Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. »Lebet wohl, Ulrik Frederik; es ist bitter wie der Tod, daß wir scheiden müssen, aber nach vielen Jahren, wenn ich ein altes, verblühtes Mädchen bin oder eines alten Mannes ältliche Eheliebste, da werdet Ihr finden, daß Sofie Urne recht hatte. Gott Vater halte seine Hand über Euch. – Erinnert Ihr Euch in dem spanischen Romanbuch an die Stelle von dem indianischen schlingenden Kraut, das in seiner Jugend seine Stütze an einem Baum hat, aber fortfährt, sich um ihn zu winden, lange nachdem der Baum morsch und eingegangen ist, und ist zuletzt dasjenige, das den Baum hält, der nichts mehr stützen kann. Glaubet mir, Ulrik Frederik, also wird auch mein Gemüt gestützet und getragen werden von Eurer Liebe, lange nachdem sie verwelket und hingeschwunden ist.«
Sie sah ihm gerade in die Augen hinein und wandte sich, um zu gehen, aber Ulrik Frederik hielt ihre Hand fest.
»Willst du mich denn ganz und gar rasend machen! Muß ich dir denn sagen, daß jetzo, da ich weiß, daß du mich lieb hast, keine Macht des Lebens Trennung zwischen uns bringen kann? Ahnest du denn nicht, daß es töricht ist, davon zu reden, was du willst oder was ich will? Ist nicht mein Blut wie trunken von dir, bin ich meiner selbst jetzt mächtig? Ich bin besessen von dir, so daß du, und wenn du auch in dieser Stunde dein Gemüt von mir abwenden tätest, dennoch mein werden solltest, dir zum Trotz, mir zum Trotz; ich liebe dich, als ob ich haßte – – ich denke nicht an dein Glück, was rührt es mich, ob du in Glück oder Unglück kommst, wenn bloß ich mit bin in deiner Freude, wenn bloß ich mit bin in deinem Leide, wenn bloß ich...!«
Er riß sie mit einem Ruck an sich und preßte sie an seine Brust.
Langsam erhob sie ihr Antlitz zu ihm empor und sah ihn lange mit tränengefüllten Augen an, lächelte dann: »Wie du also willst, Ulrik Frederik«; und sie küßte ihn leidenschaftlich mehrere Male hintereinander.
Drei Wochen darauf ward das Verlöbnis mit viel Pracht gefeiert. Der König hatte willig seine Zustimmung gegeben, um doch einmal dem gar lustigen Junggesellenleben Ulrik Frederiks ein Ende zu machen.
Nach den Hauptausfällen am zweiten September und zwanzigsten Oktober war die Stadt voll von Ulrik Christian Gyldenlöves Ruhm. Oberst Satan, wie die Bürger ihn nannten. Sein Name war in aller Munde; es gab kein Kind in der Stadt, das nicht Bellarina, seinen Fuchs mit den weißen Socken, kannte; und wenn er vorüberritt, guckten die Schönjungfrauen der Stadt bewundernd der schlanken, hohen Gestalt nach in dem breitschößigen, blauen Trabantenrock mit den gewaltigen, weißen Aufschlägen, der roten Schärpe und dem spannenbreiten Degengehenk, und sie waren stolz, wenn ihr schönes Gesicht ihnen ein Nicken oder einen Blick von dem frechen Soldaten einbrachte. Ja, selbst die gesetzten Familienväter und ihre tollenhäubigen Matronen, die doch wußten, wie schlimm er war, und alle seine schönen Geschichten kannten, nickten einander vergnügt zu, wenn sie ihm begegnet waren, und vertieften sich in die schwierige Frage, wie es wohl der Stadt ergangen sein möchte, wenn er nicht gewesen wäre.
Daß die Soldaten und Wallmannschaften ihn vergötterten, war nun kein Wunder, denn er besaß ganz die volksgewinnenden Gaben seines Vaters, des Königs Christian. Allein auch in andern Beziehungen artete er ihm nach, er hatte sowohl seine Heftigkeit wie seine Unmäßigkeit geerbt, aber auch einen Teil seiner Begabung, seine Entschlossenheit und seinen Überblick. Er war sehr geradezu; ein mehrjähriger Aufenthalt an fremden Höfen hatte keinen Hofmann aus ihm gemacht, ja, er war nicht einmal sonderlich höflich; im täglichen Verkehr war er abstoßend wortkarg, und im Dienst tat er niemals den Mund auf, ohne zu fluchen und zu schwören wie der gemeinste Matrose.
Aber Soldat, das war er. Trotz seines jugendlichen Alters – er zählte nur achtundzwanzig Jahre – ordnete er die Verteidigung der Stadt und leitete die gefahrvollen, aber wichtigen Ausfälle mit einer so überlegenen Einsicht und einer so großen Reife der Pläne, daß die Sache wohl kaum bei irgendeinem andern von Frederiks des Dritten Männern in so guten Händen gewesen wäre.
Es war daher begreiflich, daß sein Name alle anderen verdunkelte und daß die Winkelpoeten in ihren versifizierten Berichten über die Ausfälle ihm zuriefen: »Du sieggekrönter Gyldenlöv, du Dänmarks Feind-Erretter,« oder ihn mit einem: »O, heil dir, heil du nordischer Mars, du tapferer David der Dänen,« begrüßten und ihm wünschten, daß sein Leben möge werden wie ein cornu capiae oder Füllhorn, voller Lob und Ehre, Gesundheit, Wohlstand und Glück; und es war äußerst natürlich, daß manche stille Abendandacht mit einem Gebet zu Gott endete, auch fernerhin Herrn Ulrik Christian zu erhalten; ja, es gab wohl einzelne fromme Gemüter, die zu dem Herrn seufzten, daß sein Fuß möge hinweggeleitet werden von den schlüpferigen Adelswegen der Sünde und sein Sinn von allem abgewendet bleibe, was böse sei, dem schimmernden Lichtkranz der Tugenden und der Wahrheit zu, auf daß derjenige, der in so vollem Maße die Ehre dieser Welt errungen habe, auch teilhaftig werden möge der einzigen wahren und rechten Ehre!
Marie Grubbe beschäftigte sich in Gedanken viel mit diesem nahen Anverwandten ihrer Muhme. Zufälligerweise war sie niemals mit ihm zusammen gewesen, weder bei Frau Rigitze noch anderswo; nur auf der Straße hatte sie ihn gesehen, einmal in der Dämmerung, als Lucie ihn ihr gezeigt hatte.
Alle sprachen von ihm; fast jeden Tag wurden neue, mutige Züge von ihm erzählt; sie hörte und las auch, daß er ein Held war, und das jubelnde Murmeln, das in jener Dämmerungsstunde, als er vorüberritt, durch die Volksmenge gegangen war, hatte einen unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht.
Der große Name, wie es der Name des Helden ist, hob ihn ganz aus den Reihen der gewöhnlichen Menschen heraus. Sie hatte sich Helden eigentlich niemals wie andere Menschen vorgestellt. König Alexander von Mazedonien, Holger Danske, Ritter Bayard und ihresgleichen, das waren Helden, große, feine, strahlende Gestalten, die mehr Muster waren und so was, als daß sie Menschen waren wie andere Leute. So wie sie, als sie noch klein war, niemals geglaubt hatte, daß jemand es dahin bringen könne, so zierlich zu schreiben wie die Vorschriften, nach denen man schrieb, so war es ihr auch niemals eingefallen, daß jemand so weit gelangen könne, ein Held zu werden. Helden waren etwas Vergangenes, etwas, das gewesen war. Daß man einem Helden begegnen könne, einem wirklichen Helden, ihm zu Pferde in der Store-Färgesträde begegnen könne, so wild hatte sie niemals geträumt. Das Leben sah plötzlich ganz anders aus, es gab etwas anderes auf der Welt als das Alltägliche; das Große, Schöne, buntfarbig Reiche, wovon in den Geschichtsbüchern und den Liedern stand, das konnte einem alles begegnen. Es gab also wirklich etwas, wonach man sich mit ganzer Seele sehnen konnte; alle diese Worte, von denen Menschen und Bücher voll waren, sie bedeuteten etwas, waren etwas; es war ein Sinn in ihren unklaren Träumen, in ihrem Sehnen, es war nichts, was sie allein empfand; erwachsene Leute glaubten daran. Das Leben war reich, strahlend reich. –
Noch ahnte sie es nur; sie war davon überzeugt, daß es so wahr sei, aber sie konnte nicht sehen und fühlen, daß es so war. Er allein war das Handgreifliche für sie, war ihr ein Pfand dafür, daß es so war. Deswegen drehten sich alle ihre Gedanken und Träume ewig und beständig um ihn, und manch liebes Mal stürzte sie ans Fenster, wenn sie unten auf der Straße Huftrab vernahm, und sie überredete oft die willige Lucie, wenn sie draußen waren, einen Umweg mit ihr nach dem Schloß zu machen, aber sie sahen ihn niemals.
Und dann geschah es an einem der allerletzten Tage im Oktober, am Spätnachmittag, daß sie in einer der Fenstervertiefungen in dem langen Zimmer, wo der Ofen stand, saß und klöppelte. Frau Rigitze saß am Kamin, sie hatte ein kleines Becken mit glühenden Kohlen bei sich und nahm von Zeit zu Zeit einige getrocknete Blumen und Zimmetrinde aus einer Büchse, die sie auf dem Schoße hielt, und legte sie auf die Kohlen. Die Luft in dem niedrigen Zimmer war heiß und erstickend und süß, und zwischen den breiten, dunkelgeblümten Gardinen kam nur sehr wenig Licht herein. Aus der anstoßenden Kammer hörte man einen Rocken schnurren, und dazwischen nickte Frau Rigitze ein wenig ein in ihrem gepolsterten Stuhl.
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