Ein erweitertes Begriffsverständnis von Sport führte im Zuge des Individualisierungsprozesses dazu, dass sich zunehmend quer zum traditionellen, wettkampforientierten Vereinssport und dem Schulsport weitere Sportanbieter etabliert haben. Dazu gehören u. a. kommerzielle Sportanbieter, soziale Dienste, Familienbildungsstätten, Volkshochschulen, Kirchengemeinden oder Krankenkassen (Gugutzer, 2008, S. 93). Auch das selbstorganisierte Sporttreiben erfährt, gerade im Jugendalter, zunehmend an Bedeutung. Diese Vielfalt lässt sich in verschiedene Organisationsformen untergliedern (
Abb. 2).
Abb. 2: Organisationsformen des Sports in Deutschland (eigene Darstellung)
Auf die einzelnen Organisationsformen des Sports wird im Folgenden näher eingegangen, die Relevanz für die Sportsozialarbeit wird dabei mit betrachtet.
2.2 Organisierter Sport
2.2.1 Aufbau und Struktur des organisierten Sports
Einen bedeutenden Sektor in Deutschland stellt der organisierte Sport unter der regierungsunabhängigen Dachorganisation des DOSB dar. Der DOSB ist ein eingetragener Verein (e. V.) mit Sitz in Frankfurt am Main. Laut Satzung liegt der Zweck des DOSB darin, den deutschen Sport in all seinen Erscheinungsformen zu fördern, zu koordinieren und ihn gegenüber der Gesellschaft, dem Staat sowie sonstigen Institutionen im In- und Ausland zu vertreten. Weiterhin obliegen ihm alle Zuständigkeiten eines Internationalen Olympischen Komitees wie z. B. der Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an Olympischen Spielen. Zudem ist der DOSB für die Betreuung seiner Mitglieder nach Maßgaben der Satzung zuständig (DOSB, 2018a, § 2). Zum DOSB gehören 101 Mitgliedsorganisationen, darunter 16 Landessportbünde, 66 Spitzenverbände sowie 19 Verbände mit besonderen Aufgaben (DOSB, 2019).
Insgesamt sind unter dem Dach des DOSB ca. 27,4 Millionen Menschen in Mitgliedschaften registriert, die in ca. 90.000 Turn- und Sportvereinen organisiert sind (DOSB, 2018b). Als Dachverband des gesamten organisierten Sports erfüllt der DOSB Ordnungs-, Programm- und Dienstleistungsfunktionen (Heinemann, 2007, S. 141). Konkrete Aufgaben werden im Kurzportrait des DOSB benannt. Als anschlussfähig für die Sportsozialarbeit gelten v. a. die Aufgaben, welche unter Allgemeines aufgeführt werden. Dazu gehören u. a.
»die Förderung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung im Sport, die Förderung des Kinder- und Jugendsports, insbesondere die Gewinnung junger Menschen für den Sport, der Kampf gegen Doping und Spielmanipulationen, der Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Sport, die Förderung von Sport, Spiel und Bewegung im Elementarbereich sowie in Schule und Hochschule, die Förderung von Bildung im und durch Sport« (DOSB, 2018a, § 3 (1), I.).
Abb. 3: Das System des organisierten Sports in Deutschland (eigene Darstellung)
Die Jugendorganisation des DOSB bildet die DSJ (DSJ). Unter ihr sind mehr als 9,5 Millionen junge Menschen aktiv. Sie vereint nicht nur die Sportvereine für Kinder und Jugendliche unter einem Dach, sondern ist auch bundesweit der größte Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe. Mit ihren Mitgliedsorganisationen, den Landessportjugenden und deren Untergliederungen (Verbände und Vereine), gestaltet die DSJ im gesamten Bundesgebiet flächendeckend Angebote mit dem Medium Sport, um junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung im Sinne des SGB VIII zu fördern (DSJ, 2019).
Das System und der Aufbau des organisierten Sports werden in obiger Abbildung in Anlehnung an Heinemann 2007 stark vereinfacht dargestellt (
Abb. 3).
Sportvereine bilden mit ihren Mitgliedern die strukturelle Basis des organisierten Sports. Ca. 90.000 Sportvereine mit rund 27,4 Millionen Mitgliedschaften sind über Bezirks- und Stadtsportbünde als Mitglieder in Landessportbünden und Fachverbänden unter dem Dach des DOSB organisiert (DOSB, 2018a). Sportvereine sind durch Grundprinzipien bestimmt, die gesetzlich geregelt und zivilgerichtlich verankert sind.
Sportvereine als Mitgliedsorganisationen des DOSB werden in der Organisationssoziologie dem Typus der Freiwilligenorganisation zugeordnet. Konstitutive Merkmale von freiwilligen Vereinigungen, somit auch von Sportvereinen ergeben sich nach Heinemann & Horch (1988) durch das Verhältnis der Mitglieder zu der Organisation. Diese sind freiwillige Mitgliedschaft, Orientierung an den Interessen der Mitglieder, Unabhängigkeit von Dritten, Freiwilligenarbeit, demokratische Entscheidungsstruktur. Die konstitutiven Merkmale kommen jedoch in der Reinform nur noch selten vor. Zum Beispiel wird ehrenamtliches Engagement besonders bei Großsportvereinen durch das Hauptamt abgelöst, demokratische Entscheidungskultur kann durch Mitgliederpassivität nicht ausgeschöpft sein, Mitgliedschaften durch z. B. Gruppenzwang beeinflusst werden (Nagel, 2006).
Zwar unterliegen Sportvereine einer gemeinsamen Struktur und gesetzlichen Grundlagen, dennoch haben sie viel Gestaltungsfreiraum und unterscheiden sich maßgeblich in Größe, Zielen, Inhalten und Erscheinungsformen. Es kann daher nicht von dem Sportverein gesprochen werden. In erster Linie geht es um die Förderung von Sport und die Bereitstellung von Sportgelegenheiten, darüber hinaus werden auch soziale Ziele verfolgt ( Kap. 2.2.3) (Heinemann & Horch, 1988). Systematische Befunde zur Entwicklung von Sportvereinen in Deutschland liefern die Sportentwicklungsberichte des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp). Im zweijährigen Turnus werden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Deutschen Sporthochschule Köln unter der Leitung von Breuer Daten der bundesdeutschen Sportvereine erhoben und aufbereitet, die für Sportpraxis und Sportpolitik Befunde zur aktuellen Situation des Vereinssports liefern. Im Erhebungszeitraum 2015/16 haben sich mehr als 20.000 Vereine an den Befragungen beteiligt (Breuer, 2017, S. 15ff).
2.2.3 Gesellschaftliche Bedeutung des organisierten Sports
Sportvereine grenzen sich als freiwillige Organisationen von kommerziellen und marktorientierten Dienstleistungsunternehmen sowie vom informellen Sport ab und bewegen sich zwischen den Polen Markt, Staat und informeller Sektor. Aus der daraus folgenden Strukturlogik werden Sportvereine dem Dritten Sektor zugeordnet ( Abb. 2). Bei Organisationen des Dritten Sektors liegt die Zielsetzung nicht wie beim Sektor Markt in der Gewinnmaximierung, sie verfolgen demnach keine eigenwirtschaftlichen Ziele wie z. B. Fitnessstudios. Auch übernehmen sie, im Gegensatz zum Staat, keine »genuin hoheitlichen Aufgaben«. In Abgrenzung zum informellen Sektor unterliegen sie einer formaleren Organisationsstruktur, z. B. in Form fester Trainingszeiten und -gruppen oder der Vereinsmitgliedschaft (Heinemann, 2004, S. 77). Organisationen des Dritten Sektors werden auch als Non-Profit-Organisationen (NPO) bezeichnet. Diese erfüllen wichtige gesellschaftliche Aufgaben wie z. B. die Aufwertung bürgerschaftlichen Engagements oder die Förderung sozialer Integration (vertiefend dazu u. a. Nagel, 2006, S. 29; Heinemann, 2004, S. 78; Zimmer et al., 2005; Badelt et al., 2007).
Im Zuge der Bewegung »Sport für alle« erweiterte sich die Angebotsstruktur in den Sportvereinen; es gelang die Einbindung sozialer Gruppen, die lange Zeit erschwerten Zugang zu Sport hatten, darunter u. a. Frauen, Senioren oder Menschen mit Beeinträchtigungen (Cachay, 1988, S. 266ff; Gugutzer, 2008, S. 92; Nagel, 2006, S. 44ff). Das Wachstum an Mitgliedszahlen verdeutlicht dies. Waren es 1950 noch ca. drei Millionen Menschen, so stieg die Anzahl bis zum Jahr 2018 auf ca. 27 Millionen Menschen an (DOSB, 2011; DOSB, 2018a).
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