Das zivilgesellschaftliche Potential des organisierten Sports in Deutschland genießt daher eine besondere Wertschätzung und wird durch staatliche Mittel vielfältig gefördert (Braun, 2013a, S. 23; Haring, 2010).
Gleichzeitig sind die Erwartungen an die Sportvereine hoch. Neben dem praktischen Sporttreiben und der Vermittlung sportspezifischer Kenntnisse soll sozialen Herausforderungen u. a. im Kontext von Gesundheit, Bildung, Integration, Inklusion und Kinderschutz begegnet werden (Rittner & Breuer, 2004).
In der Gesundheitsförderung ging der DOSB mit der Vorlage einer gesundheitspolitischen Konzeption (1995) erste Schritte zur konzeptionellen Verankerung von Qualitätssicherung im Sport. Gesundheit und Sport wurden zu zentralen Zukunftsaufgaben der Sportvereine erklärt. Zu nennen sind hier im Gesundheitssport z. B. das Siegel »Sport pro Fitness« oder das Siegel »Sport pro Gesundheit«, die eine Qualitätssicherung der Angebote und eine Anerkennung durch die Krankenkassen sicherstellen (DOSB, 2010; 2015). Mittlerweile ist das Thema Gesundheitsförderung im Sportverein durch Gesundheitssportangebote, Qualifizierung der Trainerinnen und Trainer, die Festlegung von Qualitätsmaßstäben oder die Kooperation mit Krankenkassen weiter vorangetrieben worden.
Im Bildungssektor kann die gesellschaftliche Bedeutung des organisierten Sports u. a. anhand der Zusammenarbeit mit Schulen und Kitas belegt werden (
Kap. 2.3.2). Hierbei bilden Sportvereine ein wichtiges Strukturelement für die sozialräumliche Vernetzung, zu nennen sind hier z. B. die gemeinnützige Kindergarten Träger-Gesellschaft KIB gGmbH (Kinder in Bewegung) des LSB und der SJ Berlin oder Landesprogramme zur Kooperation von Schulen & Vereinen.
Konkrete Bildungsangebote unterbreiten die Bildungsstätten der Sportjugenden. Sie bieten zum einen z. B. Seminare für Schulkassen zu jugendpolitischen Themen oder Sozialkompetenztrainings, zum anderen fungieren sie als Aus- und Fortbildungszentren für die Jugendarbeit im Sport (DSJ, 2018). Die Initiative »Lernort Stadion« führt politische Bildung an Lernzentren in Fußballstadien durch (Lernort Stadion e. V., 2017).
Im Bereich der Integration und Inklusion stellt der organisierte Sport Angebote für diverse Zielgruppen bereit. Zu nennen sind hier u. a. das Bundesprogramm »Integration durch Sport«, Initiativen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit im Sport oder Programme im Rahmen von Inklusion für eine gleichwertige Teilnahme und Teilhabe von Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen (DOSB, 2019). Dem Thema Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Sport widmen sich speziell ausgearbeitete Programme (DSJ, 2019). Zum anderen leistet die Fanarbeit hier gezielt Präventionsarbeit (KOS, 2019) ( Kap. 4.2.4). Zur Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport haben die DSJ und die Landessportjugenden Handlungsleitfäden und Qualifizierungsangebote für ihre Mitgliedsorganisationen entwickelt (DSJ, 2019).
Gleichzeitig weisen unterschiedliche Positionen auf eine soziale Ungleichheit im Sport hin, die trotz zahlreicher Bemühungen der Vereine weiterhin bestehen (u. a. Cachay & Hartmann-Tews, 1998; Haut, i. E.; Nagel, 2003) ( Kap. 3.3.2).
Es existiert eine Vielzahl an sozialen Initiativen des organisierten Sports im Kinder- und Jugendbereich. Einen Überblick dazu liefert die Projektdatenbank der DSJ ( www.jugendprojekte-im-sport.de/), die aus dem Fachforum »Soziale Offensive im Jugendsport. Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten« (Rittner & Breuer, 1999) entstanden ist. Diese Projektdatenbank wurde für den Zweiten und Dritten Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht ausgewertet. Demnach werden 260 sportliche Projekte für den Zeitraum zwischen 2002 und 2015 vorwiegend in den Themenfeldern Integration, Zusammenarbeit mit Schule, Gewaltprävention, Ehrenamt und Partizipation angegeben (Derecik & Züchner, 2015, S. 228). Diese sozialen Initiativen im Jugendsport stellen eine Schnittstelle zwischen Sport und Sozialarbeit dar. Akzeptanz, Anschlussfähigkeit und Synergien in der interdisziplinären Zusammenarbeit führten dazu, dass sich einige Projekte über die Jahre fest etablieren konnten, z. B. Projekte des Landessportbunds NRW oder der Sportjugend Berlin (Prenner, 2008, S. 34). In Berlin hat sich aus der Zusammenarbeit des organisierten Sports mit der Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit gGmbH (GSJ) ein eigenständiger Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe entwickelt, der in enger Zusammenarbeit mit der Sportjugend Berlin flächendeckende Angebote der sportorientierten Jugendsozialarbeit, u. a. schulbezogene Jugendsozialarbeit, offene Jugendarbeit, Hilfen zur Erziehung oder KICK-Projekte zur Gewaltprävention, bietet.
Ob die gesellschaftliche Funktion des organisierten Sports in der Vereinswirklichkeit tatsächlich erfüllt wird, lässt sich auf der Grundlage der derzeitigen empirischen Datenlage nur unzureichend beantworten (Rittner & Breuer, 2004).
Einigkeit herrscht darüber, dass Sportvereine in Deutschland weit mehr Menschen integrieren als vergleichbare Freiwilligen-Vereinigungen (ebd., 35). Dies ist v. a. für den Kinder- und Jugendbereich in diversen Studien belegt (u. a. Gerlach & Brettschneider, 2013; Züchner, 2016). Der höchste Organisationsgrad von Kindern und Jugendlichen im Sportverein ist in der Altersgruppe 7 bis 14 Jahren zu erkennen. Hier weisen laut der Mitgliedererhebung des DOSB 2018 ca. 80 % der Jungen und 60 % der Mädchen eine Vereinsmitgliedschaft auf, in der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen sind ca. 65 % der Jungen und knapp die Hälfte der Mädchen Mitglied in einem Sportverein (DOSB, 2018a). Laut Gerlach & Brettschneider (2013, S. 150) sind Sportvereine »unangefochten die ›Nr. 1‹ unter den Kinder- und Jugendorganisationen […] keine andere Organisationsform (kann) auf eine derartige Partizipationsrate verweisen.« Mehr als in anderen Verbänden ermöglicht Sport auch die Begegnung junger Menschen über verschiedene soziale Schichten und Milieus hinweg, wobei es sportartspezifische Differenzen gibt und z. B. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Gesamtbetrachtung noch immer unterrepräsentiert sind (Picot, 2011, 23).
Daten des Freiwilligensurveys 2014 belegen, dass der höchste Anteil freiwillig engagierter Menschen ab 14 Jahren in Deutschland mit 16,3 % im Bereich Sport und Bewegung zu finden ist (BMFSFJ, 2016). Laut des Sportentwicklungsberichts engagieren sich rund 1,7 Millionen Menschen ehrenamtlich als Trainerin oder Trainer sowie im Vorstand in einem deutschen Sportverein. Zählt man diejenigen dazu, die sich an gesonderten Arbeitseinsätzen wie z. B. Sportveranstaltungen, Fahrdienste, Feste oder Renovierungen beteiligen, so ergibt das eine Gesamtzahl von rund acht Millionen Ehrenamtlichen (Breuer, 2017, S. 29f). Wenn auch mit leichtem Rückgang, so engagieren sich auch Jugendliche im Sportverein stärker als in anderen gesellschaftlichen Bereichen (Braun, 2013b). Es lässt sich vermuten, dass Menschen, die ehrenamtliche Aufgaben im Sportverein übernehmen, zu langfristigem bürgerschaftlichen Engagement angeregt werden (Gogoll et al., 2008, S. 161). Braun steht dieser These allerdings vorsichtig gegenüber. Noch mangele es an empirischen Befunden, ob Sportvereine tatsächlich als ein Übungsfeld bürgerlichen Handelns gesehen werden können, oder sich dort »vor allem solche Menschen zusammenschließen, die unabhängig von ihrer Mitgliedschaft und ihrem Engagement ein höheres soziales Vertrauen und umfangreichere bürgerschaftliche Kompetenz aufweisen« (Braun, 2006, S. 4506; dazu auch Braun, 2012, S. 286). Auch ist gerade bei jungen engagierten Menschen ein Wandel vom traditionellen Ehrenamt mit einer langfristigen Vereinsbindung hin zum neuen Ehrenamt zu erkennen, das u. a. von Flexibilität und rational motiviertem Handeln gekennzeichnet ist. Dies stellt die Vereine vor neue Herausforderungen (Braun, 2013a; Braun & Nobis, 2015, S. 283ff). In einer über zehn Jahre angelegten Längsschnittstudie von Gerlach & Brettschneider (2013) wurde ein positiver Effekt zwischen sportlichem Engagement im Verein und der Stärkung der damit verbundenen sozialen und personalen Ressourcen festgestellt.
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