Da legte sich der Sturm, und es ward stiller, klingender Frost. Es wurden teure Zeiten für Reiche und Länder, Winterbuße folgte der Sommertorheit – das schwedische Heer ging über die dänischen Gewässer.
Dann kam der Friede. Dann kam der Lenz mit hellem Laub und hellem Wetter, aber die seeländischen Burschen ritten in diesem Jahr den Mai nicht ein; es wimmelte überall von schwedischen Soldaten; es war Friede, aber dennoch waren die Lasten des Krieges zu tragen, und der Friede sah nicht danach aus, als werde er lange leben.
Das tat er auch nicht.
Als das Maienlaub unter dem Brand der Mittsommersonne dunkel und hart geworden war, zog der Schwede gegen die Wälle Kopenhagens heran.
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Am zweiten Sonntag im August verbreitete sich während des Nachmittagsgottesdienstes plötzlich das Gerücht, daß der Schwede in Korsör gelandet sei.
Alsbald wimmelte es in allen Gassen. Die Leute gingen ruhig und gesetzt einher, aber sie redeten viel; sie redeten allesamt, und der Schall ihrer Stimmen und ihrer Fußtritte vereinigte sich zu einem starken, gemischten, summenden Klang, der niemals lauter ward, niemals schwächer, auch nicht aufhörte, sondern anhielt – mit einer wunderlich drückenden Einförmigkeit anhielt.
Das Gerücht drang mitten während der Predigt in die Kirchen. Mit hastigem, atemlosem Flüstern sprang es von der untersten Stuhlreihe zu einem, der in der zweiten saß, zu dreien in der dritten, vorüber an einem alleinsitzenden Greis in der vierten, zu denen in der fünften und weiter, ganz hinauf. Leute in der Mitte wandten sich zu denen hinter ihnen um und nickten bedeutungsvoll; ganz oben waren einzelne, die sich erhoben und spähend nach dem Ausgang hinsahen. – Nach einer Weile gab es auch kein Gesicht mehr, das zu dem Prediger hinaufsah; alle saßen gesenkten Hauptes, wie um die Gedanken über die Worte des Geistlichen zu sammeln, aber sie flüsterten einander zu, hielten wohl einmal inne, horchten einen Augenblick gespannt auf den Pfarrer, wie um zu mutmaßen, wieweit es noch bis zum Schlusse sei – dann flüsterten sie weiter. Das dumpfe Geräusch von der Menschenmasse draußen auf der Straße war deutlich zu hören, ward unerträglich zu hören; die Kirchgänger begannen mit geschäftiger Hast, die Gesangbücher heimlich in die Tasche zu stecken.
»Amen!«
Alle Gesichter sahen zu dem Prediger hinauf.
Während des allgemeinen Teils des Kirchengebetes dachten alle daran, ob der Pfarrer wohl etwas wisse. Dann wurde für das Königshaus gebetet, für die Räte des Reichs und den gemeinen Adel, für alle, die einer hohen Bestallung oder einem Amt vorzustehen hatten; und es waren viele, die Tränen in den Augen hatten; aber als der folgende Teil des Gebetes kam, begannen einige zu schluchzen, und leise, aber dennoch vernehmlich klang es von Hunderten von Lippen: »Gott wende ferner mildiglich von diesen Landen und Reichen Krieg und Blutvergießen, Pestilenz und jähen Tod, Hunger und Teurung, Sturm und Unwetter, Wassersnot und Feuersbrunst, auf daß wir auch für solch väterliche Gnade seinen heiligen Namen loben und preisen mögen.«
Ehe der Gesang noch zu Ende war, hatte sich die Kirche schon geleert, nur die Töne der Orgel sangen dadrinnen.
Am folgenden Tage hatten die Volksmassen, die wieder auf den Beinen waren, ein bestimmtes Ziel zum Nachgehen erhalten; denn die schwedische Flotte hatte in der Nacht vor Dragör Anker geworfen. Es herrschte an diesem Tage jedoch weniger Unruhe unter den Leuten, vermutlich weil es allgemein bekannt war, daß zwei von den Räten des Reiches abgereist waren, um mit dem Feind zu unterhandeln, und wie es hieß: mit so weitgehender Vollmacht, daß es zum Frieden führen müsse. Aber als die Räte am Dienstag zurückgekehrt waren, mit dem Bescheid, daß Friede nicht zu erlangen sei, erfolgte ein jäher und gewaltsamer Umschlag.
Das waren nicht länger Scharen gesetzter Bürger, die durch große und gefährliche Nachrichten rastlos geworden waren. Es war ein ganzer Mahlstrom seltsamer Gestalten, derengleichen nimmer innerhalb der Stadtwälle war gesehen worden und die gar nicht aussahen, als wohnten sie in diesen ruhigen, nüchternen Häusern mit ihren vielen Zeichen aller möglichen einfachen und alltäglichen Hantierungen. Diese Leidenschaftlichkeit in Flaschenjacken und Schoßröcken! Dieser Höllenlärm von diesen ernsten Lippen, und solch gewaltsame Gesten mit diesen Armen in diesen engen Rockärmeln! Keiner will allein sein, keiner will drinnen sein; da stehen sie mitten auf der Straße mit ihrer Angst und Verzweiflung, mit ihrem Jammer und ihren Tränen.
Seht den stattlichen alten Mann mit dem entblößten Haupt und den blutunterlaufenen Augen; er wendet sein aschfahles Gesicht der Mauer zu und hämmert mit den geballten Fäusten darauf los! Hört die Verwünschungen des dicken Schinders über die Reichsräte und diesen unseligen Krieg! Fühlt, wie das Blut in seinen jungen Wangen vor Haß erglüht gegen den Feind, der alle die Schrecknisse mit sich bringen wird, die er nun schon in seiner Phantasie durchlitten hat!
Wie sie brüllen vor Wut darüber, daß sie so ohnmächtig sind, wie sie glauben, und Gott im Himmel, welche Gebete, welche wahnsinnigen Gebete!
Die Wagen halten mitten auf der Straße still, Dienstboten stellen ihre Körbe und Eimer hin, in Beischläge und Torwege, und hier und dort kommen einzelne hastig aus den Häusern, mit ihren besten Kleidern angetan, rot im Gesicht vor Anstrengung, und sie sehen sich erstaunt um, sehen an sich selbst herab, fahren zwischen den Leuten umher und schwatzen eifrig, um die Aufmerksamkeit von ihrem geputzten Aussehen abzulenken.
Worauf sinnen sie? und woher kommen alle diese zerlumpten, betrunkenen Mannsleute? Es wimmelt von ihnen, sie schwenken und rufen, zanken und fallen, sie sitzen auf den Treppenstufen und sind krank, sie wollen sich ausschütten vor Lachen, jagen hinter den Frauenzimmern drein und wollen mit den Männern raufen.
Das war der erste Schrecken – der Schrecken des Instinkts. Nachmittags war er vorüber. Man war nach den Wällen gerufen worden, hatte mit Feiertagskräften gearbeitet, hatte unter seinem Spaten Gräben sich vertiefen und Brustwehren sich erhöhen sehen; Soldaten waren vorübergezogen; Handwerksburschen, Studenten und Diener der Edelleute hielten Wache mit allerhand seltsamen Waffen; Kanonen waren aufgefahren; der König war über den Wall geritten, und man wußte, er würde bleiben, – es war Vernunft in den Dingen, man wurde selbst vernünftig.
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Am Tage darauf wurde gegen Nachmittag die Vorstadt draußen vor dem Wassertor in Brand gesteckt. Der Brandgeruch trieb über die Stadt herein und machte die Leute unruhig; und als sich in der Dämmerung, während das Feuer seinen roten Schein über die wettergrauen Mauern des Frauenturms warf und in den goldenen Kugeln auf der Spitze des Petri-Kirchturms spielte, das Gerücht verbreitete, der Feind komme über den Valbyer Hügel heran, da ging es wie ein banger Seufzer durch die ganze Stadt. Durch alle Straßen, Gänge und Gassen erscholl es angstvoll und beklommen: »Die Schweden, die Schweden!« Knaben liefen durch die Stadt und riefen es mit gellender Stimme aus, Leute stürzten an die Türen und starrten ängstlich gen Westen, die Läden wurden geschlossen, die Eisenkrämer sammelten schleunigst ihren Kram zusammen; es war, als erwarteten die biederen Leute, daß das gewaltige Heer des Feindes sofort die Stadt überschwemmen werde.
Längs des Walles und in den anstoßenden Straßen war es schwarz von Menschen, die nach dem Feuer starrten; doch waren auch viele an Orten versammelt, wo man nichts von dem Brande sehen konnte, so vor dem geheimen Gang und der Wasserkunst. Gar mancherlei ward dort bemerkt: zuvörderst und vor allem, wann die Schweden ihren Angriff beginnen würden – jetzt in der Nacht oder morgen?
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