Marie Grubbe war matt von der Wärme. Sie suchte, ihre heißen Wangen an den kleinen, betauten Fensterscheiben zu kühlen, und guckte gleichzeitig auf die Straße hinaus, wo eine dünne Schicht frisch gefallenen Schnees die Luft blendend hell machte. Sah sie dann wieder in die Stube hinein, wurde es da doppelt dunkel und drückend. Plötzlich trat Ulrik Christian so rasch zur Tür herein, daß Frau Rigitze zusammenfuhr. Er sah Marie nicht und setzte sich gleich drüben an den Kamin. Dann äußerte er ein paar entschuldigende Worte, daß es so lange her sei, seit er dagewesen war, sagte, daß er müde sei, setzte sich vornüber auf den Stuhl, die Hand unter der Wange, und schwieg still, Frau Rigitzens lebhafter Rede nur halbwegs lauschend.
Marie Grubbe war ganz bleich vor Erregung geworden, als sie ihn eintreten sah; sie schloß eine Weile die Augen, als schwindele es ihr, dann wurde sie glühendrot und hatte Mühe, Atem zu holen. Sie hatte ein Gefühl, als sinke der Fußboden unter ihr ein oder als schwebe das ganze Zimmer mit Stühlen, Tischen und Menschen durch die Luft hinab, und alles, was drinnen war, sah sie so wunderlich scharf und bestimmt, aber doch so unruhig; es war, als könne sie es nicht so recht mit dem Blick festhalten, und dann sah außerdem alles so neu und fremd aus. Indessen währte es nicht lange, bis dies vorüberging und sie wieder zu sich kam. Da war er also. Sie wünschte, sie wäre weit weg von hier oder bloß oben in ihrer Kammer, in ihrer friedlichen, kleinen Kammer; ihr war so bange; sie konnte merken, wie ihre Hände zitterten. Wenn er sie nur nicht sah!
Sie drückte sich lautlos tiefer in die Fensternische und richtete erst jetzt bestimmt den Blick auf den Gast ihrer Muhme.
So also sah er aus! Nicht viel viel größer? und seine Augen waren ja gar nicht funkelnd schwarz; blau waren sie, gute blaue, schwermütige Augen, das hatte sie sich gar nicht gedacht. Er war so blaß und sah so betrübt aus; – jetzt lächelte er, aber nicht wirklich fröhlich; seine Zähne waren so weiß, und wie sein Mund schön war, so fein und klein!
Je länger sie ihn ansah, desto schöner erschien er ihr, und sie fing an, sich darüber zu wundern, daß sie ihn sich größer und überhaupt anders gedacht hatte. Sie vergaß ganz ihre Furcht und dachte nur an all das Lob und Berühmen, das sie über ihn gehört hatte. Die ganze Zeit sah sie ihn an, und sie stellte sich ihn an der Spitze seiner Scharen vor, vorwärtsstürmend unter dem Jubel des Volkes, und alles wich, oder es wurde beiseite geschleudert, wie die Wellen beiseite geschleudert werden, wenn sie schäumend gegen die breite Brust eines Seglers anspringen. Die Kartaunen donnerten, Pallasche blitzten, und Kugeln pfiffen in dem gewitterdunklen Rauch, doch er sprengte vorwärts, keck und aufrecht, und an seinem Steigbügel schleifte der Sieg, wie in der Chronik stand, die sie gelesen hatte.
Voller Bewunderung und Begeisterung strahlte ihr Auge ihn an.
Bei einer plötzlichen Bewegung fing er den Blick. Er drehte den Kopf zur Seite, sah nieder und hatte Mühe, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken; dann erhob er sich und tat, als bemerke er erst jetzt Marie Grubbe.
Frau Rigitze sagte, es sei ihre kleine Bruderstochter, und Marie machte ihr Kompliment.
Ulrik Christian war überrascht, auch ein wenig enttäuscht, zu erfahren, daß die Augen, die ihn so angesehen hatten, die eines Kindes waren.
» Ma chère,« sagte er ein wenig spitz und sah auf ihre Arbeit nieder. »Sie ist die größeste Meisterin darin, geheim und still zu arbeiten, die ich jemals gekannt habe; man hat ja die ganze Zeit nicht das geringste von Ihren Klöppelstöcken gehört.«
»Ach!« sagte Marie, die ihn wohl verstand, »als ich den Generalleutnant sah,« und sie schob das schwere Klöppelkissen auf die Fensterbank, »da kam es mir in den Sinn, daß es jetzt eher Zeit sei, für Verbandzeug zu sorgen als für Haubenstaat.«
»Da bedünket mich doch, Hauben kleiden ebenso scharmant in Kriegszeiten wie sonst«, sagte er und sah sie an.
»Ja, aber wer hat Gedanken dafür in Zeiten wie die heurigen!«
»Viele,« sagte Ulrik Christian, der anfing sich an ihrem Ernst zu ergötzen, »zum Beispiel ich!«
»Ja, ich verstehe,« sagte Marie und sah ernsthaft zu ihm auf, »es ist ja nur ein Kind, mit dem Ihr redet.« Sie machte einen zeremoniellen Knicks und griff nach der Klöppelarbeit.
»Warte Sie ein wenig, Jungfräulein!«
»Ach nein, laßet mich Euch nicht länger inkommodieren.«
»Hör Sie jetzt,« sagte er und packte sie hart bei den Handgelenken und beugte sie über den Klöppeltisch zu sich hinüber, »Sie ist mir bei Gott eine schwierige Person, aber«, flüsterte er, »hat Sie mir einen Guten Tag geboten mit einem Blick wie der, mit dem Sie mich angesehen hat, so will ich mitnichten, daß Sie mich eine Handwendung später mit so einem kärglichen Lebewohl grüßet; das will ich mitnichten – so – küsse Sie mich nun!«
Marie drückte mit Tränen in den Augen ihre bebenden Lippen auf die seinen, er ließ sie los, und sie sank neben dem Tisch nieder, den Kopf auf den Armen ruhend.
Marie war ganz verwirrt. Sowohl an diesem Tage wie an dem folgenden hatte sie eine dumpfe Empfindung von Knechtschaft, daß sie nicht mehr frei sei. Es war ihr, als sei ihr ein Fuß auf den Nacken gesetzt, als sei sie in den Staub getreten und könne sich nicht wieder erheben. Aber es war kein bitteres Gefühl, es war kein Trotz in ihren Gedanken, kein Wunsch nach Rache war da. Eine wunderbare Ruhe war über ihr Gemüt gekommen, kein fliegender Schwarm bunter Träume und auch keine Sehnsucht mehr. Ulrik Christian gegenüber empfand sie nichts Bestimmtes, sie wußte nur, daß, wenn er sagte: komm, so mußte sie kommen, wenn er sagte: geh, so mußte sie sich entfernen. Sie verstand das nicht, aber so war es, es würde so bleiben, und anders konnte es niemals werden.
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