Ihr kennt nur die Schönheit der Form – das hier ist die Schönheit des Formlosen. Alle Schönheit, die ihr kennt, ist Schönheit des Körperlichen – das hier ist die Schönheit der Seele. Ihr kennt nur die Schönheit der Außenseite – dies ist die Schönheit des Innern. Diese Schönheit ist ewig. Und wenn du sie erst einmal mit einem Menschen erlebt hast, wird sie nach und nach auch mit Dingen möglich. Du schaust ohne jedes Urteil auf eine Blume, und plötzlich liegt das Herz der Blume offen vor dir – wie eine Einladung. Wenn du dich nicht mit Werturteilen dazwischendrängst, wird alles um dich her zur Einladung.
Wenn du urteilst, verschließt sich auch die Blume, denn das bloße Urteilen ist feindselig. Wer urteilt, ist ein Kritiker, kein Liebender. Werturteile kommen aus der Logik, nicht aus der Liebe. Jedes Urteilen bleibt an der Oberfläche und scheut die Tiefe. Die Blume verschließt sich einfach. Und wenn ich sage, sie verschließt sich einfach, dann ist das keine Metapher – es verhält sich genau so, wie ich es sage.
Du gehst zu einem Baum und berührst ihn: wenn du dabei urteilst, öffnet sich dir der Baum nicht. Wenn du ihn aber ohne zu urteilen berührst, einfach nur aus dem Gefühl und nicht aus dem Verstand heraus, wenn du ihn umarmst und dich neben ihn setzt wie zu einem Freund, dann wird aus dem gewöhnlichsten Baum plötzlich der Bodhi-Baum, der Baum, unter dem Buddha erleuchtet wurde. Eine unendliche Liebe strömt dir aus ihm entgegen. Er hüllt dich darin ein. Er wird dir viele Geheimnisse verraten. Selbst einem Felsen kannst du so bis ins Herz vordringen. Wenn ein Buddha einen Fels berührt, ist er kein Fels mehr – jetzt wird er lebendig, jetzt schlägt ein Herz in ihm. Wenn du dagegen einen Menschen berührst, ist er ein Felsblock, kalt und tot. Deine Berührung tötet alles, denn sie ist von Urteilen vergiftet, sie ist ein Feind, kein Freund.
Wenn das schon bei gewöhnlichen Dingen so ist, wie ist es dann erst auf höheren Ebenen des Seins und des Bewusstseins? Urteile nicht! Millionen haben Buddha verfehlt, Millionen haben Jesus verfehlt, Millionen haben Zarathustra verfehlt, nur weil sie geurteilt haben. Geht nicht in dieselbe dumme Falle. Wann immer du einem Menschen nahe sein kannst, dessen Bewusstsein auch nur ein wenig höher ist als deines, dann sei offen. Dann kann dir sehr geholfen werden. Wenn du schon mit fix und fertigen Urteilen ankommst, hast du von vornherein verloren. Wirf deinen Verstand über Bord.
Und jetzt zu dieser Geschichte.
Dhun-Nun war ein ägyptischer Sufi-Mystiker, einer der größten, die die Welt je gesehen hat. Er konnte tief blicken, tief in die Labyrinthe der menschlichen Dummheit hinein, aber er konnte auch aus ihnen heraushelfen. Nur – und das ist typisch für alle Sufis – er stellt lieber eine Situation her, denn er weiß sehr wohl, wie leicht man intellektuell alles verstehen kann, ohne dass es im geringsten weiterhilft. Intellektuell magst du leicht zu überzeugen sein, aber diese Überzeugung wird dich nicht umwandeln. Stattdessen stellen die Sufis also eine Situation her, und durch diese Situation machen sie dir etwas klar. Sie sagen nichts – sie zeigen nur.
Dhun-Nun war es einst ebenso ergangen. Es wird erzählt, dass Dhun-Nun zu der Zeit, als er noch kein Meister und selbst ein Suchender war, einmal in ein Dorf kam. Er hatte eine lange Reise durch die Wüste hinter sich – er war hungrig und müde, durstig und ohne Bleibe – und sah auf dem Dach eines Hauses eine Frau. Sie musste dort oben gearbeitet haben; es muss kurz vor der Regenzeit gewesen sein, und so hatte sie auf dem Dach zu tun. Er kam näher. Als er das Haus erreicht hatte, fing die Frau auf dem Dach zu lachen an.
Dhun-Nun verstand nicht, was das zu bedeuten hatte. „Was ist?“, fragte er, „warum lachst du? Warum begrüßt du mich mit einem so wahnsinnigen Gelächter?“
Die Frau antwortete: „Als ich dich ins Dorf kommen sah, da dachte ich, ‚da kommt ein Sufi‘, denn ich konnte nur dein Gewand erkennen, nicht dich. Dann, als du näher kamst, sah ich, dass du keiner bist, jedenfalls kein Meister, sondern nur ein Jünger. Aber das war auch nur der erste Eindruck! Ich hatte nur dein Gesicht gesehen, aber noch nicht deine Augen. Und als ich dir schließlich in die Augen sehen konnte, erkannte ich, dass du nicht einmal ein Jünger bist, dass du noch nicht einmal auf dem Weg bist. Und jetzt, wie du da stehst, sehe ich, dass du noch nicht einmal nach dem Weg suchst – du hast noch nicht einmal davon gehört! Und da musste ich lachen. Du siehst wie ein Mystiker aus, aber dein Gesicht passt nicht zu deinem Gewand, zu deiner Sufi-Kutte.“
Das Wort Sufi bedeutet ursprünglich ein bestimmtes Gewand. Sufi bedeutet Wolle, und ein Sufi ist einer, der das „wollene Hemd“ anzieht, die wollene Kutte. In der Wüste zu leben, ist schon hart genug, aber die Sufis tragen dazu noch wollene Kleidung! Und sie haben immer in Wüsten gelebt, in den heißesten Gegenden der Erde. Warum? Weil sie sagen, dass dir keine Hitze etwas ausmacht, wenn du innen kühl bist. Wenn du innen kühl bist, kann dir nichts etwas anhaben. An der Außenseite Hitze; im innersten Kern Kühle.
Es ist also eine Methode, ein Mittel, um dich von der Außenzone nach innen zu bringen. Wenn der Körper heiß ist, brennend heiß, besinnst du dich auf deine innere Mitte. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig, denn die Oberfläche des Körpers brennt wie Feuer. Was tut man, wenn man in der Mittagsglut eine Landstrasse entlang geht? Man sucht Schatten, einen Baum, unter den man sich hinsetzen kann um auszuruhen. Sufis haben die Hitze als Hilfsmittel genutzt. Was soll man machen, wenn man ständig schweißgebadet unter einer dicken Wollkutte herumlaufen muss? Was macht man in einer Wüste? Man muss sich auf einen inneren Punkt besinnen, wohin die Hitze niemals vordringen kann. Man sucht Schatten.
Die Frau sagte: „Von außen siehst du wie ein Sufi, wie ein Meister aus, aber als ich dein Gesicht sah, passte es nicht zu deinem Gewand. Dein Gesicht sagt etwas ganz anderes. Und deine Augen sagen noch etwas anderes als das Gesicht; sie stimmen noch nicht einmal mit dem Gesicht überein. Und als ich dich dann in deiner Ganzheit sah, erkannte ich, dass du überhaupt kein Suchender bist.“
Es heißt, dass Dhun-Nun sein Gewand fortwarf und in die Wüste zurückging. Jahrelang hörte man nichts mehr von ihm und keiner wusste, was ihm zugestoßen war. Zwanzig Jahre lang wusste niemand, wo er war und was er machte. Zwanzig Jahre später… eine plötzliche Explosion. Dhun-Nun explodierte über ganz Ägypten. Tausende von Suchenden aus allen Sufi-Ländern machten sich auf die Reise zu ihm. Noch zu Lebzeiten wurde Dhun-Nun zu einem zweiten Mekka; die Leute kamen zu ihm geströmt, statt nach Mekka zu pilgern. Oft wurde er gefragt: „Was geschah in jenen zwanzig Jahren, nach der Begegnung mit dieser Frau? Was hast du getan? Welche Praktiken hast du benutzt?“ Und darauf antwortete er immer: „Nichts. Ich saß einfach nur in der Wüste – denn was ich auch getan hätte, es wäre ein Stück von mir gewesen, ein Teil meines Ichs. Alles, was ich tue, kann nicht größer sein als ich selber, es wird immer kleiner sein als ich. Und wenn was mit mir nicht stimmt, wie kann ich dann etwas Richtiges tun? Also hörte ich auf, überhaupt etwas zu tun. Zwanzig Jahre lang tat ich nichts, oder besser: Nichts war alles, was ich tat. Ich tat nichts, tat nichts als – nichts. Ich blieb einfach nur bei mir. Nichts war alles, was ich tat.“
Was geschieht, wenn man zwanzig Jahre lang nur dasitzt, ohne von sich aus etwas zu tun? Dann verschwindet die Horizontale, und es bleibt nur die Senkrechte – keine Handlung, reines Dasein. Aber dazu gehört Geduld; das ist die einzige Methode, die man dazu braucht.
Da ihr diese Geduld nicht habt, muss ich euch Methoden geben. Wenn ihr nicht in Eile wärt und sagen könntet: „Ich kann warten, ich kann Ewigkeiten warten“, dann wären Methoden nicht nötig. Dann sitzt du einfach nur da, und selbst wenn du die notwendigen Dinge verrichtest, bleibst du innerlich einer, der nichts tut. Natürlich gibt es noch vieles zu tun; zum Beispiel nimmst du ein Bad oder musst dich ums Essen kümmern, oder dein Bett herrichten. Aber bei all diesen Dingen, die du tust, bleibst du trotzdem untätig. Mehr als das ist nicht nötig.
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