König und Kreische (1991) schlugen vor, die polarisierten Positionen unter Rückbezug auf objektbeziehungstheoretische Grundlagen statt »progressiv vs. regressiv« treffender als »Eltern-Kind-Kollusionen« zu bezeichnen. Darüber hinaus erweiterten sie den Begriff und beschrieben die »Kind-Kind-Kollusion« ( Abb. 4.2) und »Elternteil-Elternteil-Kollusion« (
Abb. 4.3). Damit werden Dynamiken in Partnerschaften beschrieben, in denen entweder beide Partner zugleich den kindlichen (oder regressiven) Part einnehmen und den elterlichen, progressiven außerhalb der Dyade suchen oder beide Partner ein elterlich-progressiver Verarbeitungsmodus kennzeichnet, in dem sie sich gemeinsam um andere kümmern. In Paartherapien begegnet uns dann, im Falle einer Kind-Kind-Kollusion, ein unselbstständiges Paar, das Versorgung, Hilfe
Abb. 4.2: Kind-Kind-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)
und Unterstützung sucht und wenig Eigenaktivität mitbringt, sondern das Gefühl vermittelt, die Therapeuten in ihrer elterlichen Rolle werden schon wissen, was gut für sie ist. Die Ratschläge, die sie auf diesem Weg womöglich tatsächlich erhalten, können jedoch ebenso »kindlich« oder »pubertär« zunichte gemacht werden. Hier gilt es, die ausgeprägten regressiven Tendenzen zu benennen und zu begrenzen und an der Verantwortungsübernahme zu arbeiten.
Besteht eine ausgeprägte Elternteil-Elternteil-Kollusion, wird es unter Umständen nicht gut möglich sein, ein stabiles Arbeitsbündnis zu entwickeln, da die Partner Schwierigkeiten damit haben, Anregungen, Konfrontationen oder Deutungen der Therapeuten anzunehmen. Sind die Therapeuten vielleicht noch jünger als das Paar, kann eine solche Übertragungsbereitschaft noch verstärkt werden. Dies kann sich in offener Herabsetzung, aber auch in subtilen, scheinbar freundlich-fördernden Aussagen wie einer Frage nach Ausbildungsfortschritt oder akademischem Grad äußern. Gelingt es, die jeweilige Abwehrfunktion zu identifizieren und mit dem Paar zu bearbeiten, kann ein fruchtbarer Prozess stattfinden. Dabei ist immer zu beachten, welche starke Dynamik kollusive Mechanismen auch bei den Therapeuten entfaltet. In der Inter- oder Supervision und mithilfe der Gegenübertragungsanalyse wird es oft
Abb. 4.3: Eltern-Eltern-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)
erst möglich, eine notwendige Distanzierung vom unmittelbaren Geschehen zu erreichen und sich wieder handlungsfähiger zu fühlen.
König und Kreische (1991) beschreiben zudem »gekreuzte Kollusionen« und damit Paare, die eine kollusive Verstrickung zeigen, dabei aber auf unterschiedlichen Niveaus der Triebfixierung »funktionieren«. Anders als bei einem polarisiert aufgeteilten gemeinsamen Grundkonflikt wird bei einem der Akteure ein Triebfixierungsniveau manifest, während das andere in der Latenz verbleibt. Beim Anderen ist es jeweils umgekehrt. Ein klassisches Beispiel ist das Zusammenspiel ödipal-hysterischer und zwanghafter Strukturiertheit. Hier erfährt der zwanghaft strukturierte Partner Lebendigkeit im manifesten Verhalten der hysterischen Partnerin, während diese von der Strukturiertheit der zwanghaften Veranlagung profitiert. Es bestehen die jeweils nicht offen gelebten, weil gefürchteten Anteile jedoch in der Latenz (vgl. auch das ausführliche Fallbeispiel in Kapitel 7.1,
Kap. 7.1). Für Paare mit einer gekreuzten Kollusion wird die »Paartherapie in zwei Systemen« (Kreische 2012) für besonders erfolgversprechend gehalten (
Kap. 8.3).
Kollusive Elemente finden wir vermutlich in fast allen Partnerschaften, nicht zuletzt aufgrund der empfundenen Familiarität in der unbewussten Konflikthaftigkeit, die bei der Partnerwahl oft entscheidend ist. Ausschlaggebend für das Wachstum und die Weiterentwicklung als Paar, aber auch als einzelne Individuen in der Paarbeziehung ist das Vermögen, die abgewehrten und zunächst im Anderen evozierten Selbstanteile zu re-integrieren und re-internalisieren. Je flexibler mit regressiven wie progressiven Wünschen und Persönlichkeitszügen umgegangen werden kann, desto »gesünder« oder »erwachsener« ist ein Paar. Machen aber unbewusste, interpersonell abgewehrte Mechanismen es notwendig, in den polarisierten Positionen zu verbleiben, lassen sich zwei Ausformungen von Konflikten beschreiben:
1. Die erste Konfliktform ist durch eine regressive Bewegung einer oder beider Partner zu beschreiben, in der Enttäuschung die entscheidende Rolle spielt. Die Ähnlichkeit mit einem enttäuschenden, abweisenden oder nicht versorgenden Elternteil wurde in der Paarbildungsphase mithilfe von Idealisierung verleugnet und der Partner als eine andere, bessere, zugewandtere Person phantasiert. Ergeben sich im Laufe der Beziehung unvermeidliche Kränkungen oder Enttäuschungen dadurch, dass die Partner realisieren, dass der jeweils andere nicht in der Lage oder willens ist, die eigenen nicht erfüllten kindlichen Bedürfnisse zu befriedigen, führt dies bei kollusiv verstrickten Paaren dazu, dass es weiter regrediert und dysfunktionale Interaktionsweisen vermehrt, statt durch Realitätsprüfung und weitere Entwicklung zu reiferen Formen des Umgangs mit Wünschen und Enttäuschungen zu gelangen.
2. Die zweite Konfliktausprägung ist durch eine Kehrtwende im Erleben gekennzeichnet. Die Persönlichkeitszüge und Verhaltensweisen, die beim Kennenlernen besonders attraktiv und begehrenswert erschienen, möglicherweise gar den Ausschlag für die Partnerwahl gaben, werden nun im Gegenteil als abstoßend, unattraktiv und/oder behindernd erlebt. Die anfängliche Bewunderung des anderen, der die latenten, dabei abgewehrten Anteile lebt, kehrt sich um, wenn die Faszination abklingt und die vertrauten Mechanismen eines z. B. strafenden, verbietenden Über-Ichs greifen. Der Bewunderer wird zum Verfolger, da er weder die abgewehrten Anteile in sich zu integrieren noch im Partner weiter zu tolerieren vermag (vgl. Dicks 1967; Reich et al. 2007).
4.1.5 Mentalisierung bei Paaren
Mentalisierung bezeichnet die Fähigkeit, eigene mentale Zustände (u. a. Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse, Motive, Überzeugungen, Einstellungen, Werte …) wie auch mentale Zustände des Gegenübers wahrnehmen sowie Ideen darüber entwickeln zu können, welche Erfahrungen und Gegebenheiten zu welchen mentalen Verfassungen führen können. Es handelt sich um eine Entwicklungserrungenschaft, die zu dem Bewusstsein führt, dass man selbst und die anderen eine jeweils ganz eigene Innenwelt haben, die sich voneinander unterscheiden und sich teilweise gleichen können. Dabei ist entscheidend: »Mentale Zustände liegen nicht offen zutage. Das gilt übrigens genauso für die eigenen.« (Rottländer 2015, S. 9). Das bedeutet, es bedarf der Einfühlung, des »Eindenkens« und (ganz wesentlich besonders bei Paarkonflikten) der realen Überprüfung durch Austausch darüber, ob die Interpretationen der vermuteten Gedanken- und Gefühlswelt des anderen denn auch einigermaßen zutreffen. Redensarten wie »Ich kann meinem Partner auch nur bis vor die Stirn gucken«, »Man steckt nicht drin« oder auch symbiotisch anmutende, verliebte Äußerungen wie »Wir sind eins, verstehen uns blind« weisen auf die Brisanz von An- oder Abwesenheit guter Mentalisierungsfähigkeit hin.
Ein Mann sagte nach einer gescheiterten Beziehung in therapeutischen Trennungsgesprächen: »Ich war in ihr und sie war in mir. Wir verstanden uns ohne Worte, wussten immer, was der andere denkt und fühlt. Es war magisch«. Seine Ex-Partnerin nickte versonnen zu dieser Beschreibung.
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