Osho Osho - Der Sufi-Weg

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Osho spricht hier über das sprichwörtliche «Stirb und werde» der mystischen Erfahrung, das gerade bei den Sufis
eine zentrale Rolle spielt. Was es damit auf sich hat, erläutert er anhand von Sufi-Geschichten.
Islamische Mystiker haben mit dieser märchenhaften Erzählform ihre religiösen Wahrheiten unter das Volk gebracht, die im Widerspruch zu den «offiziellen» Lehren des Islam standen. Damals wie heute haben sie Gültigkeit.
"Ein Sufi ist ein Mensch des Herzens, ein Mensch der Liebe.
Er ist jemand, der sich keine Gedanken darüber macht, wo dieses Universum herkommt, der sich nicht darum kümmert,
wer es erschaffen hat, der nicht fragt, wo die Reise hingeht. Ja, ein Sufi stellt überhaupt keine Fragen – nein,
er fängt lieber gleich zu leben an."

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Dieses Buch ist eine gekürzte Version des unten genannten englischen Originaltitels. Alle Diskurse, die Osho vor einer internationalen Zuhörerschaft gehalten hat, sind als Originale publiziert worden und als Original-Audios erhältlich. Audios und das vollständige Text-Archiv finden sie unter der online- Bibliothek „Osho Library“ bei www.osho.com

Titel der englischen Originalausgabe:

Until You Die

Ebook-Ausgabe 2019

Umschlaggestaltung: Bunda S. Watermeier, www.watermeier.net

Kalligrafie: www.arabische-kalligrafie.ch

Übersetzung: Nirvano Spohr

Copyright © 2002 Osho International Foundation, Schweiz

www.osho.com

Copyright © 2007 Innenwelt Verlag GmbH, Köln

www.innenwelt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

OSHO ® is a registered trademark of Osho International Foundation, Switzerland, used under license

eISBN 978-3-947508-28-0

INHALT 1 Nicht bevor du stirbst 2 Urteile nicht 3 Geh ohne Krücken 4 - фото 1

INHALT

1. Nicht bevor du stirbst

2. Urteile nicht

3. Geh ohne Krücken

4. Direkt in die Freiheit

5. Wahrheit ist nie verschleiert

6. Das Außen ist nur ein Vorwand

7. Auch das geht vorüber

8. Wer hat dir den Weg gezeigt

9. Wörter können nicht viel sagen

Über Osho

1. KAPITEL

NICHT BEVOR DU STIRBST

In Bokhara lebte einst ein reicher und freigiebiger Mann.

Da er einen hohen Rang in der verborgenen Hierarchie einnahm,

war er als ‚Präsident der Welt‘ bekannt.

Jeden Tag verschenkte er an eine bestimmte Gruppe von

Leuten Gold – an die Kranken, die Witwen und so weiter.

Aber wer den Mund auftat, bekam nichts.

Nicht alle konnten den Mund halten.

Eines Tages waren die Advokaten an der Reihe,

ihren Anteil am Goldsegen einzuheimsen.

Einer von ihnen konnte sich nicht enthalten,

eine höchst umständliche Bittrede vorzutragen.

Er bekam nicht einen Heller.

Dabei ließ er es nun aber nicht bewenden.

Als am nächsten Tag die Invaliden ihre Unterstützung erhielten,

schmuggelte er sich als Krüppel getarnt unter sie.

Aber der ‚Präsident‘ erkannte ihn und gab ihm nichts.

Immer wieder versuchte er es von Neuem –

selbst als Frau verkleidet. Aber ohne Erfolg.

Schließlich wandte sich der Advokat an einen

Beerdigungsunternehmer und trug ihm auf,

ihn in ein Leichentuch einzuwickeln.

„Wenn dann der Präsident vorbeikommt, wird er mich für einen

Toten halten und vielleicht ein paar Münzen auf mich werfen,

für die Beerdigung. Dann bekommst du etwas von dem Geld ab.“

Und so kam es auch.

Ein Goldstück aus der Hand des Präsidenten fiel auf das

Leichentuch. Der Advokat griff sofort zu, aus Angst,

der Beerdigungsunternehmer könne ihm zuvorkommen.

Dann sagte er zu dem Wohltäter:

„Du hast mir dein Gold verweigert.

Schau, wie ich es mir dennoch geholt habe!“

„Du irrst“, erwiderte der Spender,

„du kannst nichts von mir bekommen,

bevor du nicht stirbst…“

Das ist die Bedeutung des geheimnisvollen Spruches:

„Der Mensch muss sterben, bevor er stirbt.“

Die Gabe erfolgt erst nach diesem ‚Tod‘, nicht vorher.

Und trotzdem kann ohne Hilfe dieser ‚Tod‘ nicht

geschehen.

Es gibt solche und solche Religionen, aber der Sufismus ist von allen Religionen das Herzstück, der innerste Kern, die eigentliche Seele. Der Sufismus gehört nicht zum Islam. Eher umgekehrt: der Islam gehört zum Sufismus. Den Sufismus gab es schon lange vor Mohammed, und es wird ihn noch geben, wenn Mohammed vergessen sein wird.

Die Islame kommen und gehen. Religionen bilden sich und lösen sich auf. Der Sufismus aber bleibt, er wird immer leben – weil er kein Dogma kennt. Er ist das Herz aller Religiosität.

Man kann ein Sufi sein, ohne je vom Sufismus gehört zu haben, solange du nur religiös bist. Krishna ist ein Sufi, Jesus ebenfalls. Mahavir ist ein Sufi, und Buddha auch. Dabei haben sie das Wort ‚Sufismus‘ nie gehört, sie hatten keine Ahnung, dass es so etwas gab.

Jede Religion ist nur so lange lebendig, als in ihr der Sufismus lebendig ist. Eine Religion stirbt, sobald sie den Geist, den Sufi-Geist, ausgehaucht hat. Jetzt bleibt nur noch der Leichnam zurück – mag er noch so schön hergerichtet sein mit Philosophien, Metaphysik, Dogmen und Doktrinen. Sobald eine Religion den Sufismus ausgehaucht hat, riecht sie nach Verwesung. Das war immer so. Und es geschieht auch jetzt fast überall auf der ganzen Welt. Wenn man nicht aufpasst, schleppt man sich noch lange mit einem toten Körper ab.

Aus dem Christentum ist der Sufismus heute verschwunden. Es ist eine tote Religion. Die Kirche hat sie umgebracht. Wenn die „Kirche“ überhand nimmt, muss der Sufismus den Körper verlassen. Er verträgt sich nicht mit Dogmen. Er verträgt sich nicht mit Theologie. Sie sind schlechte Weggenossen. Und mit Päpsten und Priestern hält er es überhaupt nicht aus. Sie sind sein absoluter Gegensatz! Der Sufismus hat keine Päpste und Priester nötig; er braucht keine Dogmen. Er hat nichts mit dem Kopf zu tun, sondern ist eine Sache des Herzens. Das Herz ist seine Kirche – keine organisierte Kirche, denn jede Organisation ist vom Verstand bestimmt. Und wenn erst einmal der Kopf das Regime übernimmt, dann muss das Herz ohne Widerrede die Stellung räumen. Das Haus ist für das Herz zu eng geworden. Es braucht den weiten, offenen Himmel. Alles andere ist ihm zu eng. Man kann das Herz nicht in Kirchen einsperren. Die Schöpfung ist die einzige Kirche, die es kennt. Nur unter freiem Himmel kann es schlagen. Nur in Freiheit kann es schlagen. Aber wird es in ein System eingezwängt, in eine organisierte Machtstruktur, ein Ritual, dann stirbt es… dann entschlüpft der „Sufi-Geist“ ganz einfach.

Jesus wurde vom Christentum ermordet. Die Juden haben es nicht geschafft. Sie haben ihn natürlich gekreuzigt, aber umsonst. Töten konnten sie ihn nicht. Er überlebte die Kreuzigung. Das ist die Bedeutung der Auferstehung. Nicht etwa, dass Jesus körperlich überlebte, sondern die Kreuzigung erwies sich als Fehlschlag. Die Juden konnten ihn nicht töten. Sie versuchten es, aber Jesus überlebte. Was den Juden nicht gelang, erledigten die Christen. Sie töteten ihn ohne Kreuzigung. Sie brachten ihn mit Gebeten um. Sie brachten ihn mit Dogmen um. Sie brachten ihn durch kirchliche Organisation um. Den Anhängern ist gelungen, was den Feinden nicht gelang. Den Aposteln gelingt, was den Feinden misslingt.

Das Christentum ist heute tot, weil es kein Herz für den Sufismus hat. Es hat vor dem Sufismus Angst. Alle dogmatischen Religionen haben vor ihm Angst, weil der Sufismus für die totale Freiheit steht – ohne Einschränkung, ohne Grenzen. Er hat mehr mit Liebe und weniger mit logischen Spitzfindigkeiten zu tun. Er hat mehr mit Poesie, und weniger mit Prosa zu tun. Er ist irrational.

Kein Wunder, dass jede rationale Theologie Angst vor ihm hat. Wenn man dem Irrationalen erstmal Tür und Tor öffnet, weiß niemand, wo das hinführen wird. Und vergesst nicht: Gott selber ist irrational, und das ist auch wunderschön so, sonst wäre Gott nämlich Philosophieprofessor an irgendeiner Universität, oder irgendwo Papst oder Oberpriester – aber nicht das Universum selber.

Der Sufismus ist schon manchen Tod gestorben, in manch einer Religion. Auch der Jainismus ist so eine tote Religion. Es gab eine Zeit, da lebte er in vollen Zügen und schenkte einem so bedeutenden Mystiker wie Mahavir das Leben. Dann aber plötzlich versiegte der Strom und ließ nur ein trockenes Flussbett zurück. Da fließt jetzt kein Wasser mehr, und die Ufer grünen nicht mehr. Der Jainismus ist zur Wüste geworden – öd und verlassen. Wie konnte es dazu kommen? Die Jainas waren zu intellektuell, zu mathematisch, zu logisch geworden. Sie konnten das Geheimnis, das Mahavir umgab, nicht auf sich beruhen lassen und schufen dogmatische Systeme aus Lehrsätzen und Beweisen. Dadurch wurden sie zu berechnend, zu clever, und töteten so den Geist.

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