsuppe zu überraschen. Am Rand des Topfes begann es zu summen, aber das Wasser blieb ruhig.
Shoka brachte einen Armvoll trockene Zweige angeschleppt, warf sie neben der Feuerstelle nieder und sagte ungehalten: „Am Weg ist noch mehr. Beeil dich."
Von Schuldgefühl getrieben, rannte Pawlik los, gehorsam, fragte nicht einmal, wo das Holz lag.
„Den nicht", meinte Shoka trocken, als Pawlik einen Fichtenast herbeischleifte. Pawlik glühte vor Anstrengung.
Er wollte kehrtmachen, aber Shoka winkte ab. „Bei uns herrscht Ordnung", sagte er. „Laß es kochen. Wir gehen baden."
Sie zogen sich aus und sprangen mit Anlauf ins Wasser.
„Hurra!" jauchzte Shoka, tauchte und erwischte Pawlik an einem Bein.
Pawlik atmete ein, tauchte gleichfalls unter, bekam Shokas Kopf zu packen. Er zog ihn an sich. So stießen sie zusammen, unter Wasser, Stirn gegen Stirn.
„Burrrl", sagte Shoka. „Burrrl", antwortete Pawlik.
Beide sahen die Blasen, die silbrig schimmernd an die Oberfläche stiegen. Sie tauchten gemeinsam auf und wollten sich ausschütten vor Lachen.
Als sie genug getobt hatten, schwamm Pawlik ans Ufer, sank erschöpft ins Gras.
Shoka plumpste daneben. Nach einer Weüe rappelte er sich hoch und versuchte, auf einem Bein hüpfend, in die Hose zu kommen. Als das Kunststück vollbracht war, lief er ans Feuer, starrte verdutzt in die Flammen, nahm schließlich einen Zweig, spießte den Topf an einem Henkel auf und schleuderte ihn beiseite.
„Komm her, rasch!" rief er.
Pawlik ahnte nichts Gutes. Dann sah er, was geschehen war. An Stelle des weißen Topfes lag ein völlig verrußtes Gefäß im Gras. Das Wasser war verdampft, die Emaille gesprungen und abgeblättert. Auf dem Boden klebte ein verkohltes Etwas mit Barschkopf. Der Topf knisterte und knackte.
„In den Fluß", empfahl Shoka. Mit einem Stock schleppte er ihn ans Ufer. Im Wasser platzte die letzte Emaille ab. „Ist das schlimm für dich?" fragte Shoka. Pawlik nickte.
„Sag einfach, der Topf ist gestohlen worden", schlug Shoka vor. „Heute morgen habe ich ein paar zweifelhafte Gestalten gesehen."
„Wirklich?" fragte Pawlik mit einem Klang von Hoffnung in der Stimme.
„Ehrenwort."
Ein Lächeln stahl sich über Pawliks Gesicht. Shoka war doch ein richtiger Freund, trotz allem. Mutig und klug.
Mit dem gewesenen Topf spielten sie auf der Wiese Fußball, bis er in den Fluß fiel.
,,Jetzt hat die liebe Seele Ruh", stellte Shoka befriedigt fest.
„Aber der Deckel liegt noch zu Hause in der Küche", wandte Pawlik ein.
Sie lachten. Von Müdigkeit übermannt, sanken sie wieder ins Gras. Am Himmel standen unbewegliche Wolken.
Aus der Ferne klang Motorengeräusch herüber. „Ein Hubschrauber", sagte Shoka. „Hat bestimmt gelöscht. Es wird gebrannt haben."
„Warum?"
„Bei dieser Trockenheit kein Wunder. Einen Waldbrand zu löschen ist bestimmt nicht einfach."
„Ich hätte Lust dazu", sagte Pawlik träge.
„Ich auch. Wie es heißt, kommen die Hubschrauber bald in den Handel. Dann können wir uns einen kaufen, einen mit Tretmotor und chemischem Benzin. Briefträger und Polizisten kriegen ihn kostenlos geliefert", murmelte Pawlik.
Sie schliefen lange und fest. Im Schlaf hörte Pawlik den Hubschrauber zurückkehren. Er kreiste über ihnen und ruinorte immer lauter, konnte einfach nicht davonfliegen. Dann begann er aus Bordkanonen zu schießen, und Pawlik wachte auf.
Eine riesige graue Wolke mit golden schimmerndem Rand zog über die Wiese. Scharfe Donnerschläge erschütterten die Erde. Im Wald ächzten und stöhnten die von einem heftigen Windstoß zu Boden gedrückten Bäume.
Auch Shoka war aufgewacht und hochgesprungen. Die beiden nahmen ihre Angeln. Sie rannten unter eine hohe Fichte. Von hier aus sahen sie das reglose Gras, das Gesträuch, alles wie erstarrt. Die Stille war bedrückend, unheilverkündend. Nach einer Minute begann es in der Ferne zu lärmen. Ein dumpfes Getöse, das schnell näher kam. Dichte Schleier legten sich über die Wiese. Es regnete in Strömen. Am anderen Ufer der Orlinka leuchtete der Steilhang in samtenem Rot, goldene Feuerschlangen zuckten zur Erde.
„Ungemütlich", flüsterte Pawlik.
Die Fichte gewährte ihnen nicht lange Schutz gegen den Regen. Dicke, kalte Tropfen fielen in den Nacken.
Shoka meinte: „Komm, wir rennen nach Hause. Naß sind wir sowieso."
Pawlik machte einen Buckel. „Ja. Dann werden wir wenigstens warm."
Sie rannten aus dem Wald aufs Feld, waren in Sekundenschnelle bis auf die Haut durchnäßt. Angenehm, dachte Pawlik, wie ein warmes Bad.
Ein braunes Rinnsal schäumte durch den Graben am Eisenbahndamm. Shoka lief runter und schlurfte gegen die Strömung.
„Guck mal, ich wate durch einen Fluß", rief er.
Sogleich war Pawlik hinter ihm. In dem Graben gab es Späne und kleine, spitze Steine, die sich in die Fußsohlen bohrten. Was tat's? Der blaue Streifen, der in der Ferne am Himmel leuchtete, der den Rücken peitschende Regen, das trübe, rauschende Wasser — alles war so herrlich, daß Pawlik nur einen Wunsch hatte: etwas ganz Besonderes zu unternehmen.
„Shoka!" Shoka drehte sich um.
Pawlik warf beide Beine nach vorn. Er saß nun mitten im Graben. Um noch lächerlicher zu wirken, kniff er die Augen zu und verzog den Mund. Seine ausgestreckten Hände plantschten im Wasser.
Shoka lachte kurz auf. Dann lief er weiter. Pawlik hinterher.
Er sang.
„Regen, Regen allerwegen,
dieser Regen ist ein Segen,
dieser Segen ist ein Regen,
Regen, Segen allerwegen."
Mit diesem Lied auf den Lippen marschierte er weiter, schlenkerte rhythmisch die Arme. Das Wasser spritzte.
Plötzlich hörte der Regen auf, als hätte jemand oben einen Hahn zugedreht. Der Stadtrand war erreicht. Am anderen Ende der Straße wurde die Sonnenscheibe sichtbar. Sie sank dem Horizont entgegen.
„Neun Uhr", sagte Shoka, „ganz schön lange unterwegs gewesen."
Pawlik blinzelte gegen den verschwindenden Rand der Sonne.
„Halb zehn", meinte er aufs Geratewohl.
Auf der Treppe des Kaufladens saß der dicke Urlauber mit dem Rucksack, völlig durchnäßt. Er bewirtete den Schäfer mit Bier und erkundigte sich geflissentlich nach den Stellen, wo man am günstigsten angeln konnte. Aber auch der Schäfer wußte keinen Rat. Pawlik dachte: Wenn ich eine solche Stelle finde, führe ich den Onkel hin und verlange nicht einmal einen Haken dafür.
Sie gingen um die Kolchosherde herum.
Langsam trotteten die Kühe weiter. Pawlik trat dicht an eine heran und patschte sie in die feuchte, dampfende Seite. Früher hätte er so etwas nie getan. Heute fürchtete er sich vor nichts.
Es war ein erstaunlicher, ein glücklicher Tag.
Kurz vor Shokas Haus trafen sie auf Witka.
„Na, du bist mir einer", schimpfte Witka, „den ganzen Tag habe ich auf dich gewartet."
„Ist ja nicht wahr", entgegnete Shoka, „ich habe gewartet."
Das brachte Witka auf. „Nein", schrie er, „ich auf dich."
„Er hat gewartet, das stimmt", mischte sich Pawlik ein.
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