Schwarze Kirchen leben vom Miteinander: Der Prediger spricht, die Gemeinde reagiert. Die Gläubigen gehen mit, rufen „Amen“ und „Halleluja“. Dies bedeutet für den Prediger, dass er wiederum bereit sein muss, dies aufzunehmen. Er soll seine Stimmkraft, seine Melodie, seinen Rhythmus anpassen. Dem 74-jährigen Bernie Sanders fehlte dies – nicht die verbale Überzeugungskraft, sondern die Fähigkeit, emotional auf das Publikum einzugehen. Man erwartete von ihm nicht, dass er „Halleluja!“ rief, aber man erwartete, dass er nicht nur sprach, sondern auch hinhörte. Oder wie es eine Abgeordnete aus South Carolina ausdrückte:
»Ich glaube nicht, dass er schon viel mit Farbigen zu tun hatte. Ich sah ihn sprechen; er kam nicht zur Ruhe. Er ging nicht auf seine Zuhörer ein, auf ihre Körpersprache, die Mimik oder einen gewissen Rhythmus. Kein Langsamerwerden, um eine Bestätigung oder ein Amen da und dort anzunehmen oder zu erwidern. Er war kurz angebunden. Er schien sich nicht wohl zu fühlen –und man konnte es sehen.« 99
Dialog hätte darin bestanden, sich mit dem Publikum zu synchronisieren. Es hätte sich nicht in einem Frage-Antwort-Schema ausgedrückt, sondern „nur“ in der Musikalität, in der Art, wie der Redner mit seiner Stimme und mit der Zeit umgeht und auf die Musikalität der Zuhörenden eingeht.
Damit eine Interaktion dialogisch ist, reicht es nicht, dass Rede auf Gegenrede folgt. Es muss eine Ergänzung entstehen – so, wie eine Frage eine Antwort ergänzt, wie ein Beispiel eine These ergänzt oder das Lachen einen Witz. Auf der verbalen Ebene geschieht dies durch Offenheit, durch die Bereitschaft, von den Zuhörenden Neues zu erfahren.
Zeichen dieser Offenheit sind sprachliche Handlungen, die weitere Handlungen provozieren.
Sprachliche Handlungen der Offenheit
Fragen, die ernst gemeint sind, d.h. mit einem Interesse für die Antworten
Aufforderungen zu einer gemeinsamen Aktion, d.h. ein Problem lösen, ein Bild interpretieren etc.
Aussagen, die Widerspruch erregen
Aber auch eine besondere Formulierungsweise kann diese Beziehung herstellen. Allein schon der Satzbau oder die Wortwahl kann die Rednerin dem Publikum näherbringen.
Sprachliche Äußerungen der Offenheit
Sätze, die in ihrer Komplexität der Zuhörsituation angemessen sind
Wörter, die dem Publikum vertraut sind
spontane Äußerungen als Reaktion auf das Publikum
Ein Indiz für dialogisches Vorgehen ist der Umgang mit Fragen: „Das ist ziemlich paradox, nicht wahr?“ sagt die Referentin im Vortrag als Kommentar zu ihren bisherigen Ausführungen. Dieses „nicht wahr?“ kann eine reine Floskel sein. Es kann aber auch als Mittel der Verständigung benutzt werden, wenn danach eine Pause folgt, ein Blick ins Publikum, so dass die Möglichkeit besteht, dass sich jemand von den Zuhörenden meldet und einen Kommentar abgibt. Dies wäre eine offene Verwendung der Phrase „nicht wahr?“ . Es braucht den Mut zur Pause und die Freiheit, die Worte zu ihrem Nennwert zu nehmen. Für eine Rednerin, die ins Publikum blickt und jeden Satz mit Blickkontakt spricht, darauf achtend, ob die Zuhörenden ihr Tempo mitmachen, ist auch eine derartige Frage eine Aufforderung zum Mitdenken und bestenfalls auch zum Mitreden.
Die Kommunikationsform der Bescheidenheit
Eine Rede im Zeichen des Dialogs betont die soziale Funktion des Redens. Eine Rednerin ist immer in Beziehung – zu ihrem Thema wie auch zu den Menschen, an die sie sich wendet. Reden vor Publikum bedeutet in Kontakt zu treten. Rede als Dialog verstanden, hilft dabei, das Publikum auf Sach- und Beziehungsebene auf Augenhöhe anzusprechen. Dialogische Elemente helfen, auf das Publikum adäquat einzugehen – mit Stimme, Worten und Gesten. Nur schon dadurch, dass dank der dialogischen Einstellung das Tempo und die Pausensetzung positiv beeinflusst werden, wird gewährleistet, dass das Publikum die Gedankengänge mitmachen und die Rede verstehen kann. Eine Rednerin, die dialogisch vorgeht, wird auch rechtzeitig erkennen, wenn einzelne Ausdrücke oder ganze Passagen der Rede nicht verstanden werden und entsprechend reagieren können. Dialogische Vorträge sind verständlicher und attraktiver.
Rednerinnen, die ihre Aufgabe als Dialog verstehen, erzielen kreativere Resultate als reine Performer. Sie erkennen rechtzeitig, ob die Zuhörenden ihnen folgen. Oft führt die gemeinsame Reise an einen unerwarteten Ort, weil Rednerin und Zuhörende aufeinander eingegangen sind.
Ein dialogischer Ansatz erlaubt Bescheidenheit. Die Rednerin, die dialogisch vorgeht, gibt genau so viel von sich selbst preis, wie es die Situation erfordert. Dank der Rückkoppelung mit dem Publikum driftet sie nicht in einen Soloflug ab, bei dem alles nur noch Präsentation ist. Sie weiß, dass sie nach ihrer Rede wieder eine von ihnen sein wird und die nächsten Beiträge von anderen geleistet werden.
Wege vom Monolog zum Dialog
Aus der Tatsache, dass den Menschen das alltägliche, dialogische Gespräch leichter fällt als das öffentliche, monologische Reden, lassen sich folgende Anhaltspunkte für ein konstruktives Vorgehen ableiten.
[1]Sorgen Sie dafür, dass Siesich in der öffentlichen Situation möglichst wohlfühlen. Dies können Sie auf mehreren Ebenen tun. Eine Möglichkeit besteht darin, möglichst viele Elemente des Dialogs einzubauen. Es führt dazu, dass die Leistung des „Solisten“ vom Orchester ergänzt wird.
[2]Entscheiden Sie sich zwischen Showund Verständigung. Wollen Sie eine One-Man/Woman-Show oder den Dialog? Die Show ist das, was uns Martin Luther King, John F. Kennedy oder Barack Obama vorgemacht haben. Ihr Ziel war es, für ihre Sache zu werben, wobei sie einen Stab an Beratern und Freunden hatten, die für sie die wirksamen Worte mit einer passenden Dramaturgie versahen. Der Dialog dagegen ist, was jeder aus dem Alltag mitbringt – ein Reden mitdem Publikum und nicht für oder gegen das Publikum. Wer sich für die dialogische Rhetorik entscheidet, braucht keine Perfektion anzustreben. Er muss nicht um vorbereitete Effekte bangen. Er weiß, dass das Wichtigste nicht darin besteht, die Menschen zu unreflektiertem Jubel zu bringen, sondern etwas mit ihnen zu teilen.
[3]Betrachten Sie die anstehende Redeaufgabe nur als Teil eines Diskurses. Es kommt nicht auf diese eine Rede an. Sie gehört zu einem Prozess der Erkenntnis, des Lernens, der Meinungsbildung und führt diesen etwas weiter. Eine Rede ist meistens weniger bedeutsam, als es dem Redner scheint. Dies zu wissen, kann vom Leistungsdruck entlasten und die Freude am Dialog fördern.
[4] Lassen Sie sich Zeit. Eine Rede anzufangen, bedeutet, geduldig zu sein. Wenn das Ende naht, ist oft Zeit für eine kurze Pause.
[5] Machen Sie Angebote. Geben Sie klare Botschaften. Machen Sie deutlich, was Sie zu bieten haben, und was Sie von den Zuhörenden erwarten. Aber betrachten Sie, was Sie zu sagen haben, als Angebot, nicht als Werbespruch. Wer weiß, dass er etwas zu geben hat, strahlt auch aus, dass dies wichtig ist und beiden Teilen Gewinn bringen wird.
[6]Lassen Sie die Zuhörenden ihre Plätze so einnehmen, dass Sie leicht in Kontakt kommen und wählen Sie auch für sich selbst den optimalen Platz. Dies ist nicht immer, aber in vielen Fällen möglich. Man muss sich nur trauen und sich die Zeit dazu nehmen.
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